Baptistische Großorganisationen legen sich geopolitisch fest
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Ebenfalls: Baptisten aus Rußland und der Ukraine treffen sich
Kommentar
G w a r d e j s k -- Der Baptistische Weltbund (BWA) sowie die Europäische Baptistische Föderation (EBF) sind dabei, sich im neuen, aufkommenden Kalten Krieg geopolitisch festzulegen. Bei seiner Rede vor dem Parlament der Weltreligionen in Toronto am 3. November ergriff der Texaner Elijah Brown, Generalsekretär des Weltbundes, Partei für die Sache Kiews bei den kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten des Landes. Ohne den Moskauer Patriarchen Kirill namentlich zu erwähnen, warf Brown ihm vor, im Namen des Schutzes der Religion die östliche Seite in der Auseinandersetzung auf ukrainischem Boden zu unterstützen. Dabei erwähnte er die Begegnungen von Spitzenvertretern dieser beiden Organisationen mit dem Präsidenten Petro Poroschenko und Andrij Parubij in Kiew am 4. Oktober. Doch nur Poroschenko erwähnte Brown namentlich; Parubij ist Parlamentspräsident und ranghöchster Faschist in diesem Lande. Gemeinsam mit Oleh Tjahnybok gründete er 1991 die „Sozial-Nationale Partei der Ukraine“. Eine Begegnung mit Parubij ist folglich moralisch anders zu beurteilen als ein Treffen mit Poroschenko oder Wladimir Putin.
Nach den Gesprächen am 4. Oktober hatte die Webseite des Präsidenten Poroschenko das Foto von einem innigen Handschlag zwischen ihm und dem Südafrikaner Paul Msiza, dem Präsidenten der BWA, gebracht. Dabei sagte Msiza laut EBF-Meldung: „Wir sind heute da, um den Ukrainern unsere Solidarität zu zeigen.“ Bei dieser Begegnung bedankte sich Poroschenko für die baptistische Unterstützung der ukrainischen Armee – Baptisten sollten, so der Präsident, zu deren psychologischer und moralischer Stärkung beitragen. Ein Gruppenfoto der Baptisten mit Parubij wurde ebenfalls publiziert. Schon am 1. Juni 2017 war er beim Nationalen Gebetsfrühstück in Kiew aufgetreten.
Zuvor hatte vom 26. bis 29. September im westukrainischen Lwow der jährlich stattfindende Rat der EBF getagt. Diese Begegnung von 160 Kirchenvertretern stand unter der Losung “Versöhnung in Christus”, doch m.W. wurde das Gespräch mit den Vertretern des Staates jenseits der Front in der Ost-Ukraine gar nicht erst gesucht. Eine EBF-Meldung vom 3. Oktober wiederholte eine von Petro Poroschenko gebrauchte Redewendung, als sie von „vorrübergehend besetzten Gebieten“ sprach. Unerwähnt blieb die Tatsache, daß Schießpulver und eine ethnische Reinigung erforderlich wären, um jenes Gebiet abermals unter Kiewer Herrschaft zu bringen. Keine Verlautbarung jener Konferenz erwähnte das Faktum, daß eine Wiedervereinigung durch Konzessionen am Verhandlungstisch die einzige christlich-vertretbare Lösung sei.
Die Anhänger Kiews können natürlich erwidern, daß trotz guten Willens ihrerseits die andere Seite zu keinem Gespräch bereit sei. Und es stimmt, daß trotz wiederholter Bemühungen nicht einmal ich die Republiken von Donetsk und Lugansk habe besuchen dürfen. Mein US-Reisepaß gilt als rotes Tuch. Doch die Vertreter von Donetsk und Lugansk haben Gründe für ihre Ressentiments. Es wäre äußerst naiv zu folgern: Kiew ist gut, Moskau ist schlecht.
Zum 15. Oktober, nur wenige Tage nach den Begegnungen in Kiew, wurden sämtliche protestantischen Konfessionen im Gebiet der Lugansker Volksrepublik juristisch verboten. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen läßt sich nicht ausschließen. Nun bleibt es Kirchenvertretern mit russischem Paß überlassen, in das Gebiet Lugansk zu reisen in der Hoffnung, die Wogen zu glätten und eine Abmilderung der Härten für die dortigen Protestanten zu erreichen.
Berichten zufolge bietet der Baptist Olexander Turtschynow, einst Interimspräsident und heute Sicherheits- und Verteidigungssekretär der Ukraine, an, im Lande eine neuartige, schlagkräftige und bemittelte Evangelische Allianz aufzubauen.
So würde sich ein Teil der Strategie wiederholen, die bereits im ersten Kalten Krieg versucht worden ist: sich in die Machtzentralen des Westens flüchten und von jener Warte aus die Repressalien gegen die Protestanten im Gebiet zwischen Brest und Hongkong anprangern. Oder mit anderen Worten: In den Westen flüchten in der Hoffnung, im Osten besser helfen zu können. Das ist der bequemste – jedoch keineswegs der effektivste - Weg, zur Glaubensfreiheit beizutragen. Da tut sich auch die noch viel wichtigere Frage auf, ob ein system-gebundener Glaube überhaupt dem Wesen des Evangeliums entspricht.
Der Evangelist Franklin Graham, ein Anhänger Donald Trumps, sprengt den Konsens und versucht weiterhin, die Beziehungen westlicher Protestanten zur russischen Welt
auszubauen. Inoffiziellen Berichten zufolge soll sein Sohn Will Graham (geb. 1975) Ende November die Niederlassungen der Pfingstgemeinde „Neues Leben“ im Moskauer Raum besuchen. Diese Moskauer
Kirche wurde von Mats-Ola Ishoel, einem Norweger aus Schweden, aufgebaut und wird bis heute von ihm geführt.
