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Neuartige Lutheraner in Kaliningrad

Das Alte mit dem Neuen verbinden

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Eine neue und junge Gemeinde in Kaliningrad (Königsberg)

 

Der Kaliningrader Pastor Witali Alexandrowitsch Gut will das Herkömmliche mit dem Neuen verbinden. Deshalb beschreibt er die eigene Gemeinde als sowohl lutherisch wie charismatisch. In seinen Gottesdiensten erlebt man erhobene Hände, ein Lob-und-Preis-Team sowie moderne Musik. Doch seine 25-köpfige Gemeinde ist nicht übermäßig laut und jeder, der sich nicht am charismatischen Stil beteiligen will, ist dennoch herzlich willkommen. Weder Musik noch Predigt sind sonderlich laut noch gefühlsbetont.

 

Im vergangenen Jahr hat die Gemeinde ihre Gottesdienste in die neue, gelb-angestrichene Methodistengemeinde in der Allee Suworowa 8a verlegt. Dieses Gotteshaus liegt etwa 1 km westlich des Südbahnhofs direkt neben der alten Reichsstraße zwischen Kaliningrad und der Grenze bei Mamonowo (Heiligenbeil). Doch Pastor Gut ist nicht darum bemüht, Methodist zu werden. Ihm gefällt die lutherische Vorliebe für Geschichte, Tradition und die Sakramente. Die historische Kontinuität einer Kirche ist ihm wichtig. „Psychologisch gesehen steht mir das Luthertum am nächsten“, insistiert er. „Es ist besonders historisch ausgerichtet.“

 

Witali Gut selbst stellt eine Verbindung zwischen dem Alten und Neuen dar. Er hat einen frischen und freundlichen Stil; die jüngeren Jahrgänge fühlen sich von seiner Art angezogen. Seine Offenheit gegenüber den charismatischen Gaben ist ein Ausdruck seiner Verpflichtung gegenüber der Weltchristenheit in ihrer heutigen Zusammensetzung. Doch gleichzeitig befürwortet er den sakramentalen Dienst von Pastorinnen nicht. Er teilt die in Rußland geläufige Ablehnung der liberal-humanistisch-säkularen Ausrichtung der historischen, westlichen Kirchen. Man könnte sagen, er stehe der deutschen SELK oder den finnischen Ingria-Lutheranern Rußlands nahe – doch gekoppelt mit einer Offenheit für das Charismatische.

 

Rußland verfügt über rund fünf selbständige, lutherische Denominationen, und Guts Gemeinde ist die erste lutherische Gemeinde im Gebiet Kaliningrad außerhalb der „Evangelisch-Lutherischen Kirche Rußlands“ (ELKR). Die ELKR wird bekanntlich von Erzbischof Dietrich Brauer angeführt. Diese Gemeinde gehört stattdessen der „Evangelisch-Lutherischen Kirche Augsburgischer Konfession“ (ELZAI auf Russisch) an. Sie wurde vom Moskauer Wladimir Pudow 2006 ins Leben gerufen. Der 1952-geborene Wladimir Pudow, einst ein sowjetischer Regierungsbeamte, diente von 1994 bis Mai 2006 als Vertreter der ELKR bei der russischen Regierung in Moskau. Nach seiner Pensionierung zog er 2015 nach Kaliningrad um; vier Jahre später kehrte er in seine Heimatstadt zurück.

 

Im Krisenjahr 2018 schrumpfte die ELZAI von etwa 40 auf sechs Ortsgemeinden zusammen. Dazu gehören zwei Gemeinden in Moskau sowie die Kaliningrader Gemeinde. Pudow meint, die Aufnahme seiner Gemeinden in die ELKR wurde stets abgelehnt mit der Begründung, sie seien nicht ausreichend lutherisch. Im November 2018 nahm Pudow selbst Abschied von seiner Kirche, nachdem der Moskauer Pawel Begitschew in seinem Amt als Metropolit der Alt-Katholischen Kirche bestätigt wurde ohne seine Funktion als Bischof und „General-Ordinarius“ der ELZAI preisgeben zu müssen.

