Zum Niedergang der Moskauer “Russisch-Amerikanischen Christlichen Universität”
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Gedanken zu einem Buch von John Bernbaum
Kommentar
L a d u s c h k I n – Bis heute übermannt mich die Trauer, wenn ich über das zusammengebastelte Denkmal nachdenke, das 2007 kaum 40 Meter vom Eingang zum „Russisch-Amerikanischen Institut“ in Moskau entstanden ist. Die Inschrift versicherte, das Denkmal sei „dem Schutz vor den Feinden der russischen Erde“ gewidmet. Rund 15 Protestdemos fanden an der Baustelle in den vier Jahren bis zur Vollendung des Baus 2010 statt. Letztlich brachten russische Steuern und US-amerikanische Schulden das Projekt zu Fall und führten zum Verkauf des Gebäudes an eine russische Privatfirma im März 2014. Gegründet im Jahre 1995, die Einrichtung war bis November 2007 unter dem Namen „Russisch-Amerikanische Christliche Universität“ (RACU) bekannt.
Was hat die negative Reaktion der russischen Nation veranlaßt? Immerhin hatten die oberen Ränge der Gorbatschow-Regierung im Oktober 1990 evangelikale Bildungsspezialisten zum Aufbau einer geisteswissenschaftlichen Universität auf russischem Boden aufgefordert. Es handelte sich ja um einen russischen Vorschlag, keinen amerikanischen. Es waren die Russen, die hinterher stufenweise die Einladung wieder rückgängig machten.
Der große Macher hinter diesem Projekt war John Bernbaum, der Verfasser des Buches. Das Buch „Opening the Red Door” wurde 2019 vom renommierten “InterVarsity-Press” herausgebracht. Doch das Buch stellt keine intellektuellen Ansprüche und bemüht sich nicht darum, die oben gestellte Frage zu beantworten. Eben das möchte ich nun versuchen.
1. Grund #1: Zu groß und zu anders
Ein derartiges Projekt dicht am Moskauer Epizentrum des riesigen Landes war zu groß, zu auffällig und zu westlich, um einen beachtlichen Abschwung im Verhältnis zwischen den USA und Rußland überstehen zu können. Man kann annehmen, nicht mal der Heilige Petrus hätte in Anbetracht der vorhandenen, internationalen Spannungen das Projekt am Leben erhalten können. Dies anzuzweifeln, würde einer Leugnung der Gesetze der Schwerkraft gleichgekommen.
Ferner waren die weniger als eine Million zählenden Pietisten Rußlands keineswegs imstande, sowohl finanziell wie geistig, eine multikonfessionelles Projekt dieser Größenordnung zu stemmen. Europa fehlt die Erfahrung mit privaten, christlichen, geisteswissenschlaftlich ausgerichteten Universitäten. Geisteswissenschaftliche Bildungszentren sind ein Luxus, den sich die Protestanten Rußlands noch nie hatten leisten können. Evangelikale Unterstützung aus Rußland erwies sich als mager; als ihr stärkster Unterstützer zeigte sich die neu-pfingstlerische „Vereinigte Russische Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE).
Ruslan Nadjuk (oder Nadiuk), der langjährige Direktor der Abteilung für Sozialarbeit bei der RACU, hat versichert: „Die meisten Protestanten legen keinen Wert auf eine professionelle Ausbildung. Die Ausbildung wird nur als Evangelisationsmittel betrachtet.“ Doch wenn sich die Protestanten auf das kurzfristige Evangelisieren beschränken, werden sie sich „nach und nach auf Grüppchen reduzieren, die nur noch den eigenen Nachwuchs zu bekehren verstehen“. Die Behauptung fundamentalistischer Gruppen aus dem Westen, daß das Studium der Psychologie ein wider-christliches Unterfangen sei, gießt Öl ins Feuer des Anti-Intellektualismus (siehe unsere Meldung vom 14. Juli 2014).
