Liegt das Heil im Unpolitischen?
Kommentar
„Waffen für Ukraine sind Pflicht christlicher Nächstenliebe“. Pfarrerin Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der EKD, im Dezember 2022
L a d u s c h k i n -- Warum habe ich im letzten halben Jahr kaum noch Artikel verfaßt? Ich fürchte, von Freunden, die ich seit Jahrzehnten schätze, als Kriegshetzer abgestempelt zu werden. Und warum sollte ich ein Kriegstreiber sein? Ich erkenne Schuld auf mehreren Seiten. Ich weise die Behauptung zurück, Kiew sei an der massiven Zunahme der Feindseligkeiten im Februar 2022 schuldlos und der Westen folglich moralisch berechtigt, sich diesem Unrecht mit militärischen Mitteln zu widersetzen. Ich wünsche Verhandlungen – sofort.
Das erste ist die Position der in Washington/DC ansässigen "Baptist World Alliance" und der in Amsterdam beheimateten "European Baptist Federation" (EBF). Eine von Kiew inspirierte Resolution des Generalrats der BWA von ihrer Jahrestagung in Birmingham im US-Bundesstaat Alabama "verurteilt die unprovozierte und ungerechtfertigte Invasion der souveränen Nation Ukraine durch Rußland, die am 24. Februar 2022 begann". Die Erklärung vom 15. Juli glaubt auch an "Frieden mit Gerechtigkeit und, daß dies die Wiederherstellung aller ukrainischen Gebiete von vor 2014 und die Wiedergutmachung von Kriegsschäden einschließen muß". Die Ukraine und ihre Freunde sind berechtigt, Krieg zu führen, bis Rußland besiegt ist.
Dies ist angeblich die einheitliche Position des Weltprotestantismus, wenn ich mehrere Aussagen verstehe. "Wir sind vereint" ist eine gängige Behauptung - das heißt wohl "vereint gegen Rußland".
Wieder einmal sind es die "Gottlosen", die die Christen zurechtweisen, wenn sie gegen die Gebote ihres Meisters verstoßen. Am 3. Dezember 2022 berichtete die ehemals kommunistische Berliner "Junge Welt", daß Justin Welby, der Erzbischof von Canterbury, versichert habe, daß "die Ukraine nicht gezwungen werden darf, einen Friedensvertrag mit Rußland zu akzeptieren". In dem BBC-Bericht vom Vortag war der Erzbischof zu dem Schluß gekommen, daß "die Folgen einer Enttäuschung der Ukraine 'unendlich schlimmer' wären als die Fortsetzung der Unterstützung für Kiew".
Und warum gehen Russen die Wände hoch, wenn sie die fromme Beteuerung hören, daß der russische Angriff "unprovoziert" war? Der Kreml hat sieben Jahre - und fast 14.000 Tote später - darauf gewartet, daß die Minsk-II-Vereinbarungen vom Februar 2015 umgesetzt werden. Diese Vereinbarungen sahen vor, daß die Ukraine militärisch blockfrei und in ihren Regierungsstrukturen föderativ sein sollte. Ich kann nichts Bedauerliches darin erkennen, die Ukraine in eine Art Österreich oder Schweiz zu verwandeln. Ein tiefgreifender und katastrophaler Fehler: Dieser Krieg hätte vermieden werden können. Angela Merkel und Petro Poroschenko haben inzwischen zugegeben, daß Minsk II im Wesentlichen ein Instrument war, um Zeit zu gewinnen - es war nicht vorgesehen, daß die Ukraine überhaupt unterschreibt.
William Burns, der damalige US-Botschafter in Moskau, hatte in einem Memo vom Februar 2008 davor gewarnt, daß Rußland in den Donbass einmarschieren würde, falls der
Westen die Ukraine tatsächlich in die NATO aufnimmt. Das wurde dann später im selben Jahr angeboten.
In den Tagen unmittelbar vor dem 24. Februar 2022 hatte der ukrainische Beschuß der Stadt Donezk dramatisch zugenommen. Spätestens seit 1990 plädiert Rußland für einen gemeinsamen Sicherheitsschirm für ganz Europa - die Antwort darauf ist der Vormarsch der NATO nach Osten. Ein letzter Versuch, die russischen Sicherheitsvorschläge vom 17. Dezember 2021, wurde vom "kollektiven Westen" ignoriert. Selenski reagierte im Februar mit der Zusicherung, die Ukraine werde sich notfalls Atomwaffen anschaffen.