 

Im November 2014 hatte die Alt-Katholische Kirche der Slowakei einen Partnerschaftsvertrag mit der ELZAI unterzeichnet. Das war eine Art Durchbruch, denn keine andere Kirche hatte jemals die ELZAI als Kirche offiziell anerkannt. Diese Schachzug stattete wiederum den Alt-Katholiken der Slowakei erstmals mit einem Brückenkopf auf russischem Boden aus. Pudow nennt diesen Schritt Unsinn: „Wie soll ich den Orthodoxen erklären, daß es unter unseren Bischöfen einen altkatholischen Metropoliten gibt?“

 

Doch Witali Gut ist am Gezerre der Kirchenpolitiker nicht interessiert und hält an seiner Freundschaft mit Pudow fest. Er pflegt auch weiterhin seine Freundschaft mit Begitschew, einem ehemaligen Baptisten und Pfingstler. Er genießt die Freiheit, die seine Hybrid-Denomination ihm gewährt. Die ELZAI ist als lutherische Kirche beim russischen Staat eingetragen.

 

Der Rentner Alexander Burgart, einst Pastor der ELKR im Gebiet Kaliningrad, diente in dieser Kirche bis 2019. Inzwischen ist er in die Kaliningrader „Auferstehungskirche“ zurückgekehrt.

 

Zur Biographie

Pastor Gut kam 1975 in Gornjak auf der westlichen Seite im umkämpften Donetzker Gebiet der Ukraine zur Welt. Sein Vater war Bergarbeiter und auch deshalb zog die Familie fünf Jahre später nach Jakutien um. Von dort aus begab sich die Familie noch weiter östlich – bis ins ehemalige Gulag-Gebiet von Magadan am Stillen Ozean. Ausgerechnet dort besuchte der junge Witali das “St. James Bible College” der schwedischen Reformierten. Sein zweijähriges Studium schloß er 1996 dort ab. Noch davor war er zwecks Musikstudiums nach Donetsk zurückgekehrt; dort hatte er sich auch 1992 bekehrt. Seine Eltern gelten – jedenfalls auf dem Papier – als Orthodox.

 

Nach dem Abschluß in Magadan diente er in methodistischen und pfingstlerischen Gemeinden im Ural, vor allem in Jekaterinburg und Asbest. Er zog 2003 erstmals nach Kaliningrad im Auftrage der US-amerikanischen „Kirche Gottes“. Doch dieser Vorstoß mißlang und er kehrte nach Asbest und Jekaterinburg zurück. Dort lernte er Nadeschda Jurewna kennen und lieben – das Paar heiratete 2007. Sie kehrten nach Kaliningrad zurück und gründeten dort eine Hausversammlung im Jahre 2013. Zwei Jahre später wurde er bei der ELZAI in Moskau ordiniert.

 

Das Paar hat heute zwei Töchter: Ewa ist fast fünf Jahre alt, Ewelina, ein Jahr. Leider kam Ewelina mit Zerebralparese auf die Welt; deshalb muß sich ihre Mutter ganztags mit ihrer Pflege beschäftigen. Witali versorgt die Familie durch seine Arbeit mit einer Agentur, die private Übernachtungen für Touristen organisiert. Er befaßt sich ferner mit Werbeprojekten im Internet.

 

Die Gottesdienste beginnen sonntags um 16 Uhr. Eine Gebetsversammlung findet freitagabends statt. Die Gottesdienste findet ausschließlich auf Russisch statt, doch Witali spricht auch Englisch. Besucher sind stets herzlich willkommen; der Pastor ist über “patrovit(at)gmail(dot)com” sowie die “booking.com”-Webseite zu erreichen. Seine Telefonnummer lautet: +7 921 616 4962. Die Gemeinde verfügt über gute Beziehungen zur Römisch-Katholischen Kirche.

 

Welche Hoffnungen hegt der Pastor für die Zukunft seiner Gemeinde? „Das Diakonische betonen wir nicht“, erklärt er. „Wir suchen das Angesicht Gottes; wir streben nach den Früchten des Geistes. Wir wollen Christus stärker ergeben sein – wir sind keine gesellige Zusammenkunft. Wir suchen das Geistliche; wir glauben auch, daß Gott Menschen heilt.“

 

Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 13. Januar 2020

 

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