Als Quelle von Kapital und Arbeit war die RACU unter den Protestanten Rußlands willkommen, doch daraus entwickelte sich kein Gefühl der Mitverantwortung. In der obigen Meldung schrieb ich: „Den Protestanten war diese Einrichtung der Ausbeutung würdig, doch nicht der Ernährung. Eine ungefütterte Kuh wurde bis zu ihrem Eingehen gemolken.“
Große Bedenken hinsichtlich einer geisteswissenschaftlichen Hochschulbildung sind genauso unten den eher ländlichen, konservativ-christlichen Kreisen Nordamerikas verbreitet. Im russischen Kontext verwandeln sich die Abgänger derartiger Studiengänge in Charismatiker oder Orthodoxe – oder zu Bewohnern westlicher Staaten. Eine entscheidende erste Etappe bestünde darin, den Gläubigen traditioneller Überzeugung die Früchte einer Auseinandersetzung mit geistigen Fragen zu verdeutlichen.
2. Den Russen nicht auf Augenhöhe begegnen
In Rußland, dem flächenmäßig größten Land der Erde, kann ein internationales Projekt dieser Art nur gedeihen, wenn sich die einheimischen Staatsträger – und die
Kirchen - als gleichwertige Partner fühlen. Trotz der allerbesten Absichten werden unweigerlich jene, die den Trompeter bezahlen, auch dessen Musik bestimmen. Die Protestanten Rußlands waren
völlig unfähig – und die staatlichen Stellen unwillig – für die Hälfte der Kosten aufzukommen. Es war eine Sackgasse: Für eine gleichwertige Behandlung fehlte das nötige Geld, und ohne die
gleichwertige Behandlung war das Projekt dem Untergang geweiht. Sogar die PR-Arbeit der RACU in Rußland lag in den Händen einer US-amerikanischen Firma (Seite 197).
Nach 1990, und wohl noch heute, wünscht sich Rußland gedeihliche Beziehungen mit dem Westen. Doch ist der Wunsch nicht bedingungslos – ganz im Gegensatz zu den
baltischen Staaten, Polen oder der Ukraine. Kleinere Staaten sind es gewohnt, als Juniorpartner aufzutreten und nehmen Befehle von oben eher bereitwillig entgegen. Das Überleben protestantischer
Universitätsprojekte in Litauen und der Ukraine lassen sich auf diese Bereitschaft zurückführen. Die winzige Minderheit russischer Protestanten hat meistens nichts dagegen, als Juniorpartner
aufzutreten. Doch deren Staat sieht das ganz anders.
Die Bildungsvorhaben, die es in Rußland noch gibt, sind, trotz der Namensgebung, im wesentlichen Seminare oder Bibelschulen. Zwei von ihnen sind die “St. Petersburg Christian University” und die in Krasnodar beheimatete “Kuban Evangelical-Christian University”. Sie sind bescheidener, weniger anspruchsvoll – und weit entfernt von der nationalen Hauptstadt.
Es gibt westlich-gesponserte, christliche Bildungszentren in China und sogar in Nordkorea. Doch beide zielen auf die Berufsausbildung und die professionelle Wissenschaft, nicht die Geisteswissenschaften. Sie sind mit dem gastgebenden Staat eng verbunden. Siehe „Pyongyang University of Science and Technology“ unter der Anschrift “pust.co”. Sie hat eine Schwestereinrichtung in China.
3. Gegensätzliche Weltanschauungen
Eine Vorhaltung wie “zu westlich” muß erläutert werden. Dem Verfasser springt das Gefälle zwischen Bernbaums Beschreibung der jüngsten russischen Geschichte und der in Rußland gängigen Auffassung ins Auge. Bernbaum kehrt die Identität von Held und Bösewicht um. Er erwähnt die menschlichen Schwächen eines Boris Jelzin durchaus, doch seine “Helden”, Jelzin und Michail Gorbatschow, gelten im heutigen Rußland als Missetäter. Gorbatschow, der Todesengel der sowjetischen Wirtschaft, hat Beliebtheitswerte in der Größenordnung von 1%.
In Bernbaums Buch ist Wladimir Putin der nationalistische Bösewicht. Seine Offenheit für eine von Lissabon bis Wladiwostok reichende Freihandelszone oder seine bemerkenswerte Rede vor dem deutschen Bundestag am 25. September 2001 bleiben unerwähnt. Er hatte sich damals für eine deutsch-russische Zusammenarbeit stark gemacht, während er von einer „gleichberechtigten gesamteuropäischen Zusammenarbeit“ sprach. Jedenfalls bis vor kurzem sprach Putin, und nicht der Westen, von der anderen Seite als „Partner“. In Rußland sind es die eingefleischten Nationalisten, die Putin Nachgiebigkeit gegenüber dem Westen unterstellen. Die Einkreisung Rußlands durch die NATO ist nach Bernbaum kein entscheidender Faktor.