Bitter, aber wahr: Die deutsche Wiedervereinigung basiert auf Betrug. Mehrfach hatten die westlichen Unterhändler 1990 mündlich zugesichert, die NATO werde sich nicht "einen Zentimeter nach Osten" über die Grenzen Deutschlands hinaus ausdehnen. Eine solche Zusicherung wurde aber nie unterzeichnet. Die Lüge ist also nur eine Lüge im moralischen Sinne, nur in den Augen Gottes eine Lüge. Juristisch gesehen ist sie keine Täuschung.
Der legendäre US-Diplomat George Kennan (1904-2005) hatte 1994 davor gewarnt, daß die Osterweiterung der NATO "eine unnötige Provokation Rußlands" darstellen und zu erheblichen Rückschlägen führen würde. John Mearsheimer von der University of Chicago warnte 2014, daß die Einbindung der Ukraine in das westliche Sicherheitsnetz zu ihrem Ruin führen würde. Im Jahr darauf schrieb sogar ich, daß die Ukraine zu 1/3 bis 2/3 geteilt werden sollte, wobei das östliche Drittel an die Unterstützer Rußlands gehen sollte. Ich fügte hinzu, daß die Aufteilung von Ländern nie schön ist, aber dennoch viel attraktiver als ein Krieg. Der US-amerikanische Rechtsanwalt Dan Kovalik, der im November 2022 Donezk besuchte, behauptete, daß Zbigniew Brzezinskis "The Grand Chessboard" von 1997 dort praktisch Pflichtlektüre sei.
In gewisser Weise ist dies eine Neuauflage der Kubakrise von 1962. Aber diesmal war kein JFK da, der bereit war, in den sauren Apfel zu beißen und einen Rückzieher zu machen. (Damals zogen die USA in aller Stille ihre Atomwaffen aus der Türkei ab.) Jetzt verlangt der Westen, daß Rußland schluckt, was die USA niemals akzeptieren würden: Die USA würden nicht dulden, daß russische Panzer in Windsor/Ontario stehen oder bis an die US-Grenze bei San Diego vorpreschen.
Eine verpaßte Chance
Viele politische Beobachter sind sich einig, daß erst Boris Johnsons überstürzter Flug nach Kiew Anfang April die sich anbahnenden Zugeständnisse im Anschluß an die russisch-ukrainischen Verhandlungen in Istanbul zunichte gemacht hat. Ein Stellvertreterkrieg ist eine abscheuliche Sache. Bei einer Anhörung zur Amtsenthebung Trumps am 23. Januar 2020 hatte der Demokrat Adam Schiff aus Kalifornien erklärt: "Die Vereinigten Staaten unterstützen die Ukraine und ihr Volk, damit wir Rußland dort bekämpfen können und nicht hier."
Ein Artikel von CEPA am 18. November, einer Denkfabrik, die stark von der US-Waffenindustrie finanziert wird, singt ein Loblied auf den Stellvertreterkrieg. "Aus der Sicht des Kosten-Nutzen-Verhältnisses ist die Unterstützung der USA und des Westens für die Ukraine eine unglaublich kosteneffektive Investition. . . . Dieser Krieg bietet den USA eine hervorragende Gelegenheit, Russlands konventionelle Verteidigungskapazitäten zu untergraben und zu schwächen, ohne daß Stiefel auf dem Boden stehen - und mit geringem Risiko für US-Bürger." Der Artikel trägt den Titel: "Es kostet die USA Peanuts, Rußland zu besiegen". Siehe: "www.youtube.com/watch?v=EzMSt4AlZiI".
Es ist kein Zufall, daß die USA etwa 800 Militärstützpunkte außerhalb ihrer eigenen Grenzen haben. Sie wissen genau, wo sie ihre eigenen Kriege zu führen gedenken. Und Wolodymyr Selenski hat sich politisch als Versager erwiesen: Er hat es versäumt, sich der Diplomatie zu bedienen, um das eigene Volk vor Schaden zu bewahren.
Es gibt Hunderte von Artikeln, die über die komplexen und äußerst erfolgreichen Desinformationskampagnen des Westens berichten. Ende Mai berichteten "Newsweek" und "Consortiumnews", daß Ludmilla Denisowa, die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, wegen unzähliger unbegründeter Behauptungen über Sexualverbrechen russischer Soldaten ihres Amtes enthoben worden sei. Und Rußland hat tatsächlich seine eigene 12 Milliarden Dollar teure Pipeline gesprengt?
