Gedanken zu einem ukrainischen Angriff auf das Konzept einer Russischen Welt
L a d u s c h k i n -- Am 10. Januar 2024 wurde in Kiew eine interkonfessionelle Erklärung veröffentlicht, die das Konzept einer Russischen Welt angreift (siehe Text unten). Sie wurde von der "Europäischen Evangelischen Allianz" weiterverbreitet.
Der Text beginnt mit dem höchst subjektiven Begriff der "Aggression". Die russische Seite führt jedoch die NATO-Erweiterung und eine erhoffte Aufspaltung Russlands - oder Balkanisierung - als Beweis für aggressive westliche Absichten an. Der Maidan-Putsch vom Februar 2014 zerstörte das heikle Gleichgewicht zwischen pro-russischen und pro-westlichen Kräften, das die Ukraine seit ihrer Gründung im Dezember 1991 zusammengehalten hatte. Die Mitunterzeichner von Minsk II, Angela Merkel, Francois Hollande und Petro Poroschenko, haben allesamt eingeräumt, dass diese Vereinbarungen vom Februar 2015 dazu benutzt wurden, wertvolle Zeit für die Wiederaufrüstung des Landes zu gewinnen. Der britische Premierminister Boris Johnson war in hohem Maße dafür verantwortlich, dass die vielversprechenden Istanbuler Vereinbarungen vom März 2022 zunichte gemacht wurden. Die Weigerung des Westens, in Verhandlungen einzutreten - sowohl vor als auch nach Februar 2022 - kann durchaus als Aggression interpretiert werden. Russland sollte ohne die Sicherheitsvorkehrenungen auskommen, die die USA für sich selbst verlangen (Monroe-Doktrin z.B.).
Der Begriff "Russische Welt" besteht auf Gemeinsamkeiten zwischen den ostslawischen, orthodoxen Völkern Russlands, der Ukraine und Belarus. Diese Ansicht, dass Völker Gemeinsamkeiten aufweisen, dass Nationen gruppiert werden können, ist nicht per se aggressiv. Dennoch kann sie von nationalistischen Kreisen in aggressiver Weise verwendet werden. Trotz höchst unterschiedlicher Dialekte werden Sachsen, Bayern, Schwaben und Friesen als Deutsche eingestuft. Warum sollte man nicht auch die russische Welt in diesem Sinne betrachten?
Ich neige zu der Auffassung, dass Russen, Ukrainer und Weißrussen eine einzige Nation bilden, die oft als "Rus" bezeichnet wird. Nahezu alle Bürger dieser drei Länder haben diesselbe erste oder zweite Muttersprache. In diesem Sinne könnte man auch argumentieren, dass US-Amerikaner und englischsprachige Kanadier eine gemeinsame angelsächsische Nation bilden.
Nicht wenige Evangelikale in der Ukraine und in Weißrussland stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, den ethnischen Separatismus voranzutreiben und zu betonen, dass ihr Volk kein Teil der russischen Nation sei. Ein anderes Volk zu schlucken oder zu assimilieren, kann als unfreundlicher Akt interpretiert werden. Das könnte man Russland vorwerfen, doch Millionen von Russlands Einwohnern bezeichnen sich weiterhin als Ukrainer. Versucht Russland, die Ukraine zu schlucken, oder versucht Rus einfach, Rus zu schlucken? Wann ist ein Krieg ein Bürgerkrieg und wann ist er es nicht? Sie haben die Wahl. Aus völkerrechtlicher Sicht war der russische Einmarsch im Jahr 2022 auf jeden Fall illegal.
Im Allgemeinen predigen die Russen keinen Hass gegen die ukrainische Nation. Die Russen betonen weiterhin ihre Freundschaft und brüderliche Verbundenheit mit der ukrainischen Nation. Wie der US-Amerikaner Tucker Carlson kürzlich zu sehen bekam, wird in der beeindruckenden Moskauer U-Bahn-Station "Kiewskaja", die 1954 fertiggestellt wurde, weiterhin die Geschwisterlichkeit des russischen und des ukrainischen Volkes gefeiert. Mir ist nicht bekannt, dass es in der heutigen Ukraine ähnliche Regierungspositionen gibt.