Bernbaum beschreibt den Kommunismus und den kommunistischen Staat im wesentlichen als einen höchst korrupten Produzenten von Trümmern. Doch war es der kommunistische Staat, der in dem halben Jahrhundert nach 1917 das Agrarland in eine Supermacht verwandelte, und das trotz eines verheerenden Weltkriegs. Die legendäre Wolfowitz-Doktrin von 1992 vertrat die These, daß sich die USA niemals wieder mit der Existenz einer zweiten Supermacht abfinden dürfen. Dieses Thesenpapier ging sehr eindeutig davon aus, daß die UdSSR eine Supermacht gewesen sei. Zugegeben: Die UdSSR erreichte nie den Status einer Supermacht im Bezug auf den allgemeinen Lebensstandard.
Das Buch macht mehrere Falschangaben. Auf Seite 12 wird angedeutet, die sportverrückte UdSSR mußte ohne Schwimmbecken auskommen. Doch wurde der Zugang der Massen zu Schwimmbecken erst nach 1990 ein ernsthaftes Problem. Auf Seite 64 demolierte die Bevölkerung Ende 1990 Statuen von „Stalin, Lenin und Dzerzhynski“. Doch die Standbilder Stalins wurden schon 30 Jahre zuvor abmontiert.
Man könnte behaupten, daß John Bernbaum – wie auch sehr viele von uns – die USA ebenfalls nicht verstanden habe. Sein Buch geht davon aus, die USA seien eine starke und bewährte Macht der Stabilität; ihre erfahrenen Bildungsspezialisten hätten den schlechter ausgestatteten Kollegen in Rußland ihr Können beigebracht. Doch es waren nicht die UdSSR oder China, die in den Jahrzehnten nach 1945 die Länder Südostasiens und des Mittleren Ostens mit Tod und Zerstörung überzogen. (Den sowjetisch-afghanischen Krieg von 1979 bis 1989 könnte man als Ausnahme werten. Doch auch hier waren Zbygniew Brzezinski und seine “Operation Cyclone“ mit im Spiel.)
Nordamerika hat bisher über eine hervorragende Reihe von christlichen geisteswissenschaftlichen Bildungseinrichtungen verfügt. Davon habe auch ich profitiert; ich hätte viel Grund zur Dankbarkeit. Doch heute, 25 Jahre nach Gründung der RACU, unterstützen 85% aller Evangelikalen in den USA einen höchst spalterischen und rechtsgerichteten Populisten als Präsidenten. In Brasilien und Bolivien gehören Evangelikale den rechtsradikalen Regierungen an. Wir sind nicht annähernd so besonnen, gebildet und überparteilich wie wir einst dachten.
Wahrscheinlich sind die Ziele der Evangelikalen zu grandios. Das bahnbrechende Werk des US-Amerikaners Philip L. Wickeri berichtet über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Maos China. Das 1988 veröffentliche Buch “Seeking the Common Ground” stellt fest, daß sich christliche Kreise in den 50er Jahren mit einer neuen Erkenntnis abfanden: Eine Kirche muß nicht Krankenhäuser und Schulen besitzen, um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. Christen sind befugt, sich auch als Einzelne am sozialen Werk der Allgemeinheit zu beteiligen. Zum Teil dank dieser „defätistischen“ Auffassung wuchs die chinesische Kirche in den 50 Jahren nach 1949 von 2,5 auf rund 50-70 Millionen Gläubige an. Zugegeben: Die gegenwärtige Kirche Chinas weist weiterhin Bildungsdefizite auf.
Seite 35 in diesem Buch: Missionare würden über „ein vorgefertigtes Verständnis“ der Wahrheit verfügen. Das schlösse eine wirkliche Begegnung mit der neuen Umgebung aus. „Der Skandal ist nicht das Kreuz, sondern der unerschütterliche klassen- und ideologiebedingte Standpunkt des (ausländischen) Boten.“ Kann der Missionar wirksam missionieren ohne dabei selbst missioniert zu werden? Kann der Wandel nur beiderseits erfolgen? Westliche und russische Evangelikale täten gut, dieses Buch in die Hand zu nehmen.
Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 15. Februar 2020
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