Ein Brückenbauer zwischen Ost und West
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Siegfried Springer heimgerufen
B e r l i n – Am 16. Februar verstarb Bischof Siegfried Springer im 89. Lebensjahr. Die Gedenkfeier fand am 9. März an seinem Wohnort, Bad Sooden-Allendorf/Hessen, statt. Geboren 1930 in Mineralnie Wody/Kaukasus, hatte er sieben Jahr später die Erschießung seines Vaters und eines Großvaters zu verkraften. Danach lebte der Rest der deutschstämmigen Familie in der Ukraine; 1944 erfolgte die Flucht gen Westen. Siegfried Springer konnte 1947 seine Zelte endgültig im deutschen Westen aufschlagen. Danach studierte er Theologie und wurde Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Als Pendler zwischen Ost und West war er dann von 1992 bis 2007 Bischof der „Evangelischen Kirche im europäischen Rußland“.
Siegfried Springer war ein Original. Immer wieder bewegte sich dieser Pietist auf der Schnittstelle zwischen dem deutschen Mainstream und dem bekenntnisverwandten Luthertum. Gemeint ist damit das Gefälle zwischen EKD und der US-amerikanischen ELCA auf der einen Seite, sowie der deutschen SELK und der amerikanischen Missouri-Synode (LCMS) auf der anderen. Er sah immer das gesamte Luthertum. Er konnte sich mit Humor und Zugewandtheit mit allen unterhalten; Tabugruppen gab es kaum. Er ging seinen eigenen Weg gemäß den eigenen theologischen Überzeugungen. Das brachte ihm nicht nur Freunde ein. Dennoch hatte er ein festes Standbein bei der ELCA – weniger im Hannoverschen Außenamt der EKD. Jedenfalls wurde es schwieriger je mehr sich das Außenamt dem westlichen Modell eines „weltoffenen“ Protestantismus verschrieb.
Beliebt war der Verstorbene unter den Lutheranern Rußlands, letztlich war er einer von ihnen. Für viele war er eine Vaterfigur. Er verstand sehr gut, daß rußlanddeutsche Lutheraner nahezu ausschließlich pietistisch geprägt waren und handelte dementsprechend. Er wußte, daß sie etwa für die Segnung von Homo-Ehen wenig Verständnis aufbringen und Hemmungen gegenüber der in Deutschland verbreiteten wissenschaftlichen Theologie hegen. In der letzten Dienstphase als Bischof in Rußland stellte er sich sogar gegen die Ordination von Frauen. Doch das das hatte für ihn vor allem praktische Gründe; schon aus ökumenischen Überlegungen ist im orthodox-geprägten Rußland der Dienst von Pfarrerinnen schwierig.
Bischof Springer war standfest und mutig. Noch als Lediger begab er sich 1957 erstmals seit Kriegsende in die Sowjetunion ohne die Gewißheit, nach Deutschland zurückkehren zu können. Laut Abmachungen am Kriegsende war die UdSSR keineswegs gehalten, neue, im Krieg erworbene Staatsbürgerschaften anzuerkennen. Aus russischer Sicht galt Springer immer noch in gewissen Sinne als Sowjetbürger. (Sicherlich: Wer als bewußter Christ ständig in der UdSSR lebte, war noch mutiger.)
Bei den Moskauer Weltjugendfestspielen im Juli und August 1957 wurden dann er und der spätere Evangelist Klaus Vollmer (1930-2011) vom sowjetischen Komsomol spontan aufgefordert, an einer Debatte über die Existenz Gottes teilzunehmen. So konnten die beiden vor Tausenden auf dem gewaltigen, von Stalin erbauten Ausstellungsgelände „WDNH“ für den Glauben werben. Nach der Debatte räumten die atheistischen Gastgeber den Gästen aus Deutschland sogar ein, den Sieg davongetragen zu haben! So berichtet der Verstorbene in seinen 2013 erschienenen Memoiren: „Dem Himmel in Russland näher“. (Das Buch ist auch auf Russisch und Englisch erschienen.)
Die Rückwanderung der Deutschen aus Rußland war ein Hauptthema in seinem Wirken und Denken. Für ihn hatte die Ausreise nichts Verwerfliches an sich. Sie hat er nicht kritisiert, und er bemühte sich stets um die Integration der Aussiedler ins kirchliche Leben Deutschlands. Das gefällt nicht allen in Rußland Verbliebenen.
Umstritten war sein Einsatz in den 80er Jahren für aus Rumänien ausgereiste evangelische Pfarrer. Er meinte, sie sollten in den deutschen Landeskirchen ihren Dienst fortsetzen dürfen. Er hatte jedenfalls ein großes Herz für das Leiden und die Bedürfnisse der Menschen.
Dennoch war er wie kein anderer dem Aufbau und der Erstarkung des Luthertums innerhalb Russlands nach der Wende verpflichtet. Er schonte die eigene Gesundheit keineswegs – er war lange herzkrank unterwegs. Er fungierte als Brücke zwischen den aus Rußland Ausgereisten und den Daheimgebliebenen.
Bischof Siegfried Springer wird schwer zu ersetzen sein – der Pastor, der in beiden Welten zuhause war. Mögen sich Menschen finden, die mit ähnlichem Einsatz und mit menschenfreundlicher Zugewandtheit ihre Lebensjahre dem Dienst in Rußand widmen! Das russische Luthertum braucht sie dringend.
Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 9. April 2019
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