Russische Evangelikale zögern, einen pro-ukrainischen Dissidenten wie den einst leitenden Baptisten Juri Sipko zu kritisieren, der im August 2023 von Moskau nach Deutschland floh. Russische evangelikale Führer kritisieren nur selten öffentlich ihre geistlich- und blutsverwandten Brüder und Schwestern in der Ukraine. Sie sind sich der Notwendigkeit einer Versöhnung nach dem aktuellen Konflikt bewusst und haben nicht die Absicht, die Aussichten auf diese zukünftige Aufgabe leichtfertig zu untergraben.
Ich bin sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, einem Kontrahenten geistige Instabilität zu unterstellen. Der Vorwurf der Unzurechnungsfähigkeit ("Verrücktheit") ist sehr inflationär geworden und ein hochwirksamer Verhandlungskiller. Hier ein moderates Beispiel von John Varoli, einem ehemaligen Journalisten der "New York Times". Nach einem Besuch in Kiew im April 2019 kam er zu dem Schluss, dass er zum ersten Mal "einem selbstmörderischen Nationalismus" begegnet sei. ("Substack", 17. Juli 2023.) Ein ukrainisches Zitat von ihm: "Wir werden die Russen bekämpfen, auch wenn das bedeutet, dass die ganze Ukraine brennen wird." Seine Schlussfolgerung: "Etwas Dunkles und Böses wohnt in der Seele der intellektuellen und politischen Elite der Ukraine. Die Nationalisten in Lemberg und Kiew sind bereit, die Zerstörung ihres Landes in Kauf zu nehmen und ihr Volk abschlachten zu lassen, nur um auf ihrem 'Recht' auf einen NATO-Beitritt zu bestehen."
Varoli schreibt abschließend: "Die meisten unabhängigen geopolitischen Experten wissen, dass dieser Krieg zwischen Russland und der Ukraine leicht vermeidbar gewesen wäre. . . . Die Lösung (politische Neutralität u.a.) ist eigentlich einfach. Nur ist sie es nicht, denn der selbstzerstörerische ukrainische Nationalismus und die amerikanischen imperialen Ambitionen haben gemeinsame Sache gemacht." Diese Schlussfolgerung kann man natürlich nicht akzeptieren, wenn man keine amerikanischen "imperialen Ambitionen" erkennt. Vor etwa 15 Jahren hörten meine Frau und ich zum ersten Mal von ukrainischen Evangelikalen die Versicherung, dass sie „bis zum Ende“ kämpfen wollen.
Am 13. Juni 2023 wurde mir ein Mitschnitt des gesamtukrainischen Gebetstreffens in Kiew zugesandt, das wohl drei Tage zuvor stattgefunden hatte. In seinem Gebet auf dieser Veranstaltung bat der Pfingstbischof Andrej Tischenko Gott (unter Beifall) um die Versorgung der ukrainischen Streitkräfte mit F-16-Kampfjets und Langstreckenraketen. Auf einer kirchlichen Versammlung in Warschau am 7. Oktober 2023 stellte ein anderer ukrainischer Pfingstbischof, Mykhailo Panotschko, fest, dass Wladimir Putin der Satan sei und seine Anhänger Dämonen, die den Tod verdienen.
Zweifellos ist die Behandlung der Evangelikalen im russisch besetzten Donbass problematisch. Sie steht in engem Zusammenhang mit der äußerst strikten Haltung der evangelikalen Führer in Kiew, die von ihren Kollegen im Donbass erwarten, dass sie den neuen, pro-russischen Behörden so wenig wie möglich Beachtung schenken. (Diese Haltung wird durch Römer 13 nicht gestützt.). Auf Aktionen folgen Reaktionen, was kaum verwunderlich ist.
