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Gespräch mit dem Pastor der größten protestantischen Gemeinde Moskaus

Matts-Ola & Randi Ishoel auf dem Roten Platz; das kirchliche Zentrum in der Pawla-Kortschagina-Straße in Moskau. Beide Fotos gehören "Wort des Lebens Moskau".

 

Rußland ist kein verlorener Fall

 

L a d u s c h k i n -- Matts-Ola Ishoel (ausgesprochen „Mahhts-Uuuhhla Isss-Ho-el“) ist Norweger mit einer schwedischen Mutter, der das erste Jahrzehnt seines Lebens in Schweden verbrachte. Er kam 1959 in einer baptistischen Familie zur Welt und schloß sich später der charismatischen "Wort des Lebens" (Livets Ord) Bewegung an, die 1983 von Ulf Ekman in Uppsala/Schweden gegründet wurde. Nachdem er acht Jahre lang als Jugendpastor in Oppdal in Mittelnorwegen gearbeitet hatte, zogen Matts-Ola und seine Frau Randi 1996 nach Moskau um. Bereits nach zwei Jahren wurde er leitender Pastor einer jungen Gemeinde, die von Ulf Ekman gegründet und anfangs von dem Schweden Christian Akerhielm angeführt worden ist.

 

Schon 1996 lagen die Besucherzahlen bei 1.000. Die Gemeinde erwarb 2006 ein Auditorium mit 1.220 Plätzen in der Pawla-Kortschagina-Straße im nördlichen Zentrum Moskaus. Heute ist "Wort des Lebens" die größte protestantische Gemeinde Moskaus mit 6.000 Teilnehmern, die sich an 26 Orten in Moskau und Umgebung versammeln. Die Zahl der bezahlten, hauptamtlichen Mitarbeiter liegt bei 100; etwa 35 von ihnen (alle männlich) tragen den Titel "Pastor". Das größte aktuelle Projekt der Gemeinde ist der „Süd-Campus“, ein neues Jugendzentrum mit einer Halle von 600 Plätzen, das in der Nähe der Metrostation „Wolgogradski Prospekt“ im östlichen Zentrum Moskaus entsteht. Der Erwerb dieser Immobilie kostete 144 Millionen Rubel (rund 1.655.000 Euro).

 

"Wort des Lebens" hat auch Gemeinden in St. Petersburg, Samara und Sotschi sowie in vier der fünf zentralasiatischen Republiken, Armenien und Aserbaidschan. Matts-Ola ist ein Vizepräsident des von Sergei Rjachowski geleiteten Dachverbands "Assoziierte Russische Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE).

 

Das Paar hat vier Kinder im Alter zwischen 18 und 23 Jahren, die alle in Russland adoptiert worden sind. Matts-Ola, der nur die norwegische Staatsbürgerschaft besitzt, traf sich am 25. Januar 2022 zu einem Gespräch mit mir in Moskau.

 

Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Es gibt sehr fleißige Pastoren in Moskau, die nach vielen Jahren immer noch winzige Gemeinden haben. Worin könnte der Unterschied liegen?

Ich denke, es ist sehr wichtig, demütig und dankbar zu sein. Ich kann pflanzen und gießen, aber Gott sorgt für das Wachstum. Zum "Erfolg" gehört auch viel mehr als nur die Anzahl der Menschen. Am Ende des Tages wird Gott über uns urteilen. Seine erste Frage wird nicht sein, wie viele Menschen Sie in der Gemeinde haben. Er wird stattdessen fragen: "Seid Ihr Eurer Berufung treu geblieben?"

 

Wir haben sehr viel Wert auf Teamarbeit gelegt. Ich habe absolut wunderbare Kollegen. Wir planen zusammen, wir arbeiten zusammen und nehmen am Leben des anderen teil. Wenn wir Einkehrtage durchführen, bringen sie ihre Ehefrauen mit.

 

Viele Pastoren machen zu viel selbst; sie planen allein. Ich bin zwar der leitende Pastor und habe das letzte Wort, aber ich bespreche alles mit den Mitarbeitern. Wir verbringen ganze Tage damit, gemeinsam Pläne zu schmieden und herauszuloten, wie wir zusammenarbeiten können. Dies hat ein Gefühl von Teamwork und Partizipation geschaffen. Ich sage ihnen, daß nicht nur der leitende Pastor Gott hören kann. Jeder kann eine gute Idee haben. Wir betonen die Einheit. Ich muß nicht an jeder Entscheidung beteiligt sein, aber ich muß über die Dinge Bescheid wissen. Wir haben eine Atmosphäre der Freiheit und der Zusammenarbeit, des Teamdenkens. Das ist der Schlüssel.

 

Wie viele Ihrer Glieder kommen aus anderen Konfessionen? Werden Sie beschuldigt, anderen die Schafe zu stehlen?

