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Lemberg in die NATO!

Was tun, wenn Leidtragende die Fassung verlieren?

 

L a d u s c h k i n -- Es versteht sich von selbst: Bei Kriegsopfern muss man mitleiden und mitfühlen, man soll ihnen helfen und sie versorgen, versuchen, ihr Leid zu lindern. Doch Krieg scheint seine Opfer auch kopflos zu machen, und dem Rat von Kopflosen darf die Christenheit nicht folgen. In einem Bericht des deutschen „Gustav-Adolf-Werkes“ vom 27. Jan. 2024 („glaube-verbindet.gustav-adolf-werk.de/2024/01/die-gefluechteten-aus-schlangendorf-wollen-frieden-in-freiheit“) rufen geflohene Lutheraner zur Fortsetzung des Krieges auf. Diese Ukrainer leben – oder lebten - inmitten des Krieges, und doch liefern sie das Rezept für deren Fortsetzung. In jenem Beitrag wird versichert: „Wir brauchen Eure Unterstützung aus dem Westen für unsere Soldaten.“ Frieden ist nur gegen Russland möglich: „Mit ihnen gibt es keinen Frieden.“ Man wolle in Frieden und Freiheit leben: „Unter russischer Herrschaft ist das nicht möglich.“

 

Hoffnungslosigkeit sickert durch, wenn sie von der Verwandtschaft in Russland erzählen: „Mit ihnen ist kein Gespräch mehr möglich. . . . Sie stehen unter dem massiven Propagandaeinfluss des Putinregimes.“

 

Leider schwingt in diesem Beitrag auch ein Stück Rassismus mit: Er berichtet von der „rohen und brutalen Gewalt“ asiatischer Soldaten aus dem mongolischen Raum. Das kennt man aus dem deutschen Schriftgut vor und nach 1945. Alkoholmissbrauch war bei deren Fehlverhalten mit im Spiel, was sich bekanntlich nicht auf den Donbass oder die in Russland lebenden Völker beschränken lässt.

 

Eine Ermahnung, die nicht ausbleiben darf

Die Artikel des GAW geben diesen Kopflosen eine Stimme. Was jedoch ausbleibt, ist ein notwendiges Korrektiv. Äußerst bedenklich ist die Zusicherung der Geflohenen, dass Verhandlungen mit Russland sinnlos seien. „Dialog gibt es nicht! Wie soll man mit jemandem reden, der nicht reden will, sondern nur Gewalt ausüben will?“

 

Es war jedoch Kiew, das mit seinem Dekret vom 3.10.2023 Verhandlungen mit Russland für illegal erklärte. Als jüngst der französische Verteidigungsminister ein Telefongespräch mit seinem russischen Gegenüber Sergei Schoigu führte, handelte er aus ukrainischer Sicht verfassungswidrig.

 

Sicherheit oder Geographie

Wladimir Putin beteuert immer wieder, dass Russland vor allem an Sicherheitsgarantien und nicht an Gebietsgewinnen interessiert ist. Land hat man genug – nur Sicherheit hat man nicht. Der Westen und seine Kopflosen kehren das um: „Putin“ will nur erobern, er hat keine Sicherheitsinteressen.

 

Noch im April 2024 versichern NATO-Chef Jens Stoltenberg und US-Außenminister Anthony Blinken, dass die Ukraine ganz sicher in der NATO landen wird. Damit tragen sie unweigerlich zur Verkleinerung und Westverschiebung des noch vorhandenen ukrainischen Staatsgebietes bei. Ohne Sicherheitsgarantien will Russland dafür sorgen, daß von der Rumpfukraine so wenig wie möglich übrigbleibt. „Lwow (Lemberg) in die NATO!“ könnte noch die passende Losung werden. Ich denke, damit könnte Russland wahrscheinlich leben.

 

Nach der Verweigerung westlicher Sicherheitsgarantien wollte die UdSSR mit dem Hitler-Stalin-Pakt von August 1939 versuchen, der deutschen Wehrmacht möglichst weit im Westen zu begegnen. Die Situation ist heute ähnlich.

 

Es ist wahrlich eine Binsenweisheit, daß in Europa eine allgemeine Friedensordnung nur gemeinsam mit Russland erreicht werden kann. Sicherheit gibt es nur, wenn es Sicherheit für alle gibt. Unfassbar, dass die Mahnungen weltbekannter Diplomaten wie Egon Bahr, George Kennan und Jack Matlock (beide USA) heute zum alten Eisen gehören.