Die Zukunft
Abschließend sei gesagt, dass diese Erklärung vom 10. Januar zu einem militärischen Sieg der Ukraine aufruft, nicht zu Verhandlungen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen beten russische Evangelikale jedoch nicht für einen militärischen Sieg, sondern für den Sieg des Friedens.
Der Westen gewinnt den Krieg nicht auf dem ukrainischen Schlachtfeld - und auch nicht im internationalen Handel. Dennoch haben die USA wichtige politische Siege errungen, indem sie die Bindungen zwischen Deutschland und Russland zerstört, Westeuropa hinter sich vereint und Finnland und Schweden in den Schoß der NATO geholt haben. Warum sollte man diesen bedeutenden Sieg nicht den Wählern in den USA und Westeuropa zuliebe feiern und sich dann zurückziehen?
Wir dürfen nicht verzweifeln, selbst wenn wir im Schatten einer nuklearen Wolke kauern. Ich hatte aufmunternde Gespräche mit ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland und Polen und möchte unbedingt glauben, dass eine Versöhnung nach dem Krieg möglich ist. Wir werden zusammenleben müssen, wenn die gegenwärtige Krise vorbei ist. Alle Hände werden gebraucht werden.
Der Moskauer Pfingstbischof Sergej Rjachowski, der erste oder einzige von der Ukraine offiziell sanktionierte russische Protestantenführer, schrieb im August 2022: "Ich glaube . . ., dass die Erkenntnis zurückkehren wird, dass Russen und Ukrainer ein gemeinsames Ganzes bilden und, dass wir einander brauchen. Die vielen Wunden, die dieser Krieg verursacht hat, werden geheilt werden und diese brüderlichen Völker werden wieder in Frieden und Harmonie zusammenleben." Anonyme Kritik in dieser ukrainischen Erklärung zielt auf die von Rjachowski geleitete „Assoziierte Russische Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE).
Es geht um Versöhnung, nicht um vor allem Schuldzuweisungen. Bringen wir die Sache in Gang, indem wir Römer 3,23 zitieren: "Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen.“
Dr.phil. William Yoder
Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, 28. Februar 2024
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DECLARATION OF THE CHRISTIAN CHURCHES OF UKRAINE TO CONDEMN THE AGGRESSIVE IDEOLOGY OF THE "RUSSIAN WORLD"
The war
of aggression launched by Russia in 2014 against Ukraine, and continued with a full-scale invasion in 2022, has brought much suffering to Ukrainian soil and hundreds of thousands of deaths,
including the murdering of more than 520 children and the destruction of cities and civilian infrastructure. It has caused the largest migration crisis since World War II and brought the entire
region to the brink of a humanitarian catastrophe.
It is well known that the ideological basis of Russia's aggression against Ukraine, Russian war crimes, and the genocide of the Ukrainian people is the chauvinistic doctrine of the "Russian world" which is implemented, in practice, in the form of a dictatorship. By analogy with fascism, this can be called "russiasm." This doctrine, in fact an ideology, denies the right of the Ukrainian nation to self-determination, sovereign development (having its own state, language, history, cultural identity, freedom of religion), and ultimately, the right to exist. The Russian dictator, representatives of the Russian authorities, the Moscow Patriarchate and other religious structures closely associated with the authorities, and propaganda media have been claiming for years that Ukrainians, as a people, "do not exist" and that the Ukrainian nation was "artificially created." Other similar narratives have been spread, as well.
It should be noted that Patriarch Kirill Gundyaev and the Russian Orthodox Church have been, and remain, one of the main creators and propagandists of the "Russian World" ideology, which assumes the exclusivity of Russian civilization and its separation from, and hostile opposition to, others. However, such a position, which excludes or singles out others on the basis of ethnicity or culture, does not correspond to the foundations of the Orthodox faith and Christianity, as such. Inciting hatred and waging war based on the ideology of the "Russian world" violate Christian principles and contradict the spiritual norms that the Church is supposed to embody. This ideology today is a challenge to the preaching of the Gospel in the modern world and destroys the credibility of the Christian testimony regardless of denominations.