Und der Begriff "brutaler Krieg" ist Propaganda, eine Tautologie, denn mir ist kein "unbrutaler" Krieg bekannt. Würde jemand behaupten, die USA hätten im Nahen Osten "unbrutale" Kriege geführt? Ich erinnere mich an den Begriff "shock and awe" (Erschrecken und Ehrfurcht) aus dem Jahr 2003. Der Begriff "Genozid" wird heute höchst inflationär angewandt - es handelt sich um etwas, dessen sich nur der Gegner schuldig macht.
Russische Protestanten im Abseits
Der Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen der Ukraine und Rußland im Jahr 2014 war für die Protestanten in Rußland traumatisch. Seit den 1970er Jahren hat sich der russischsprachige Protestantismus weit über die Grenzen der ehemaligen UdSSR hinaus ausgebreitet. Die Mehrheit hat heute einen großen Teil ihrer Freunde und Verwandten in der Ukraine und im Westen. Bei so viel Diaspora kann ein Krieg mit Rußland heute nur ein Bruderkrieg sein, ähnlich wie ein Krieg zwischen den beiden ehemaligen deutschen Staaten.
"Keine große Sache", werden viele russische Protestanten zu versichern versuchen. "Wir haben lange Zeit allein und ohne den Westen gelebt." Aber das war vor dem Aufbruch in den Westen nach 1970.
Ein Indiz für die gegenwärtige Orientierungslosigkeit ist ein internationaler baptistischer Appell an den Kreml vom 10. Oktober 2022: "Wir bitten die russische Regierung, wie in den vergangenen fast 100 Jahren, diese theologische Überzeugung weiterhin zu respektieren und die Baptisten in Rußland als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen vom Militärdienst auszunehmen." Die Erklärung wurde gemeinsam von BWA, EBF und Peter Mitskewitsch, Präsident der "Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten" (RUECB), unterzeichnet. Dies ist ein sehr einseitiges Verständnis von Pazifismus: Am 15. Juli hatten sich BWA und EBF für den ukrainischen Krieg bis hin zum endgültigen Sieg Kiews ausgesprochen. Diese Meinung habe ich in den letzten 10 Jahren wiederholt von den protestantischen Patrioten der Ukraine gehört: "Wir werden unser Land bis zum bitteren Ende verteidigen."
Als im April 2014 die bewaffneten Auseinandersetzungen im Donbass ausbrachen, war es der Baptist Oleksandr Turtschynow, der als Befehlshaber der ukrainischen Streitkräfte die Kiewer Panzer in Marsch setzte.
Der Verwaltungsdirektor der RUECB, Wladimir Miskewitsch, betonte in einem Interview mit dem Autor, daß die RUECB am 10. Oktober nur die besten Absichten hatte und vor allem ihre jungen Männer vor Schaden bewahren wollte. Rußlands Patriarch Kirill habe die Behörden gebeten, 14.000 orthodoxe Geistliche und Mitarbeiter vom Militärdienst zu befreien; die Zahl der betroffenen Baptisten werde kaum über 2.000 liegen. Miskewitsch fügte hinzu, daß niemand die Russen konsultiert habe, bevor die Erklärung in Birmingham unterzeichnet wurde.
Wiktor Ignatenkow, der Vizepräsident der RUECB, fügte hinzu, daß es "in einem Krieg zwischen Brüdern keinen Sieger geben kann". Die Mittel zur Bekämpfung des Bösen müssen der Aufgabe angemessen sein: "Man kann Satan nicht mit Panzern besiegen."
Trotz guter Absichten rief die gemeinsame Erklärung vom 10. Oktober die Mißbilligung einiger Protestanten hervor. Ein führender Pfingstler in Moskau versicherte: "Die Baptisten sollten ihre Papiere von Experten überprüfen lassen, bevor sie so etwas veröffentlichen." Meiner Einschätzung nach war die Erklärung ein Ausdruck des Wunsches der russischen Baptisten, in der Gunst der westlichen Baptistenfamilie zu bleiben.