Ich weiß es nicht wirklich. Wir nehmen zwar Leute aus anderen Kirchen auf, aber wir führen kein Buch darüber. Wir sind in dieser Sache recht vorsichtig. Wenn mir jemand sagt, daß er russisch-orthodox ist, sage ich ihm nie und nimmer, daß er in unsere Kirche wechseln sollte. Wenn sich jemand in der orthodoxen Kirche wohlfühlt, soll er dort bleiben!

 

Was hat sich in den letzten zehn Jahren für Ihre Kirche verändert?

Gehen wir weiter zurück. Am Anfang waren evangelische Kirchen etwas Neues und Aufregendes. Leute kamen in die Kirche, nur weil Besucher aus den USA oder Westeuropa da waren. Die Leute waren neugierig, aber diese Zeit ist definitiv vorbei.

 

Pastoren müssen jetzt strategisch denken, sie müssen Führungskräfte ausbilden. Es reicht nicht aus, wenn eine Gemeinde nur einen guten Prediger hat. Kirchen, die nur Wert auf einen guten Sonntagsgottesdienst legen, werden oftmals untergehen, weil zu einer Kirche sehr viel mehr gehört. Eine Kirche erfüllt die Bedürfnisse der Menschen. Die Menschen müssen zu Jüngern gemacht werden und sich in der Arbeit der Kirche engagieren. Andernfalls ist es für sie sehr leicht, die Gemeinde wieder zu verlassen.

 

Können Sie mir sagen, wie viel Ihres Budgets aus ausländischen Quellen stammt?

Praktisch nichts. Natürlich kann ein ausländischer Gast etwas in den Opferteller werfen. Aber niemand hat uns ein Darlehen gegeben. Unsere Einnahmen für das Jahr 2020 betrugen 112 Millionen Rubel (rund 1.287.400 Euro). Sie wurden von unseren eigenen Leuten hier aufgebracht. Das ist eine Menge Geld. Aber man wächst zusammen, wenn man gemeinsam gelitten hat, um etwas zu erreichen. Dieses gegenseitige Opfern schweißt zusammen, und ohne dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit kann man keine Kirche sein.

 

Randi fügte hinzu: Wir wissen von einer jungen Frau, die das Geld, das sie für ihre Hochzeit und ihre Flitterwochen gespart hatte, der Gemeinde spendete.

 

Ich denke, etwas fühlt sich nur dann wirklich wie das Ihre an, wenn man es selbst bezahlt hat.

Ich und Randi sind die einzigen aus dem Westen in der Gemeinde. In den letzten 20 Jahren hatten wir keine westlichen Mitglieder mehr. Eigentlich sehe ich mich als Russe - wenn ich in Norwegen bin, werde ich als Russe angesehen. Ich habe mich unglaublich wohl gefühlt, als ich nach Rußland gezogen bin. Ich fühle mich wie ein russischer Patriot. Es ist nichts falsch daran, wenn Ausländer in Rußland arbeiten. Aber mit der Zeit muß ihre Arbeit an Einheimische übergeben werden.

 

Das "Slavic Legal Centre" und andere Quellen berichten von unzähligen Streitereien in Bezug auf Kircheneigentum. Wie kommt man mit einem Staat zurecht, der restriktiv geworden ist?

Ich sage immer, wenn ich im Westen bin, daß wir nie Probleme mit der Regierung hatten. Sie hat uns nie eingeschränkt oder angegriffen. Ich weiß, daß es in Rußland Probleme gegeben hat, aber die sind auf lokaler Ebene entstanden.

 

Lokale Beamte wissen oft sehr wenig über Protestanten. Wir müssen sie informieren.

Manche Dinge werden im Westen hochgespielt. Ich möchte in aller Bescheidenheit behaupten, daß wir sehr darauf geachtet haben, alle unsere Steuern zu zahlen und alles rechtmäßig zu tun. Wir haben Gemeinden in unserem ROSKhWE-Verband, die ihre Gebäude verloren haben. Aber sie waren illegal gebaut worden. Wenn man das in Norwegen täte, bekäme man auch dort Ärger. Wenn bewußt gegen Gesetze verstoßen wird, kann man das nicht als religiöse Verfolgung bezeichnen.

 

Sie zahlen also die Gehälter Ihrer Mitarbeiter nicht in weißen Umschlägen aus?

Nein, wir zahlen Steuern für alle unsere Arbeitnehmer. Für mich ist das nicht nur eine Frage der Legalität - es ist eine Gewissensfrage. Wir haben unseren Pastoren von Anfang an beigebracht, daß wir unsere Steuern zahlen müssen, wenn wir wollen, daß Gott unsere Arbeit segnet. Ich bin mir absolut sicher, daß dies einer der Gründe ist, warum Gott uns segnet.

 

Ihr Erfolgsgeheimnis ist, daß Sie sich an die Regeln halten.

Das ist wohl ein Teil der Wahrheit.

 

Wie sind Ihre Beziehungen zu den Kirchen in Belarus und der Ukraine?

