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Kaliningrader Baptisten

Eine Gemeinde, die sich sehen lassen kann

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Die baptistische „Friedenskirche“ in Kaliningrad

 

Zu feierlichen Anlässen erinnert die Baptistengemeinde von Kaliningrad an die besten Jahre der Sowjet-Ära. Dann sind bis zu 600 Personen in der übervollen „Friedenskirche“ zusammen; der vierstimmige Chor tritt auf, Kinder und Frauen tragen Ständchen und Gedichte vor. Es gibt zwei bis drei Predigten. Männer und die jüngeren Jahrgänge sind überall sichtbar. An Sonntagen wird diese Gemeinde oftmals von 500 Personen besucht; rund 25% der Anwesenden sind minderjährig.

 

Mit einer großen Feierstunde war der imposante Rundbau am 23. August 1998 eingeweiht worden. Zu den 700 Besuchern in der Uliza Gagarina 18 hinter dem Königstor im Osten der Stadt zählten damals 100 Gäste aus Deutschland.

 

Über sein „Bibelcollege“ freut sich Pastor Anatoli Krikun besonders. Diese 1999 gegründete und noch heute staatlich anerkannte Bildungseinrichtung hat in der Regel rund 20 Studierende. Das Bildungsprogramm besteht aus fünf zweiwöchigen Unterrichtsblöcken pro Jahr; das Studium dauert drei Jahre. Neben Theologie wird auch Musik angeboten; Frauen werden für den Katechetendienst ausgebildet. Auch Nichtbaptisten, u.a. auch Lutheraner, nehmen gelegentlich an diesem Studienprogramm teil. Gastdozenten aus Deutschland sind manchmal vorhanden. Gerade wegen des Colleges ist neben dem „Bethaus“ ein Gasthaus entstanden. Da können auch Besucher aus Deutschland preisgünstig übernachten.

 

Die Zahlen schwanken: Man spricht von 800 bis 870 Baptisten im Gebiet Kaliningrad; doch die Diplomarbeit des Rußlanddeutschen Alex Breitkreuz (Birnbach/Westerwald) berichtete 2006 von nur 426 Mitgliedern in registrierten Baptistengemeinden, 318 davon in der Kaliningrader Friedenskirche. Weitere kleine Gemeinden gibt es in Bagrationowsk (Preußisch Eylau), Sowjetsk (Tilsit), Gusew (Gumbinnen), Mamonowo (Heiligenbeil) und Gromowo (Lauknen) bei Slawsk (Heinrichswalde). Die Gemeinde Tilsit verfügt sogar über ein eigenes Bethaus. Es besteht auch eine zweite Baptistengemeinde im Norden von Kaliningrad: Die Gemeinde in der Lomonossow 54 hat rund 60 Mitglieder.

 

Kaum bekannt sind die kleinen, öffentlichkeitsscheuen Versammlungen der „Initiativniki“, der 1961 entstandenen, nichtregistrierten Baptisten. Sie gibt es u.a. in Kaliningrad und im ehemaligen Pferdeparadies Jasnaja Poljana (Trakhenen). Der Arbeit von Breitkreuz ist zu entnehmen, daß 2004 die Initiativniki im Gebiet eine stattliche Mitgliederzahl von 300 aufwiesen. Die russischsprachige Webseite “map.drevolife.ru“ gibt sogar 11 Ortsgemeinden für sie im Gebiet Kaliningrad an.

 

Das deutsche Königsberg bildete eine Hochburg des Baptismus mit sechs Gemeinden, doch heute steht den Baptisten kein Gotteshaus aus deutscher Zeit zur Verfügung. Nach dem Baptisten Wadim Lugow verfügt das heutige Kaliningrad über protestantische Gemeinden an 24 Standorten.

 

Schon 1947 kamen die ersten Neusiedler-Baptisten russischer Nation in dieses Gebiet. Interessant ist die Tatsache, daß die Baptisten mit großem Zeitabstand die erste im Gebiet registrierte russische Glaubensgemeinschaft wurden. Das geschah bereits 1967 – 18 Jahre vor der Registrierung der Orthodoxie. So steht es auf der Webseite der Gemeinde („mir-kld.ru“) sowie in der 2011 erschienenen Diplomarbeit des Pastors Anatoli Krikun: „Geschichte der Evangeliumschristen-Baptisten in Ostpreußen und im Gebiet Kaliningrad“ (Istoria evangeliskikh khristian-baptistow w Wostotschnoi Prussi i Kaliningradskoi oblasti).