In der Erklärung aus Birmingham erklärte Igor Bandura, der Vizepräsident des ukrainischen Baptistenbundes, daß "trotz der berichteten Greueltaten ... die ukrainischen Baptisten mit Liebe und Mitgefühl reagieren". Der Präsident der ukrainischen Union, Waleri Antoniuk, hatte den russischen Baptisten Ende März in einer Ansprache verboten, den Bedürftigen in den von Rußland gehaltenen Gebieten humanitäre Hilfe zu leisten. Das Front Office der RUECB bezeichnet diese Haltung als "schweren Fehler". Moskau hat lange gehofft, daß eine Art gegenseitiger humanitärer Dienst möglich wäre, bei dem sowohl die in Kiew als auch die in Moskau ansässigen Unionen in den Regionen tätig werden, zu denen sie jeweils Zugang haben. "Schließlich bleiben wir eine einzige Kirche" - sagt Moskau.
Ein russischer Pastor, der die humanitäre Arbeit der Protestanten in der Region Rostow und im Donbass leitet, betont, daß derzeit keine öffentliche Berichterstattung über diesen Dienst möglich sei. Er erklärte: "Es gibt derzeit keine Möglichkeit für einen (sinnvollen Dialog mit den Ukrainern). Jede Information von unserer Seite lädt zu Kritik ein und hindert uns daran, den (im Donbass) verbliebenen Christen und all jenen zu dienen, die in extremer Not sind, einschließlich jener, die für die Frohe Botschaft offen sind."
Im Oktober prophezeite ein führender ukrainischer Baptist einem russischen Freund, daß die ukrainische Armee am 9. Mai 2023 über den Roten Platz marschieren werde. Erst die Entwicklungen vor Ort in diesem Winter werden ein Abrücken von solchen Überzeugungen erzwingen.
Mir fällt auf, daß die Moskauer Protestanten und ich nicht immer auf der gleichen Welle liegen. Ihre Sicht der Dinge ist stark von den Mainstream-Medien sowohl in Rußland als auch im Westen geprägt; sie haben natürlich auch alle möglichen persönlichen Verbindungen zu Ukrainern. Ich hingegen verlasse mich am meisten auf die linksgerichteten alternativen Medien, vor allem in den USA und im Vereinigten Königreich. Und warum vertraue ich ihnen am meisten? Sie haben die Auslandskriege der USA zumindest seit Korea richtig interpretiert und ich sehe keinen Grund, warum sie sich dieses Mal irren sollten. Wichtiger Hinweis: "Links" und "liberal" sind im US-Kontext keineswegs synonym.
Erlauben Sie mir, ein paar von sehr vielen alternativen Nachrichtenquellen aufzulisten. Auf der linken Seite: Brian Becker, Medea Benjamin, Max Blumenthal, Stephen Cohen, Consortiumnews, Counterpunch, Gilbert Doktorow in Brüssel, Tulsi Gabbard, Glen Greenwald, Chris Hedges, Jackson Hinkle, Abby Martin, Aaron Maté, Ray McGovern, The New Atlas aus Thailand, John Pilger, The Real News, Jeffrey Sachs, Oliver Stone, Matt Taibbi, Richard Wolff.
Die Rechte will gelegentlich nur Frieden mit Rußland - nicht mit China: "antiwar.com", Tucker Carlson, The American Conservative, Henry Kissinger, Doug Macgregor, Ex-Botschafter Jack Matlock, John Mearsheimer, Alexander Mercouris, Ron und Rand Paul, Scott Ritter.
Zu den deutschen Stimmen auf der Linken gehören: Ulrich Heyden in Moskau, "Junge Welt", Gabriele Krone-Schmalz, Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht.
Ein Wort zu dissidenten protestantischen Medien in Rußland: Der Youtube-Kanal "Wsglad s Nebesnoi" (Ein Blick vom Himmel) wird von Albert Ratkin aus Kaluga bei Moskau geleitet. Als Bischof steht Ratkin an der Spitze einer kleinen Gruppe von dissidenten Pfingstlern. (Juri Sipko, bis 2010 Präsident des russischen Baptistenbundes, ist in einigen Beiträgen zu sehen, in denen er die Politik des Kremls vor allem in Bezug auf die Ukraine angreift. Zu den jüngsten Beiträgen gehört der Titel: "Der FSB und seine Kollegen in der ROSChWE (Rjachowskis Union) decken die Kirche". Ein Interview mit Wasili Petschko, einem Pfingstpastor in Sacramento, trägt den Titel: "Die Hände des ROSChWE-Chefs Sergei Rjachowski sind mit Blut besudelt".
Im Jahr 2021 war Ratkins Gruppe mit der „Russischen Evangelischen Allianz" verbündet, die heute von dem Baptisten Witali Wlasenko geleitet wird. Aus offensichtlichen Gründen halten die offiziellen protestantischen Vereinigungen Rußlands Abstand zu Ratkins Gruppe.
