Gründe für Hoffnung in der Ost-Ukraine
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Ein Moskauer Pastor berichtet über seinen Besuch in Lugansk
M o s k a u – Während einer Begegnung mit dem Moskauer Baptistenpastor Witali Wlasenko am 14. Dezember betonte der Lugansker Metropolit Mitrofan, daß „Evangeliumschristen, Baptisten und Pfingstler zu den traditionellen Konfessionen in unserer Region gehören“. Der orthodoxe Geistliche versprach, alles in seiner Macht zu tun, um die Beziehungen zwischen Protestanten und der abgespaltenen „Lugansker Volksrepublik“ (LVR) in der umkämpften Ost-Ukraine zu normalisieren.
Seit dem 15. Oktober sind alle der 48 protestantischen Ortsgemeinden im Gebiet Lugansk offiziell unregistriert. Bis zu diesem Datum hatte keine von ihnen die strengen Bedingungen der LVR für die Neuregistrierung erfüllt. Als Folge wurde die Gaszufuhr zu einigen Kirchen eingestellt; ein Abstellen des Stroms erscheint möglich. Folglich trifft sich eine zunehmende Zahl von Evangelischen in Privatquartieren. Ohne Registrierung ist das Besuchen von Waisenhäusern und andere Formen öffentlichen Dienstes kaum möglich. Wegen Übertretungen sind Geldstrafen von 5.000 russischen Rubeln (gegenwärtig 67 Euro) mehrfach verhängt worden; wiederholte Übertretungen können eine Verhaftung nach sich ziehen.
Nach dem Gespräch mit Mitrofan wurde der Gast aus Moskau noch von Dmitri Sidorow, dem jungen Minister der LVR für Kultur, Sport und Jugend, empfangen. Sidorow versicherte seinem Gast, daß rechtschaffende Evangelische nichts zu befürchten hätten und sie sich erneut um die Registrierung bemühen sollten. Die Bestimmungen für die Neuregistrierung verlangen die Unterschriften von 30 Gemeindegliedern, die seit der Schaffung der LVR 2014 gesetzlich unbescholten sind. Nach Wlasenko verfügen nur 32 der 48 Gemeinden im Gebiet über die erforderliche Mitgliederzahl; die übrigen 16 haben sich schon beim ersten Anlauf nicht um die Registrierung bemüht. Bei einem Gespräch unter den evangelischen Leitern im Gebiet ist bereits entschieden worden, die Neuregistrierung für einen möglichst großen Kreis von Gemeinden erneut zu versuchen.
Der Gast aus Moskau beschreibt die Stimmung unter den Evangelischen der LVR als verzweifelt. Sie bemühen sich, ihren Weg „zwischen zwei Feuern“ zu finden. Sowohl die Behörden vor Ort sowie die Kirchenleitungen jenseits der Front im fernen Kiew verlangen Zeichen der Ergebenheit. Zugeständnisse gegenüber der örtlichen Regierung können zu Vorwürfen des Verrats seitens der pro-Kiewer Kreise führen. Kirchendiplomaten aus Rußland, die sich um eine Vermittlung zwischen Kirche und Staat im Donbass bemühen, wird vorgehalten, sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen. Es sind jedoch nur pro-russische Ukrainer und Russen, die Aussichten haben, eine Verständigung in Lugansk oder Donezk zu erzielen. Nur sie haben Zugang zu den Behörden der LVR.
Kommentar von Yoder
In einer Reaktion auf diesen Besuch auf Facebook am 15. Dezember fragte ein in Washington/USA wohnender Ukrainer rhetorisch, in welcher Weise sich eine legale Übereinkunft mit einem illegalen Staat erzielen läßt. Die politisch-aktiven Evangelischen in Kiew wenden Römer 13,1 – daß Christen der Obrigkeit untertan sein sollten – auf die beiden abgespaltenen Staaten in der Ost-Ukraine nicht an. Zur Begründung ihrer Haltung werden sie auf die verfassungswidrige und somit illegale Schaffung dieser beiden Staaten hinweisen. Doch die Kiewer Regierung ist nicht weniger illegal, denn sie ist das Ergebnis gewalttätiger Straßenproteste im Februar 2014, die die verfassungsmäßig-gewählte Regierung von Wiktor Janukowitsch stürzten.
Dr. phil. William Yoder
Gwardejsk, den 27. December 2018
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Leserbriefe
Am 15. Januar schrieb Wilmer Otto aus Illinois/USA:
Could
you kindly report how the government of Yanukovich was a legal government, when outside observers reported widespread fraud in his purported election.
Further, he effectively ended his presidency by removing himself from his duties, and
therefore a legal process was undertaken to replace him.
