Es geht um das himmlische Reich Christi
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Chinesische Christen beim Wechsel von der Religion zum Glauben
Autor: Ling Fenglei, Anwalt im Gebiet Schanghai
Anmerkungen des Redakteurs: Geboren 1970, Ling Fenglei absolvierte die juristische Fakultät der „Suzhou Universität“ (Schanghaier Raum) im Jahre 1992. Fünf Jahre später wurde er Christ und half 2009 bei der Gründung der Jiangnan-Gemeinschaft mit. Im Jahre 2018 wurde er Chefredakteur einer sich als täuferisch verstehenden Zeitschrift mit dem Namen „Das Evangelium und das zeitgenössische China“. Er beschreibt sich als ein selbständiger, christlicher Wissenschaftler, der sich gegenwärtig um die Förderung einer eigenständigen, selbstfinanzierenden und nichtwestlichen, evangelischen Bewegung bemüht. Während er in Suzhou mit seiner Gattin und der jungen Tochter wohnt, behält er ein Büro in Hong Kong.
Dieser erste Aufsatz läßt viele Fragen unbeantwortet. Es ist jedoch wichtig, daß wir im Abendland das alternative christliche Denken auf chinesischem Boden kennenlernen. Nichtwestliche Christen müssen die Chance bekommen, sich direkt und mit eigenen Worten an eine globale Leserschaft zu richten. Dieser Artikel setzt sich aus drei Beiträgen zusammen, die bereits in „Das Evangelium und das zeitgenössische China“ erschienen sind.
Der Zustand Chinas
Historisch gesehen hat die chinesische Kirche schon immer als Vasall des europäischen und nordamerikanischen Christentums fungiert. Sie war anderen unterworfen und galt als Befehlsempfängerin.
Darum, seit dem Eintreffen des Christentums in China, war der christliche Glaube stets dem Kampf zwischen Politik und Ideologie ausgesetzt. Er war niemals imstande, seinen eigenständigen,
nationalen Charakter unter Beweis zu stellen.
Der Protestantismus erschien im Lande in der Phase, in der die chinesische Zivilisation am schwächsten war. Die europäische und amerikanische Christenheit war deshalb in der Lage, massiert aufzutreten und den Chinesen das konstantinische Modell von Kirche als Staatsreligion aufzuoktroyieren. Das verdammte den chinesischen Protestantismus zum Vasallendasein als schlichten, verlängerten Arm europäischer und amerikanischer „Sekten“. Eine amtsfreie Laientheologie, die von den Täufern Europas und der Vereinigten Staaten vertreten wird, ist dementsprechend von den orthodoxen, quasi-staatlichen Kirchen Chinas unterdrückt worden.
Die traditionelle, aus Europa und Nordamerika herrührende Mission hat die Protestanten Chinas entscheidend geprägt. Sie hat z.B.:
1. Das Hierarchische betont;
2. Die im Alten Testament und vom Apostel Paulus entworfene Theokratie auf Kosten der Kernbotschaft des Evangeliums vom himmlischen Reich Christi betont;
3. Eine Verstrickung des Evangeliums und dessen profunden Mißbrauch im politischen Raum verursacht.
Die gewaltige, historische Zivilisation Chinas zeichnet sich dadurch aus, daß sie über keine dominante religiöse oder ideologische Tradition verfügt. Das macht sie einzigartig unter den Weltzivilisationen. Doch heute werden die strukturellen Verstrickungen des Christentums in einer spezifischen Ideologie nicht leicht zu entflechten sein.
In den letzten Jahrzehnten hat das traditionelle Christentum den Aufstieg religiöser Rechter zu ertragen versucht. Diese Entwicklung hat zu einem Aufstand seitens jüngerer Personen aus den konfuzianischen Kreisen Ostasiens bis hin zu christlichen Kreisen in Europa und Nordamerika geführt. Sogar auf dem europäischen Kontinent und im angelsächsischen Bereich haben Teile der jüngeren Generationen aufbegehrt und sich vom herkömmlichen Christentum verabschiedet. Das Erstreben und Erwerben politischer Macht durch die Rechten der Welt hat die jüngere Generation Ungläubiger regelrecht abgestoßen. Das gilt noch mehr für sie denn für jene Kreise, die weiterhin das traditionelle christliche Denken vertreten.