Wir sind in der Ukraine aktiver, aber die Beziehungen zwischen unseren Kirchen sind sehr gut. Wir sprechen nicht über Politik. Wir beten für unsere Länder und Führer; wir beten für den Frieden und für friedliche Lösungen. Politische Fragen sind äußerst heikel, und wir wollen nicht, daß sie die Beziehungen zwischen uns zerstören.

 

Der Pfingstpastor Gennadi Mochnenko in Mariupol an der Front in der von Kiew regierten Ukraine ist ein vehementer Befürworter des militärischen Widerstands gegen die pro-russischen Donbass-Republiken. Würden Sie ihn öffentlich kritisieren?

Nein. Es mag Themen geben, die öffentlich angesprochen werden müssen, aber im Allgemeinen gilt: "Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden die Söhne Gottes genannt werden." In unseren Kirchen muß es Platz für alle geben. Das ist nicht der Ort für Politik, das ist das Reich Gottes. Einzelne Menschen können wählen. Sie können Mitglied einer politischen Partei sein, aber wir als Kirche konzentrieren uns auf das Reich Gottes. Ich glaube, die Bibel ist hier sehr klar: Zahlt eure Steuern und betet für die Regierung.

 

Aber wir setzen uns für moralische Fragen und Werte ein. Wir unterstützen traditionelle Familienwerte.

 

Was müssen westliche Christen über uns wissen?

Wir wollen ihnen zeigen, daß man gleichzeitig zeitgemäß und konservativ sein kann. Ich glaube, daß in Rußland etwas passiert. Wir sind eine zeitgenössische Kirche mit einer uralten Botschaft. Die Kirche muß in der Lage sein, mit den Menschen in der heutigen Gesellschaft zu kommunizieren. Die Botschaft mag gut sein, aber Sie können die Menschen nicht erreichen, wenn Sie nicht kommunizieren können.

 

Aber wenn die Gesellschaft ihre Werte ändert, dann ändern wir unsere Werte nicht, um anderen zu gefallen. Es ist mir nicht gegeben, die Botschaft zu ändern. Wir haben unsere Botschaft vom Herrn.

 

Es gibt Leute, die auf ein neues christliches Bündnis zwischen konservativen westlichen Protestanten und der russischen Orthodoxie drängen. Können Sie sich Rußland als den letzten standhaften Verteidiger des historischen Christentums vorstellen?

Wir müssen abwarten und sehen. Ich persönlich habe größten Respekt vor der orthodoxen Kirche. Ich habe die letzten beiden Patriarchen getroffen und betrachte Metropolit Hilarion (zuständig für Außenbeziehungen) als einen Freund. Hilarion und ich vertraten Rußland beim großen "Jesus Global Youth Day" auf den Philippinen im August 2019. Wir waren gemeinsam dort. Wenn es um Fragen wie Werte und Konservatismus geht, sind wir definitiv im selben Team. Wenn wir weltweit gemeinsam für die klassischen christlichen Lehren und für klassische Familienwerte eintreten könnten, dann wäre das wunderbar.

 

Finden Sie Franklin Graham zu parteiisch oder zu politisch?

Ich weiß nicht viel über seine Rezeption und Arbeit in Amerika. Darauf stehe ich nicht wirklich. Er hat vor kurzem in unserer Kirche gesprochen und es war wunderbar.

 

Haben Sie keine Befürchtungen, was die Zukunft der Kirche in Rußland angeht? Könnten Sie bald als ausländischer Agent abgestempelt werden?

Ich bin eher optimistisch, was die Zukunft der Kirche in Rußland angeht. Ich glaube, daß die Behörden die Religionsfreiheit wirklich wollen. Und wenn die Kirche wirklich versteht, was ihre Berufung ist, dann wird Gott sie beschützen. Ich weiß, was einige westliche Pastoren prophezeit haben, aber in meinem Herzen blicke ich viel optimistischer in die Zukunft.

 

Ich denke, Rußland ist weltweit dazu berufen, ein missionarisches Land zu sein, für die klassischen christlichen Lehren und Werte einzustehen. Wenn es der Welt zeigen kann, daß man auf der Grundlage dieser Werte wachsen und gedeihen kann, dann muß der Westen das wahrnehmen. Rußland ist eine starke Nation; es hat eine Stärke, die Gott nutzen wird. Der russische Charakter ist von einer gewissen Furchtlosigkeit geprägt. Wir haben von hier aus Missionare ausgesandt, und ich denke, ihre Zahl wird noch zunehmen. Sie haben eine Kühnheit, die vom Herrn kommt. Sie haben eine Macher-Einstellung und großes Vertrauen zu Gott. Darin liegt etwas Göttliches, das die Welt segnen wird. Das glaube ich wirklich.

 

Dr.phil. William Yoder
Laduschkin, Gebiet Kaliningrad, den 11. Februar 2022


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