· 

Die Amischen der USA haben eine große Zukunft vor sich

Eine Kirche mit Zukunft

--------------------------------------------------

Zum jetzigen Stand bei den Amischen in USA

 

L a d u s c h k i n -- Die Amischen, eine Unterabteilung der süddeutschen und schweizerischen Mennonitenkirchen aus dem Jahre 1693, verstehen etwas von der Vergebung. Ihr Ruhm reichte bis China nach einem Anschlag auf eine Grundschule in Nickel Mines/ Pennsylvania im Oktober 2006. Damals hatte ein Attentäter fünf Mädchen getötet und fünf weitere ernsthaft verletzt, ehe er sich selbst hinrichtete. Unmittelbar danach trösteten die Amischen selbst den bitterlich weinenden Vater des Mörders, luden die Witwe zu den Beerdigungen ein und sammelten Geld für sie und die Kinder. Die Amischen waren um das Wohlergehen aller Betroffenen besorgt. Der Film darüber von 2010 hieß „Wie auch wir vergeben“ auf Deutsch; die chinesische Fassung stieß auf ein gewaltiges Echo.

 

Ich selbst bin amischer Abstammung. Vor rund 20 Jahren war die Tochter eines amischen Cousins auf die schiefe Bahn geraten; sie wurde drogenabhängig. Später schaffte sie den Ausstieg; heute ist sie eine amische Ehefrau und Mutter. Wer einmal den Abschied genommen hat, kann dennoch bei entsprechender Reue mit einer Wiederaufnahme rechnen.

 

Apropos Drogen: Die Amischen dürfen keineswegs verwechselt werden mit jenen Familien der „Alt-Kolonie“ in Mexiko, die dort am Drogengeschäft beteiligt sind. Die Alt-Kolonie stammt von dem Zweig der norddeutschen und holländischen Mennoniten, die auf den Umweg über die Ukraine und Rußland den Weg nach Nordamerika fand. Ihr Dialekt und ihre Familiennamen decken sich nicht mit jenen der Amischen; beide Gruppen wissen auch kaum voneinander. Schwarze Schafe haben die Amischen natürlich auch.

 

Das bringt uns zur Problematik der Ethnizität. Ben Goossen von der Harvard-Universität weist darauf hin, daß die Mennoniten der Ost-Ukraine gerade wegen ihrer rein deutschen Herkunft 1942 von den einfallenden Nazis besonders geschätzt wurden. Die Ethnizität ist dennoch ein Klebstoff, der Familien und Gemeinden zusammenhält. Völlig unabhängig von der Qualität der Predigten und der Lautstärke der Musik bleiben die Angehörigen ein Leben lang der Gemeinde verpflichtet. Man gehört durch dick und dünn dazu. Aber die Ethnizität kann das Geistliche überdauern – siehe das Beispiel Mexiko.

 

„Starke Zäune schaffen gute Nachbarn“ ist ein Satz, der gelegentlich den Amischen zugedichtet wird. Es steckt auf jeden Fall Wahres darin. Wie bei einem Orden ist man entweder drinnen oder draußen; der Übergang ist nicht fließend. Tracht und Kultur sind ein unabdingbares Fundament des Zaunes; der Zaun bietet Schutz bei gleichzeitiger Abgrenzung.

 

Die Amischen sind sippen- und familienorientiert. Stoße ich auf einen amischen Herrn in Kalifornien, Florida oder irgendwo dazwischen, wird er in der Regel jemanden aus meiner Verwandtschaft kennen. Ihre im ganzen Lande verbreitete Zeitung, die „Budget“ gibt an, wer wen besucht hat, wer geheiratet hat oder verstorben ist, und wer gerade im Krankenhaus liegt. Das schafft Identität: Man weiß, wer man ist, und, daß man dazugehört. In jenem großen Lande kommt es immer wieder vor, daß eine amische Familie ohne soziale Absicherung auskommen muß. Dann wird z.B. in einem Gottesdienst in Indiana für eine kranke Person in Kansas gesammelt.

 

Ohne einen ausgeprägten Sinn für den Gehorsam kommt eine verbindliche Kommunität nicht aus. Man ist den Entscheidungen der Bischöfe unterworfen; sie bestimmen über die Farbe und den Schnitt der Pferdekutsche, und ob man mit dem Trecker auf den Acker darf. (Bei jungen Männern sind schnelle Trecker mit Gummireifen als Autoersatz bestens geeignet.) Sich den Verfügungen der Bischöfe nicht zu unterwerfen wird als Ungehorsam ausgelegt, und Ungehorsam ist ein Zeichen von Eitelkeit. Vor Jahren hörte ich eine „weltliche“ Frau, wie sie eine amische Frau fragte, ob eine bestimmte Verwandte in der amischen Kirche geblieben ist. Antwort: „Sie blieb dem Erbe der Eltern treu.“ Also, ja.

 

Es ist wohl ein Überbleibsel des europäischen Landeskirchentums, daß man die eigene amische Ortsgemeinde nicht wählen darf. Ein Gebiet wird in feste Gemeindegebiete aufgeteilt; man muß zu der Gemeinde hin, in deren Einzugsgebiet man auch wohnt. Kann man sich mit den Entscheidungen der Bischöfe des Gebietes nicht abfinden, bleibt einem nur noch der räumliche Wegzug als Ausweg. Mein Großvater, dessen Namensvetter ich bin, wohnte zwischen 1937 und 1957 an fünf Orten, die sich über vier Bundesstaaten erstreckten. Dabei war er Landwirt mit elf Kindern. Er ist nicht ärmlich verstorben.