Quite a surprise that you deemed the government an illegal government in the face of most
of the rest of the world, including the United Nations, recognizing it as the legitimate representative of Ukraine. Please explain.
Joachim Willems schrieb am 2. Januar aus Berlin:
Mit großem Interesse und Gewinn lese ich seit Jahren Ihre E-Mails. Ihren Kommentar zu
Lugansk/Donezk und Kiew möchte ich allerdings nicht unwidersprochen lassen: Die Kiewer Regierung ist durch mehr oder weniger freie Wahlen legitimiert, die 'Regierungen' von Lugansk und Donezk
sind das Ergebnis einer völkerrechtswidrigen Invasion eines ausländischen Staates. Um es mit einem Beispiel aus Deutschland zu sagen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Weimarer Republik, die
das Ergebnis einer Revolution war, dann aber die Legitimation durch Wahlen nachgeholt hat, und der Annektion von Deutschland benachbarten Gebieten durch die Nationalsozialisten. Und wer ist
eigentlich die legitime Obrigkeit in den USA? Die britische Krone? Oder die traditionellen Führer der first nations? Oder sind Washington, Lincoln, Carter, die Bushs, Obama, ja sogar der nach
Stimmen unterlegene Trump nicht durchaus legale und legitime 'Obrigkeit'?
Yoder: Janukowitsch‘ Wahlsieg Anfang 2010 wurde von internationalen Wahlbeobachtern als legitim anerkannt. Siehe z.B. die Wahltagsbefragungen (exit polls) sowie einen Aufsatz der
englischen „Guardian“ vom 8. Februar 2010: „Beobachter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) sagten, es hätten keine Anzeichen von ernsthaftem Betrug gegeben und beschrieben den Wahlgang als eine ‚eindrucksvolle Äußerung‘ von Demokratie. ‚Diese Wahl war allen in der
Ukraine ein Sieg‘, versicherte João Soares, Präsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.“ Jawohl, Janukowitsch erwies sich nach der Wahl als ein eindeutig korrupter Präsident –
wahrscheinlich noch korrupter als der gegenwärtige Präsident.
Wilmer Otto schreibt, es sei „ein gesetzlicher Prozeß unternehmen worden, um ihn zu ersetzen“. Doch waren die gewaltsamen Straßenschlachten Anfang 2014 keineswegs legal und die erste Abstimmung in der Werchowna Rada erreichte nicht die gesetzlich erforderliche Mehrheit. Schon lange ist das Land etwa 50-50 politisch geteilt – schauen wir z.B. auf die Wahlergebnisse zwischen 1990 und 2014. Der Maidan 2014 war im wesentlichen ein erfolgreicher „Putsch“ der westlichen Hälfte gegen die östliche. Das Ergebnis war eine bedauerliche aber nachvollziehbare Aufspaltung des Landes
Ich halte es für falsch – siehe Willems – die Vorfälle in Donetsk und Lugansk auf eine russische Invasion zu reduzieren. Die Einheimischen waren sehr wohl am „Regierungswechsel“ im Donbass beteiligt. Alle Karten, die Abstimmungsprozente verdeutlichen, zeigen, daß Donbass und die Krim stets überwältigend pro-russisch abgestimmt haben. Allerdings: Reguläre russische Truppen waren aktiv bei den Schlachten um Ilowajsk (August 2014) und Debalzewo (Februar 2015).
Zum Schluß: Nach internationalem Recht ließe sich die Schaffung sehr vieler Staaten als „illegal“ bezeichnen. Beide Kritiker sagen zurecht, daß im Laufe der Zeit ausländische oder internationale Gremien ein illegal geschaffener Staat (die USA z.B.) als rechtens anerkennen können. Dieses Glück ist Kiew widerfahren – nicht jedoch Donetsk oder Lugansk. Man kann die Schaffung aller drei Staatssysteme als “illegal” einstufen, doch die letzten beiden „Illegalitäten“ waren direkte Ergebnisse der ersten.
Mir gefallen moralistische Spiele nicht, die unüberlegt konstatieren, daß ein Staat „weniger sündhaft“ wäre als andere. Es ist meistens menschlich unmöglich, die Ausmaße der Sünden eines Staates im Vergleich mit anderen zu ermessen. Wer besitzt das passende Gerät, um die relative Schuld zu quantifizieren? Das ist ein äußerst subjektives Unterfangen. Verzichten wir lieber auf den Vorwurf der Illegalität gegenüber Staaten.
Viel wichtiger sind Fragen bezüglich der Zukunft: Wie kann man den Krieg in der Ukraine einstellen? Darum geht es. Und der Verhandlungstisch ist die einzige, moralisch vertretbare Option.
Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 9. April 2019