1. Das Hauptgebäude des "Dom Miloserdia"
2. Direktor Igor Mikljaew
3. Ekaterina (Katja) Koslowa
4. Oben auf dem unsinkbaren Segelschiff bei "Zhemtschuzhinka“
Blühende Landschaften am Rande von Belarus
Reportage
L a d u s c h k i n -- Nach zehnjähriger Abwesenheit war ich im Juni 2022 schockiert, als ich in Imenin nördlich der baptistischen Hochburg Kobrin das Seniorenheim „Haus Miloserdia“ (Haus der Barmherzigkeit) aus der Ferne erblickte. Von ihrer herrlich, üppig-grünen Umgebung im Südwesten von Belarus fast verschluckt, verfügt das Heim auch über ein mir bisher unbekanntes Büro- und Versammlungsgebäude. Es ist größtenteils von einer Kleininitiative aus Deutschland finanziert worden. Dahinter arbeitet seit fast zehn Jahren die werkseigene Bäckerei, die den Eigenbedarf deckt und mit dem Verkauf in der Umgebung einen bescheidenen Gewinn erwirtschaftet.
Nur ein paar hundert Meter weiter nördlich residiert die Muttergesellschaft: das Kinderlager und Tagungszentrum „Zhemtschuzhinka“ (Perlchen). Dort erspähte ich erstmals ein hölzernes Segelschiff fast in Lebensgröße, das als unsinkbares Spielgerüst dient. Überdachte Aussichtsplattformen ragen in den Teich hinein; flotte christliche Musik schallt über das Gelände. Die Sportplätze sind gefüllt. Viele Räume auf diesem ehemaligen Militärgelände sind neu saniert; die Kinderpoliklinik ist weiterhin in Betrieb. Die ganzjährliche Auslastung ist noch nicht optimal, aber rund 230 Kinder nehmen jeweils an den drei bis fünf Sommerlagern pro Jahr teil.
In den 90er Jahren gaben es Fälle von Korruption im Rahmen des Projekts „Zhemtschuzhinka“. Man könnte es als ein göttliches Wunder bezeichnen, daß ein mehrmals totgesagtes Projekt sogar in der heutigen Krisenzeiten noch weiter wächst. Die Mühe, die vielen Spenden und auch die Rückschläge scheinen nicht umsonst gewesen zu sein. Ein kleiner Baptistenbund mit weniger als 14.000 Mitgliedern ist in der Lage, ein wahres Schmuckstück zu besitzen.
Selbst US-Amerikaner sind noch da – allerdings in bescheidener Anzahl. Eine geborene Mennonitin aus Minnesota verbringt derzeit einige Wochen als Betreuerin im Kinderlager.
Neben der gewaltigen Baptistenkirche in Kobrin bestehen weiterhin die Redaktionsräume der Bundeszeitung „Kryniza Zhyzzia“. Allerdings verfügt sie über einen neuen Schriftleiter: Pastor Sergei Romanowitsch aus Baranowitschi. Er ist u.a. auch als Übersetzer englischsprachiger Bücher tätig.
Das Seniorenheim selbst konnte mit keinen Bewohnern aufwarten, als es am 26. Juni 2010 (siehe „Belarus“ unter „wyoder.de“) eingeweiht worden ist. Allerdings waren 52 Sponsoren und Gäste aus den USA bei den Feierlichkeiten anwesend. Die baptistische „Future Leadership Foundation” und ein Netzwerk von Seniorenheimen aus Missouri haben sich rund zwei Jahrzehnte lang aufopferungsvoll und rührend um das Projekt bemüht. Allerdings lief die finanzielle Unterstützung Ende 2016 aus.
Schon 2013 hatte das Heim 21 Bewohner. Heute ist das Haus mit 46 Bewohnern sogar überbelegt. Würde man nur Zwei-Bett-Zimmer zulassen, hätte man nur 40 Plätze auf
zwei Etagen zur Verfügung. Ein „lebensrettender“ Aufzug ist im Einsatz.