Was sonst noch im Namen Moskaus geschieht
In den letzten 15 Jahren hat sich der Mitarbeiterstab in der Moskauer Zentrale der “Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ mehr als halbiert. Die erst seit April amtierende und von Peter Mitskewitsch angeführte Bundesleitung hat selbst einige Mitarbeiter gekündigt bzw. ihre Stellen und Arbeitsbereiche nicht neu besetzen lassen. Doch im Umgang mit den ukrainischen Glaubensgeschwistern scheint die neue Leitung eine gute Hand zu haben. Schon zweimal seit April hat sie Kiew besucht. Ende September war Mitskewitsch der erste russische Unionspräsident seit Jahren, der die Jahreskonferenz der EBF – dieses Mal in Lwow - aufsuchte.
Vom 26. bis 28. Oktober passierte Unerwartetes: Ein gemeinsamer Konferenzbesuch der Bundesleitungen von Moskau und Kiew auf der heute zu Rußland gehörenden Halbinsel Krim. Aus Moskau war der Erste Bundesvizepräsident Wiktor Ignatenkow nach Jalta gekommen. Igor Bandura, Vizepräsident der ukrainischen Union und leidenschaftlicher Verfechter einer pro-Kiewer Linie, konnte zu Fuß die Grenze zwischen der Ukraine und der Halbinsel passieren.
In der Auseinandersetzung bezüglich der Zugehörigkeit zur Kiewer oder zur Moskauer Union hatten sich die Krimer Baptistengemeinden am 7. Juli 2015 offiziell geteilt. Bei der Aufspaltung hatten rund 39 Gemeinden der pro-Kiewer Gruppierung angehört, 28 hatten sich für Moskau entschieden. Jetzt in Jalta wurde Pastor Weniamin Juchimez (Jalta) in seinem Amt als Leiter der pro-Kiewer Gruppierung bestätigt. Die Linie der Kiewer Bundesleitung besagt, daß sich alle Gemeinden auf der Krim nach Kiew zu orientieren haben. Die Moskauer Bundesleitung möchte diese Frage dem Gewissen der einzelnen Gemeinden überlassen.
Der Kommentar von Yoder: Erst 1969 brachten es die unierten und lutherischen Gemeinden der damaligen DDR fertig, einen eigenständigen, von der westlichen EKD getrennten Kirchenbund ins Leben zu rufen. Diese Anerkennung des Status quo hatte für den neuen Bund nahezu ausschließlich positive Auswirkungen. Trotz der Wiederwahl von Juchimez wird auf der Krim der Sinneswandel wohl weniger als 24 Jahre beanspruchen - ein erheblicher Teil der Baptistengemeinden hat das Faktische bereits akzeptiert. In der Ost-Ukraine ist die Lage aber viel verzwickter, denn eine „Heimkehr“ dieses Gebiets in den Schoß der Kiewer Regierung läßt sich nicht ausschließen. Die politischen Positionen des Kreml bezüglich der Krim und der Ost-Ukraine sind keineswegs deckungsgleich.
Syrien
Offiziell zu humanitären Zwecken besuchte Unionspräsident Peter Mitskewitsch gemeinsam mit seinem Verwaltungsdirektor Wladimir Miskewitsch Ende Oktober Syrien. Der Besuch läßt sich u.a. als ein Vertrauensindiz seitens des Kreml werten. Als Mensch mit hervorragenden Englischkenntnissen und jahrelangen internationalen Erfahrungen als Rektor des baptistischen Seminars in Moskau ist Mitskewitsch besser geeignet als seine Vorgänger für den kirchendiplomatischen Dienst im Ausland.
Doch dies war nicht der erste Besuch eines russischen Protestantenführers in Syrien: Im vergangenen Februar hatte Sergei Rjachowski, Bischof der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE) als Mitglied einer interreligiösen Delegation das kriegsgeschüttelte Land besucht. Für viele gilt der Pfingstler Rjachowski als der Erste unter Gleichen in der protestantischen Szene Rußlands.
Die Orthodoxien
Am 15. Oktober 2018 haben sich das Moskauer Patriarchat und das „ökumenische“ Patriarchat von Konstantinopel offiziell getrennt. Moskau erkennt Konstantinopel nicht mehr als das übergreifende orthodoxe Patriarchat an. Das hat weitreichende Folgen für alle orthodoxen Kirchen, erst recht für die kleinen Kirchen in der westlichen Diaspora. Nun muß man Farbe bekennen und erklären, ob man sich zu Moskau oder Konstantinopel hält. Das Moskauer Patriarchat war die bisher größte orthodoxe Benennung in der Ukraine; in der Ukraine wird nun heftig über den Besitz von Immobilien gekämpft werden (müssen).
Über diese Entwicklung sind die Protestanten Rußlands eher ratlos, deren Folgen lassen sich noch nicht abschätzen. Mir scheint es, dem Moskauer Patriarchat wird es nun leichter fallen, sich eindeutig zur Politik des Kremls zu bekennen. Zur feierlichen Ausrufung des Beitritts der Krim zu Rußland am 18. März 2014 war der russische Patriarch Kirill nicht einmal erschienen. Nun fällt die Notwendigkeit politischer Rücksichtnahme gegenüber den orthodoxen Kirchen auf ukrainischem Boden größtenteils weg. Nun darf sich das Moskauer Patriarchat weniger international zeigen; es ist nun sehr viel weniger frontübergreifend. Das wird eher negative Folgen für die Protestanten Rußlands haben. Es wird ihnen nun zwecks des eigenen Gedeihens darauf ankommen, verstärkt das Gespräch mit orthodoxen Kreisen im eigenen Lande zu suchen.
Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 13. November 2018
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