 

Unterhaltsam dabei ist, daß der sonnige Urlaubsort Sarasota/Florida aus dem Rahmen fällt. Das ist ein Kirchengebiet mit wechselnden bischöflichen Hoheiten. Dadurch entsteht eine Art „Sonderwirtschaftszone“, die Strom in den Häusern und Dreiräder mit Elektromotor gestattet. Das trägt zur Attraktivität des Ortes bei: Genuß ohne Ausstieg. Ich nenne den Ort manchmal das „Las Vegas der Amischen“ – allerdings ohne die üblichen Laster.

 

Diese Dreiräder sind überhaupt als umweltfreundlicher Autoersatz bestens geeignet. Die Amischen sind es, die mit ihren theologisch gerade noch hinnehmbaren, elektrischen Dreirädern über die brütenden, asphaltierten Parkplatzflächen Sarasotas kurven. Die Welt ist bekanntlich eine Kugel, und die Amischen sind dermaßen stark ins Hintertreffen geraten, daß sie nun plötzlich vorne stehen. Sie schreiben nicht „Ökologie“ auf die Stirn, doch grün sind sie trotzdem.

 

Trotz allen Gehorsams gegenüber den Bischöfen gibt es auch nicht-hierarchische Züge unter den Amischen – eine Art allgemeinen Priestertums. Die Geistlichen werden durch ein Losverfahren bestimmt. Man kann sich nicht um ein solches Amt bewerben, das wäre egoistisch. Somit wird im wesentlichen verhindert, daß führende Clans entstehen. Das zunehmende Einkommensgefälle nagt an der Egalität – inzwischen haben sie Unternehmer, die Millionäre sind. Es gibt auch den Besitz teuren Ackerbodens. Aber auch der Millionär ist dem Bischof unterworfen, und der Bischof ist nicht käuflich.

 

Durch ihren Fleiß und ihre Frugalität kann man die Amischen nicht mehr als ärmlich bezeichnen. Bei einer Versteigerung unter meiner Verwandtschaft wurden wir Akademiker mit unseren mickrigen Gehältern von den Amischen stets überboten.

 

Dabei bleibt die manuelle Arbeit eine höchst ehrenvolle Angelegenheit. Die einzige richtige Arbeit, die zählt, ist die körperliche. Die wird von jedem erwartet, auch wenn er Millionär ist. Durch den Mangel an Ackerboden verdient nur noch eine Minderheit der Amischen den Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft; Wohnwagenbau, Möbelbau, Schmied, Kesselbau. Kutschenbau, Fahrradreparatur, Holzverarbeitung (Sägewerk) gehören zu den häufigen Beschäftigungen. Sie begeistert die Aneignung neuer Fertigkeiten. Doch keiner von ihnen braucht eine Berufsschule oder Lehre: Man bekommt das Nötige von der Pike auf zuhause mit.

 

Die Rollen von Mann und Frau bleiben fest. Die Frau hat sich mit Haus und Herd zu beschäftigen. Der Mann ist allein dafür verantwortlich, das nötige Kleingeld nach Hause zu bringen. Die Alten und Schwachen werden zuhause versorgt. Schon an dieser Stelle sieht man das Trade-Off, den Abtausch, der bei Kommunitäten unvermeidlich ist. Die persönliche Entscheidungsfreiheit – der Individualismus - wird gegen Sicherheit eingetauscht. Beides ist nicht gleichzeitig zu haben.

 

Die besten Dinge im Leben sind kostenlos - die Amischen verstehen noch etwas von den großen, ewigen Werten. Ich habe amische Verwandte mit einem Interesse an Menschen und gesellschaftlichen Themen, die die große Mehrheit der US-Amerikaner in den Schatten stellt. Sie sind nicht durch den üblichen, elektronischen Klimbim abgelenkt. Das Handy gibt es oft nur auf Arbeit. Es gibt inzwischen Computer mit begrenzten Funktionen, die extra für die Arbeitsplätze von Amischen zusammengeschraubt werden. Ihre Kinder verstehen noch was vom richtigen Spielen.

 

Die Amischen sollen noch eine große Zukunft vor sich haben. Um das Jahr 1900 gab es nur 6.000 Amische in den gesamten USA; gegenwärtig liegt deren Zahl bei 330.000. Bei sechs bis neun Kindern pro Familie und einer Ausstiegsrate von nur 20%, verdoppelt sich deren Zahl alle 21-22 Jahre. Laut eines Artikels der Webseite „Daily Caller“ vom 31.07.2019 werden die Amischen bei diesen Wachstumsraten innerhalb von 215 Jahren (das Jahr 2234) die gegenwärtige Bevölkerungszahl der USA (335 Millionen) überrunden. Die Deutschen der nächsten Jahrhunderte werden offensichtlich mit einer viel humaneren US-Außenpolitik rechnen dürfen!

 

Dr. phil. William Yoder
Laduschkin, den 16. Februar 2021

 

Redigierte Fassung erschienen Anfang 2021 in der Zeitschrift: „Gewagt! Gemeinsam Leben“, herausgegeben in Frankfurt/M. vom „Verein 500 Jahre Täuferbewegung 2025 e.V.“ Meldung 21-07, 1.221 Wörter.

 

Ein kleiner Hinweis: Der neudeutsche Begriff „Ääääämisch-People“ ist eine Erfindung der bundesdeutschen Ära. In den USA heißen sie schlicht „The Ahhhhmisch“, so wie es sich auf Deutsch auch gehört. Gründungsvater war Jakob Ammann (1644 - bis 1730).

 

Aufsatz erscheint nur auf Deutsch.