 

Man muss an die Interessen aller denken. Das gilt auch für die Kirchen, wenn sie grenzüberschreitend vertreten sein wollen. Der noch in Odessa lebende lutherische Pastor Alexander Gross versichert jedoch, dass "Kompromisse mit Russland" unerwünscht seien (siehe „glaube-verbindet.gustav-adolf-werk.de/2024/02/eine-botschaft-aus-odessa-zum-2-jahrestag-des-kriegsbeginns-in-der-ukraine“). Da bleibt uns die Option Endsieg übrig. Doch was meinen die etwa fünf Millionen ukrainischer Staatsbürger, die gen Osten geflohen sind? Was empfinden die Lutheraner im Donbass, die sich der östlichen Seite hinzugezogen fühlen? Mehr über diese Lutheraner muss noch berichtet werden.

 

Der Vorwurf „Propaganda“ ist hier bereits erhoben worden. Der Westen schämt sich des von ihm über Jahrzehnte entwickelten Konzeptes „Informationskrieg“ offensichtlich nicht. Ist ein solcher "Krieg" ohne ausgeklügelte Propaganda überhaupt denkbar?

 

Wegen der extrem inflationären Nutzung des Begriffs „Propaganda“ fällt es mir schwer, ihn überhaupt in den Mund zu führen. Dennoch: Bei uns Einwohnern Russlands scheitern parteiliche Darstellungen aus dem Westen häufig schon an der Wirklichkeit, die wir vor Ort tagtäglich erleben. Russische Talkshow-Hosts lassen zur Erheiterung ihres Publikums westliche Beiträge ungekürzt laufen (siehe z.B. „gilbertdoctorow.com/2023/09/28/sixty-minutes-holds-up-the-mirror-to-the-west-and-the-picture-in-the-frame-is-ugly”). Wenn sich die Propaganda selbst zerstört, bedarf es keiner russischen Gegenpropaganda.

 

Deutschland und die USA ermahnen ihre Bürger immer wieder, einen Besuch in Russland nicht zu riskieren. Warum eigentlich? Besuche führen meistens zur „Verbrüderung“, und das schmälert den Wehrwillen. Besuche in Russland machen Propaganda kaputt. Der Sanktionsvorhang von heute erfüllt einen ähnlichen Zweck wie der Eiserne Vorhang von einst: Begegnungen sollen erschwert werden.

 

Die ungeheuerlichste Tatsache

Besonders kriminell ist die Tatsache, dass dieser Krieg leicht hätte vermieden werden können. Die Russen haben vor allem Sicherheitsgarantien verlangt. Siehe z.B. die russischen Vertragsentwürfe vom 17. Dezember 2021 und die Istanbuler Verhandlungen vom März 2022.

 

Sind die USA wirklich die besten Freunde der Ukrainer? Liebe Ukrainer: Der Krieg, den Ihr mit Eurem Blut und Besitz bezahlt habt, gilt bei führenden Politkern in den USA als Schnäppchen (siehe z.B. „news.antiwar.com/2023/08/30/sen-blumenthal-us-getting-its-moneys-worth-in-ukraine-because-americans-arent-dying“). Euer Blut und Eigentum tauchen in deren Kostenspalte nicht auf. Ihr zählt offenbar wenig.

 

Diese Katastrophe hätte vermieden werden können. Aber die USA wollten noch einmal einen osteuropäischen Rollback mit dem Blut und Gut anderer versuchen. Eine sehr bittere Wahrheit über das Land meiner Herkunft. Vielleicht sind die Bürger der Welt, die Friedensverhandlungen fordern, Eure einzigen wahren Freunde. Bitte denkt darüber nach, besonders diejenigen unter uns, die sich als Christen verstehen.

 

Klar: Die Kiew-treuen Protestanten und Griechisch-Katholiken (Uniaten) sehen das anders. Sie scheren sich um geostrategische Fragen wenig. Ihnen geht es darum, sich von ihrer historischen, orthodox-ostslawischen Umwelt und Umklammerung zu lösen.

 

Dr.phil. William Yoder

Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, 8. April 2024

 

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