Ein kultureller Aufstand ist im Gange: Man könnte die These vertreten, daß der Glaube gegen die institutionalisierte Religion aufbegehrt. In Europa und Nordamerika verliert das herkömmliche, monotheistische Christentum rasch an Bedeutung. Diese beiden Kontinente haben die Schwelle zu einem nachchristlichen Zeitalter überschritten. Nichtchristliche Länder wie China wechseln in eine nichtchristliche Ära hinüber.
Nach einer Phase der Schwäche, die mehrere Jahrhunderte währte, hat die chinesische Gesellschaft nun ihr Selbstbewußtsein und ihre Selbsterkenntnis wiedergewonnen. Das führt zu neuen Spannungen mit chinesischen Christen, die durch den europäischen und amerikanischen Konstantinismus geformt und gestählt worden sind. Nach dem chinesischen Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahre 2000 wurde das Aufkommen einer unabhängigen Zivilgesellschaft ein überragender Trend in der chinesischen Gesellschaft. In dieser Phase lösten sich Chinesen von der Armut und vom Unwissen; erstmals in ihrem Leben hat die große Masse einen Sinn für das Selbstvertrauen gewonnen und konkrete Erwartungen bezüglich der Zukunft entwickelt. Chinesen haben im Ausland studiert und fühlen sich nicht länger minderwertig. Sie haben neue Erwartungen entwickelt hinsichtlich des Sinns des Lebens und der Jagd nach dem persönlichen Glück aufgestellt.
Obwohl sie einerseits an Selbstvertrauen gewinnen, haben sie andererseits Angst vor der menschlichen Leere und der Sinnlosigkeit. Wie soll man einen wahren Lebenssinn erkennen und realisieren? Die Ära religiöser Ohnmacht und unreflektierter Selbstgenügsamkeit tritt in den Hintergrund und eine parallel vorhandene Welt von kritischer, religiöser Überlegung und einer Neuinterpretation von Mythologien quillt hervor.
Wir müssen aufpassen bezüglich der Fortentwicklung eines von oben nach unten konstruierten Christentums. Diese Strategie stammt gerade von denen, die nach dem Aufbau eines christlichen Staates streben. Die zahlenmäßige Zunahme der Christen ist ein wesentlicher Teil ihres Plans. Sie alle wünschen, daß China eine christliche Nation wird. Doch wird diese Denkweise großen Schaden verursachen und das anhaltende Gedeihen der christlichen Kirche verhindern.
In Europa und Amerika kann man von drei Sorten des Christentums ausgehen. Erstens gibt es das Modell eines irdischen, religiösen Reiches, das die Einheit von Politik und Religion erstrebt. Sein Ideal ist die Verwirklichung eines irdischen Reichs. Zweitens besteht ein Kirchenmodell, das den massiven Konsum unterstützt. Dieses Model ist das christliche Pendant zur säkularen Konsum- und Wachstumsideologie der Gegenwart. Es erstrebt einen religiösen Supermarkt größten Ausmaßes an, der religiösen Plunder, der Ruhm und Glück verheißt, verbreitet. Drittens gibt es auch noch das Modell einer proaktiven, in der Mission begründeten Kirche. Dieser Typus von Kirche geht davon aus, daß die Christen auf Dauer eine gesellschaftliche Minderheit bleiben werden. Christen sollten deshalb vor allem der Lehre Christi folgen und seine Jünger werden.
Ein möglicher Ausweg
Es ist in höchstem Maße erforderlich, daß wir den eigenständigen Charakter des christlichen Glaubens etablieren und vorleben. Das muß die historische Zielrichtung des christlichen Glaubens in
China werden. Nur so können sich die Christen Chinas von Verstrickungen und den drohenden Sog der Politik und Ideologie befreien. Durch die Wiedergewinnung der Eigenständigkeit können China und
die Welt überhaupt den eigentlichen Zweck und das Wesen des christlichen Glaubens auf chinesischem Boden herausstellen.