Hiding
behind the slogans of "protecting the Russian language," "denazification," and "desatanization" of Ukraine, the Russian military and occupation authorities are implementing the ideology of the
"Russian world" in the temporarily-occupied territories of Ukraine—killing residents who hold pro-Ukrainian views, exterminating intellectuals, and committing mass crimes against the civilian
population. Russian missiles, drones, and artillery kill Ukrainians every day and destroy historical and cultural monuments, especially those associated with Ukrainian identity and spiritual
heritage. The invaders are looting and destroying Ukrainian museums, archives, theaters, libraries, churches and houses of worship, implementing the ideology of the "Russian world" in religious,
cultural, educational, political, and other spheres.
Russia's invasion of Ukraine is a threat to Christian traditions of all kinds, as well as to other religious traditions (Judaism, Islam, etc.). Emphasizing the "fraternal origin of Ukrainians and Russians who make up the Holy Rus," blaming the "evil West" for the military actions, and directing religious communities to pray for the victory of Russian aggressors and invaders, the top leaders of the Russian Orthodox Church and a number of Russian Protestant unions demonstrate not a desire for Christian unity and peace but actually approve and encourage hostility and hatred toward the Ukrainian people and the entire free world.
We, the heads of Ukrainian Christian Churches:
- strongly condemn the ideology of the "Russian world" and the position of Moscow Patriarch Kirill Gundyaev and the Russian Orthodox Church, as well as other Russian religious associations and leaders who support Russia's aggression against Ukraine, justify the war of aggression, promote hatred of the Ukrainian people, and incite inter-ethnic and interfaith hatred
- express support for the position of the Ukrainian Council of Churches and Religious Organizations in their appeal to the World Council of Churches, the Conference of European Churches, and other international interfaith institutions to consider bringing moral and other responsibility to the Russian Orthodox Church and other Russian religious unions that strongly support the Russian aggression against Ukraine, incite inter-ethnic and interfaith hatred and, through the preaching of the Russian World ideology, encourage the genocide of the Ukrainian people
- express our gratitude to the states and peoples who support Ukraine in its struggle for independence from Russian imperialism, to the churches and faithful in different parts of the world who help Ukrainian nation in every possible way and offer their prayers for the establishment of a just peace in Ukraine, to international humanitarian organizations who provide assistance to the needy in Ukraine and Ukrainian refugees, theologians of various churches who condemn the doctrine (ideology) of the "Russian world," and academic circles of various countries who define the scientific concept of "racism" and its ideological foundations.
We pray for the Ukrainian people, for victory, for the establishment of a just peace, for God's protection of our land, and the preservation of Ukraine's independence and freedom!
January 10, 2024 Kyiv
1. Epiphaniy (Dumenko), Primate of the Orthodox Church of Ukraine, Metropolitan of Kyiv and All Ukraine
2. Sviatoslav Shevchuk, Father and Head of the Ukrainian Greek Catholic Church, Major Archbishop of Kyiv-Galych
3. Vitalii Kryvytskyi, Bishop, Ordinary of Kyiv-Zhytomyr Roman Catholic Church in Ukraine
4. Anatoliy Kozachok, Senior Bishop of the Ukrainian Pentecostal Church
5. Valerii Antoniuk, Head of the All-Ukrainian Union of the Churches of Evangelical Christians-Baptists
6. Stanislav Nosov, President of the Seventh-day Adventist Church in Ukraine
7. Leonid Padun, Senior Bishop of the Ukrainian Christian Evangelical Church
8. Vyacheslav Horpynchuk, Bishop of the Ukrainian Lutheran Church
9. Oleksandr Zaitsev, Senior Bishop of the Ukrainian Evangelical Church
10. Marcos Hovhannisyan, Bishop of the Ukrainian Diocese of Armenian Apostolic Church
11. Sergiy Shaptala, President of Brotherhood of Independent Baptist Churches and Ministries of Ukraine.