Finanzen
Heimleiter Igor Mikljaew berichtet, daß die Versorgungskosten pro Bewohner auf 800 belarussische Rubel (304 Euro) pro Monat belaufen. Die Renten liegen jedoch im Durchschnitt nur zwischen 500 und 700 Rubel im Monat. Für die Differenz kommt der Nachwuchs der Bewohner manchmal auf. In einigen wenigen Fällen gleicht eine Gemeinde die Differenz aus; nur 20% der Bewohner sind selbst Baptisten. Das Monatsbudget des Hauses beläuft sich auf 800.000 Rubel bzw. 304.000 Euro. Das Durchschnittseinkommen bei den 27 Mitarbeitern liegt bei monatlich 500 Rubel (190 Euro) pro Person.
Allerdings gestatten die laufenden Einnahmen keinerlei Luft für Neuanschaffungen. Pastor Mikljaew versichert, daß Teile der Heizung und Küche in die Jahre kommen und ersetzt werden müssen. Doch zusätzliches Geld bekommt man nur auf Umwegen. Die große Kobriner Gemeinde z.B. hat kürzlich dem Heim eine deutsche Waschmaschine schenken können. Da staatliche Zuweisungen mit erheblichen Vorlagen verbunden sind, werden sie nicht in Anspruch genommen.
Neue Spenderkreise sind stets willkommen, doch Heimleiter Mikljaew versichert, es wäre ihm sehr peinlich, die Südbaptisten aus Missouri noch einmal um Hilfe zu bitten. „Roger Hatfield, Steven Jones und andere haben bereits sehr viel für uns getan! Wenn diese Freunde nicht für uns gespendet hätten, gäbe es heute hier nichts.“
Das Personal
Der Russe Igor Mikljaew (geb. 1965) stammt aus Taschkent in Usbekistan. Als Sowjetsoldat lernte er in Zhabinka (ein Ort ein wenig östlich von Brest) seine spätere Frau kennen. Der Fußballer und studierter Trainer zog 1993 nach Zhabinka um. Das Ehepaar hat sich erst im Jahre 2000 bekehrt. Es erfolgte ein Theologiestudium in Minsk; 2006 wurde Mikljaew ordiniert. Noch heute ist er Pastor einer Baptistengemeinde in Zhabinka; sein Dienst im „Dom Miloserdia begann“ vor genau 10 Jahren in Juni 2012. Igor und Walentina haben drei Kinder; eine Schwiegertochter ist Chefärztin in einem Brester Kinderkrankenhaus.
Seine rechte Hand im Seniorenheim ist die sympathische, 38-jährige Ekaterina (Katja) Koslowa. Auch ihr Vater ist Baptistenpastor in Zhabinka. Da sie ledig ist, kann sich sich ganz der Arbeit widmen. Mikljaew versichert: „Wenn man um etwas bittet, sagte sie nie ab. Sie hat ein sehr hohes geistiges Niveau, ist bescheiden und beklagt sich nie.“ Da der Direktor gegenwärtig kein Auto fährt, ist Katja sogar als Chauffeurin gefragt.
Es war ausgerechnet der jüngste Bruder von Katja, Danil Koslow, der im Oktober 2010 in Minsk den vierten Preis beim Wettbewerb „Junior Eurovision“ gewann (siehe „www.youtube.com/watch?v=JJfG-0RxeI0“). Da schon damals ihre Mutter schwer erkrankt war, war es Katja, die den 13-Jährigen bei seinen Auftritten begleitete. Heute lebt der Pastorensohn Danil gemeinsam mit seiner Ehefrau in Krakau/Polen.
Die Zukunft
Die Leitung des belarussischen Baptistenbundes gibt bereitwillig zu, daß der Bund unter der finanziellen Last von „Dom Miloserdia“ und „Zhemtschuzhinka“ ächzt. Formelle Partner im Westen gibt es nicht; man hofft auf gelegentliche Zuwendungen aus Ost und West. Muß der Bund irgendwann diese wichtigen Projekte abstoßen?
Dank der Sanktionen gibt es heute mehr Mauern zwischen Ost und West als zu Zeiten des Kalten Krieges. Man befürchtet weitere, zukünftige Aufspaltungen unter den Protestanten in der Ukraine, Belarus und Rußland. Doch positivdenkende Menschen wie Sergei Romanowitsch versichern, daß Christen eine Brücke sein können: „Christus muß die Basis sein, auf der eine Aussöhnung stattfinden kann.“
William Yoder, Ph.D.
Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, 1. Juli 2022
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