Wir wollen das Anwachsen missionarisch-gesinnter Gemeinden. Doch müssen wir einräumen, daß wir in dieser Welt eine Minderheit bleiben werden. Christen erstreben nicht die irdische Macht, weder Ruhm noch Wohlstand. Daraus läßt sich jedoch nicht folgern, daß sie defensiv und nach innen gewandt vorgehen sollten. Sie sollten vielmehr aktiv sein und in der Gesellschaft ihren christlichen Glauben bezeugen. Dieser Glaube kommt jedoch ohne kirchliche Krankenhäuser und Schulen aus. Christen sind zufrieden damit, Teile und Diener des Ganzen zu sein.
Wir wollen einfach Christen sein. Wir sind weder orthodox, katholisch noch protestantisch. Wir sind weder Calvinisten, Bezaisten noch Animisten. Wir sind Christen und auch nur Christen. Ob griechisch-orthodox, lateinisch-katholisch, germanisch-evangelisch oder eine östlich-monophystische Sekte – für uns besitzen alle traditionellen christlichen Konfessionen den gleichen Rang. Gemeinsam stellen sie die 2.000-jährige Tradition der Christenheit dar und wir respektieren das.
Aber die chinesische Christenheit muß sich transformieren und erneuern, wenn sie den eigenständigen Charakter ihres Glaubens unter Beweis stellen will. Und der Schlüssel zu dieser Transformation besteht im Wechsel von Christentum als Religion zu einem Christentum des Glaubens. Wie können wir das chinesische Christentum wiederaufbauen? Es geht nur mittels einer Rückkehr zu Jesus als der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wir halten an einem Glauben, nicht an einer Religion, fest. Wir stellen fest, daß Jesu Weg, Wahrheit und Leben das Fundament und der Kern unseres Glaubens sind.
Das traditionelle, religiöse Christentum, das an klerikalen Privilegien festhält, wird ersetzt werden; die Wahrhaftigkeit und Integrität des christlichen Glaubens können erst dann zum Vorschein kommen. Dies wird den eigenständigen Charakter des Glaubens in China bestimmen. Das Aufkommen einer Zivilgesellschaft in China konfrontiert christliche Laie mit einer neuen und ebenfalls selbständigen Gruppierung. Diese christlichen Laien erwerben die Fähigkeit, die Ausrichtung des chinesischen Christentums im heutigen Kontext von Modernität und Globalisierung festzulegen. Mit dem Älterwerden der traditionell-gesinnten christlichen Gemeinschaften, macht sich eine neue Generation von Laien daran, das Rückgrat der Kirche zu bilden.
Kurz um: Der Anbruch einer neuen, von Laien dominierten Ära läßt folgern, daß das traditionelle, von Geistlichen geführte Christentum Chinas auf sein Ende zugeht. Jene, die den Strom der Gegenwart erahnen während sie ihn gleichzeitig führen und gestalten, sind stets Laie. Unbeschadet der Heftigkeit, mit der der traditionelle Klerus sich müht, die eigenen Auffassungen mit der entsprechenden Mythologie zu fördern, geht seine Ära unausweichlich zur Neige.
Im Prozeß der Verwerfung von Religion und des Jagens nach Glauben im 21. Jahrhundert, wird der geistliche Charakter eigenständiger Laie sie in die vorderste Reihe der Bewegung zur Wiederherstellung des Evangeliums als das himmlische Reich Christi führen. Dieser Prozeß, den das Laientum mit seinen eigenen begrenzten Mitteln nach vorne bringen kann, ist Sinn und Ziel des Evangeliums im heutigen China.
Zur Wiederholung: Für die jüngere Generation ist der Übergang von der Religion zum Glauben das Hauptthema im 21. Jahrhundert. Das Thema des 21. Jahrhunderts ist die Abkehr von der Theokratie des Alten Testaments und des Apostels Paulus hin zur Lehre Christi vom himmlischen Reich. Indem wir die Einzigartigkeit des Christentums betonen, verursachen wir eine scharfe Konfrontation mit der traditionellen, chinesischen Zivilisation. Es ist jedoch die jüngere Generation von Christen, die am ehesten Verständnis findet für ein Evangelium, das vom himmlischen Reich Jesus Christi ausgeht.
Ling Fenglei
Redigiert von:
Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 7. Dezember 2019
Webseite „wyoder.de“
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