Was könnte eine christliche Reaktion sein?
Es ist leicht (und notwendig) zu behaupten, daß die massive Ausweitung der Feindseligkeiten durch Rußland am 24. Februar 2022 übertrieben und eine Überreaktion war. Auch ich habe mein ganzes Leben als Verfechter pazifistischer Positionen verbracht. Aber ich habe leider keine Gewißheit, daß ein freiwilliger Abzug der russischen Anhänger im Donbass nach Rußland selbst (eine ethnische Säuberung) oder massive Sanktionen nach westlichem Vorbild den Vormarsch der NATO gen Osten hätten aufhalten können. Alexander Mercouris und andere weisen darauf hin, daß Angela Merkel und Francois Macron "nie wirklich glaubten", daß Rußland es ernst meinte. Sie haben bis zuletzt geglaubt, daß eine bestimmte Menge an Euro ausreichen würde, um die Russen zum Umdenken zu bewegen und ihre roten Linien fallen zu lassen.
Es ist der Westen, der jetzt handeln muß. Diese globale Krise wird erst dann abebben, wenn die US-Außenpolitik die Existenz einer multipolaren Welt akzeptiert und die unipolare Wolfowitz-Doktrin von 1992 verwirft. Solange die USA das Aufkommen neuer Großmächte wie Rußland, China und Indien nicht akzeptieren können, wird es keinen Frieden geben. Regionalmächte (Deutschland und sogar das Vereinigte Königreich) scheinen sich damit zufrieden zu geben, gegenüber einer Supermacht die zweite Geige zu spielen. Für bestimmte Großmächte oder alte Mächte (Iran) trifft dies jedoch nicht zu. Ein friedlicher wirtschaftlicher Wettbewerb innerhalb einer multipolaren Welt ist die einzig mögliche globale Option für die Zukunft.
Werden die Protestanten in Rußland und der Ukraine jemals wieder miteinander reden? Vor etwa fünf Jahren versicherten mir junge baptistische Freunde aus der Westukraine, daß Politik ein schmutziges und teuflisches Geschäft sei. Heute sitzen sie den Krieg in Deutschland aus.
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde viel Tinte darauf verwendet, die „Modernisierung" der ukrainischen Baptistenbewegung zu beschreiben. Die Protestanten kümmern sich nicht mehr nur um sich selbst. Oder wie Antoniuk versichert: "Die Kirche ist kein Teil der Regierung, aber sie ist ein Teil der Gesellschaft". Doch nach nordamerikanischem Vorbild haben sich die ukrainischen Baptisten voll in die staatlichen Angelegenheiten – einschließlich der militärischen – hineingestürzt.
Ein Moskauer Baptist ist jedoch der Meinung, daß diese "Modernisierung" die "unteren" 60 % der ukrainischen Kirche nicht berührt hat. Es ist vor allem die Jugend, die westlich gebildete Intelligenz, die diesen Wandel vorangetrieben hat. Wenn die Schießerei erst einmal aufgehört hat, sind es die alten 60 %, die in der Lage sein werden, die jahrtausendealten Bindungen innerhalb "Ostslawoniens" (lassen wir den Begriff "Rus" einmal beiseite) neu aufleben zu lassen. Die 60 % sind nicht in eine vereinfachende, eindimensionale Weltsicht verfallen, die fast alles östlich des Bug als verwerflich bezeichnet. "Unpolitisch" ist altmodisch und „uncool“ - aber es läßt die Tür für Gespräche und Versöhnung offen, sobald das Töten aufgehört hat.
Peter Dudnik ist ein Pfingstpastor und langjähriger humanitärer Helfer in Slawiansk im politischen Westen der Region Donezk. Er versicherte mir am 1. April 2015 in Slawiansk: "Wenn du den Schmerz der Menschen siehst, dann ist die Frage nach dem Schuldigen nicht mehr so wichtig. Dann gilt nur noch die Frage: Wie kann ich dieses Leiden abstellen?“
Auf Facebook sieht man, daß Dudnik immer noch in Slawiansk wirkt. Ein Moskauer Pastor behauptet, daß, obwohl 80 % der Baptisten die Ukraine verlassen haben, die Kirchen immer noch voll sind. Mögen wir alle einen besseren Tag und eine wiederbelebte Kirche erleben.
Dr.phil. William Yoder
Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, 30. Dezember 2022
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