Korona trägt nicht zum überkonfessionellen Frieden bei
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Russische Reaktionen auf eine Infektionswelle in Brjansk
L a d u s c h k I n – Am 2. April gab Alexander Bogomas, der Gouverneur des Gebietes Brjansk, auf dem russischen “Kanal 1“ bekannt, daß aus Spanien eintreffende Baptisten das Coronavirus in die Stadt getragen hätten. Brjansk, eine Hochburg protestantischen Lebens, befindet sich unweit der belarussischen Grenze 360 km südwestlich von Moskau.
Der regionale Kanal 1 fügte fünf Tage später hinzu, daß 56 Infizierte im Krankenhaus lagen, die meisten von ihnen aus einer Kirche namens „Erweckung“. Bei den Übrigen handelte es sich um Personen, die im Kontakt gestanden hatten mit Mitgliedern dieser Gemeinde. Das Virus sei „von zwei Mitgliedern der Gemeinde, die aus Spanien eingetroffen waren“, eingeschleust worden.
Schon am 1. April war die Kirche durch Gerichtsbeschluß für 30 Tage versiegelt worden; anschließend waren Gemeindeglieder Todesdrohungen und troll-artigen Schmähungen ausgesetzt. In der Nacht vom 7. auf den 8. April hat denn jemand versucht, das baptistische “Dom Molitwa na Poklonnoi Gorje” (Bethaus am Hügel der Verneigung) in Sankt Petersburg anzuzünden. Dieser exponierte Kirchenbau war einst eine orthodoxe Kirche und hat sein ursprüngliches, orthodoxes Aussehen behalten.
Die Petersburger Polizei und Sicherheit wurden vom Vorfall sofort in Kenntnis gesetzt und die baptistische Zentrale in Moskau richtete am 9. April einen offenen
Brief an Wladimir Putin. In diesem Brief schrieb Peter Mitskewitsch, der Präsident der Baptistenunion: „Ich meine, daß die Erwähnung der Nationalität und Konfession von Menschen, die positiv auf
den Test für das Coronavirus reagieren, gefährlich und unverantwortlich ist. Als Arzt ist mir die medizinische Vertraulichkeit bekannt. Als Geistlicher achte ich das Beichtgeheimnis und bemühe
mich stets um die Stiftung gesellschaftlichen Friedens.“ Abschließend fügte er hinzu: „Die RUECB ist wegen der gegenwärtigen Lage äußerst besorgt. . . . Wir bitten um Ihre Mitarbeit beim Schutz
der evangelischen Gläubigen Rußlands und bei der Verhinderung von Falschinformationen in den Massenmedien.“
Wie bereits andere zuvor, gab Jewgeni Woronin, der leitende Baptistenpastor im Brjansker Gebiet, am 8. April eine Erklärung heraus. Sie besagte, daß es sich bei „Erweckung“ um keine baptistische Gemeinde handelt. Er schrieb: „Bis heute, den 8. April, hat noch kein einziges Mitglied einer Gemeinde der Evangeliumschristen-Baptisten im Gebiet Brjansk positiv auf den Test für Covid-19 reagiert.“ Die Gemeinde „Erweckung“ gehört der pfingstlerischen „Russischen Kirche der Christen evangelischen Glaubens“ an, die von Eduard Grabowenko aus Perm geleitet wird.
Nach dem Bericht im nationalen Fernsehen am 2. April hatte sich die Gemeinde „Erweckung“ alle Mühe gegeben, der Öffentlichkeit den wahren Vorgang zu erläutern. In Zusammenarbeit mit einem Teil der örtlichen Medien gab sie bekannt, daß eine betagte Mutter aus Brjansk mit ihrem Sohn am 13. März mit dem Flieger aus Spanien in Moskau eingetroffen war. Sie wurden von einem zweiten Sohn mit dem Auto aus Brjansk abgeholt. Nur der zweite Sohn, Jewgeni Kuslow, gehört der Gemeinde „Erweckung“ an. Der Pastor dieser Gemeinde, Michail Birjukow, gab zu Protokoll, daß weder die Mutter noch der ersten Sohn jemals seine Gemeinde besucht hätten. Er fügte hinzu, daß die Mutter sogar strikt gegen Jewgenis Mitarbeit in dieser Gemeinde war.
Am schicksalhaften Sonntag, den 15. März, ging Jewgeni zum Gottesdienst und infizierte nicht weniger als 10 Personen. Seiner Mutter und seinem Bruder wurden am 16. mitgeteilt, daß sie sich in Quarantäne zu begeben hätten. Jewgeni versicherte gegenüber den Ortsmedien: „Hätte ich gleich von meiner Erkrankung gewußt, hätte ich an dem Sonntag das Haus niemals verlassen und alles getan, um eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern.“ Nachdem sich der Gesundheitszustand seiner Mutter verschlechtert hatte, mußte sich Jewgeni am 18.03. in Quarantäne begeben.
In einem Bademantel bekleidet, hat sich Pastor Birjukow wohl aus dem Krankenhaus per Video ausführlich für die fehlende Vorsicht seiner Gemeindeglieder
entschuldigt. Erst am 16.03. war in Brjansk eine Ausgangssperre verhängt worden, doch vieles über die vorhandene Gefahr war bereits am Sonntag bekannt. Der Pastor bestätigte, daß rund 20
Gemeindeglieder erkrankt waren, einschließlich er selber und Jewgeni Koslow.
Kommentar
Wahrscheinlich ist es nur logisch, daß die Protestanten Rußlands von der Öffentlichkeit in der Regel als „Baptisten“ bezeichnet werden. Die Baptisten sind eine bekannte Größe. Zum Entsetzen der Lutheraner benutzen beide großen Pfingstbünde den Namen „evangelisch“ in ihrer offiziellen Bezeichnung. Nur der jüngere Pfingstbund, der von Sergei Rjachowski angeführte „ROSChWE“, benutzt überhaupt den Namen „pfingstlerisch“, und dann nur in Klammern als Zusatz. Die meisten Kirchen, auch baptistische Gruppen, benutzen „evangelisch“ in ihrem Namen.
Diese Tendenz, die eigene konfessionelle Identität zu kaschieren, ist auch im Westen gang und gäbe. In den USA gibt es inzwischen vielfältige „community churches“, wenngleich das selbst keine Konfession ist. Viele „community churches“ sind etwa baptistisch oder sogar mennonitisch. Auch in Rußland zögern baptistische Neugründungen immer mehr, den eigenen Namen zu benutzen. Die „Bibelkirchen“ Rußlands sind in der Regel baptistisch. Natürlich könnte man der Verwirrung Einhalt gebieten, indem man die konfessionelle Zugehörigkeit im offiziellen Namen aufnimmt. Doch vielleicht hat das Gefühl, mit allen in einen Topf geworfen zu werden, gelegentlich auch eine positive, überkonfessionelle Wirkung.
Nationalismus und Xenophobie lassen sich auch in Rußland am besten damit begegnen, daß jene, gegen die gesündigt wird, mit Bekundungen guten Willens und Kooperationsbereitschaft reagieren. Daß die Protestanten am Ball bleiben, ist der Schlüssel zum Erfolg; Auswanderung wirkt sich in dieser Sache nur nachteilig aus.
Dr. phil. William Yoder
Laduschkin, Kaliningrader Gebiet, den 23. April 2020
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