 

Erst im dritten Anlauf konnte dann am 12. August 1979 ein kleines, nagelneues Bethaus der Baptisten eingeweiht werden. Das Haus, die erste offiziell arbeitende Kirche im Gebiet Kaliningrad, befand sich in der Krylowa 38 fernab aller öffentlichen Verkehrsmittel im Norden der Stadt. Dieser Sachverhalt ist vor allem der Tatsache zu verdanken, daß sich zwischen J. J. Makhobajski, dem Gebietsbeauftragten für religiöse Angelegenheiten, und den Baptisten ein Vertrauensverhältnis entwickelt hatte. Der Gebietsbeauftragter wohnte auch der Feierstunde bei. Krikun schreibt, Makhobajski habe sich als „ehrlicher und intelligenter Mensch“ erwiesen. „Wenn es erforderlich war, trat er für die Rechte der Gläubigen ein“ (S. 114). Die Katholiken und Lutheraner wurden erst 1991 staatlich registriert.

 

In den Jahren 1966-76 hatte sich die Gemeinde weit außerhalb der Hauptstadt im Privatdomizil des Pastors Pawel Meissner im Dorf Perwomajskaja (Pottlitten nahe Bladiau) versammelt. Ab 1964 strömten kinderreiche, deutschstämmige Familien aus Kirgisien ins Gebiet. Mitte der 70er Jahre waren 30% der Baptisten deutscher Abstammung – was staatliches Bedenken erregte. Nach Krikun bescherte das Eintreffen der Deutschstämmigen eine Blütezeit, die von 1976 bis 1989 andauerte. Vor Beginn der Ausreisewelle 1976 hatte die Kaliningrader Gemeinde 180 Mitglieder.

 

Schon 2002 gab Pastor Krikun zu Protokoll, daß sich in den letzten 30 Jahren die Mitgliedschaft seiner Gemeinde fast 100-prozentig ausgetauscht hätte. Wer es aufgrund eines „ungeeigneten“ Stammbaums nicht nach Deutschland schaffte, hatte es jenseits des Großen Teichs versucht. Allein 20 Kaliningrader Chormitglieder befanden sich bereits 2002 in den USA. Schon deshalb entsteht der Verdacht, die beachtlichen Ausmaße der Einwanderung von Baptisten aus dem Wolga-Gebiet und den mittelasiatischen Staaten in den letzten 20 Jahren hänge mit dem gleichen Wunsch nach Weiterwanderung zusammen – Gemeinde eben als Drehtür.

 

Überkonfessionelles

Die Kaliningrader Baptistengemeinde gilt als eindeutig konservativ; einige Jugendliche wandern in Pfingstgemeinden ab. Doch auf eine Mitarbeit etwa in der Evangelischen Allianz legt Krikun Wert. Er hat längst erkannt, daß ein gemeinsames Auftreten der Protestanten gegenüber Staat und Gesellschaft von Vorteil ist. Nicht selten sind die Beziehungen zu lutherischen Kreisen ausgesprochen herzlich.

 

Der 1946 geborene Anatoli Iwanowitsch Krikun, ein studierter Bauingenieur und Theologe, stammt aus Berditschew im Gebiet Zhitomir/Ukraine. Im Jahre 1967 zog er ins Kaliningrader Gebiet um; 1994 wurde er zum Pastor ordiniert. Leitender Pastor („Bischof“) der Gemeinde wurde er 1996.

 

Seine Gemeinde auf einer Anhöhe neben der Uliza Gagarina trifft sich sonntags um 10 und 18 Uhr; eine Bibelstunde folgt mittwochs um 18 Uhr. Die Telefonnummer der Gemeinde lautet +7 (4012) 59-50-54; der Pastor hat die Anschrift: „pastor(at)mir-kld(dot)ru“. Der gastfreundliche College-Dozent Wadim Lugow, Absolvent der „Bibelschule Wiedenest“ bei Bergneustadt/Bergisches Land, läßt sich gerne ansprechen. Er spricht ein ausgezeichnetes Deutsch sowie Englisch und ist zu erreichen über „vadimlugov(at)mail(dot)ru“.

 

Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 14. Februar 2020

 

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