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Mennonitischer Erfolg in Sibirien

„Es ist wunderbar, was jetzt in unserem Lande passiert.“

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Ein Wirtschaftswunder in Sibirien

 

Reportage

 

G w a r d e j s k -- In einem westsibirischen Dorf, das 1911 von mennonitischen Siedlern aus der Ukraine gegründet worden ist, tut sich ein Wirtschaftswunder auf. Zwei Männer um die 40 Jahre, Jakob Dirksen und David Epp, haben dort einen landwirtschaftlichen Betrieb mit 6.000 Hektar und 40 Mitarbeitern aufgebaut.

 

Ihr Dorf nannte sich anfangs „Waldheim“ nach einem Ort in der mennonitischen Molotschna-Kolonie der Ost-Ukraine. Das russische Dorf ist heute eher unter seinem offiziellen Namen, „Apollonowka“, bekannt. Das meiste Ackerland befindet sich jedoch im Raum des Dorfes Medweschje (Медвежье), 35 km westlich von Apollonowka. Überhaupt liegt Apollonowka 51 km nördlich der Bahnstation Issilkul und 150 km nordwestlich der Großstadt Omsk. Issilkul ist der Grenzbahnhof für Züge von und nach Kasachstan.

 

„Der Erfolg unserer Firma hat viel für unser Dorf bedeutet,“ versichert der Direktor, Jakob Dirksen. „Die letzten beiden Jahre waren weniger gut, doch nun betreiben wir diese Landwirtschaft seit 13 Jahren und es hat im Wesentlichen sehr gut geklappt. Es hat sich vieles entwickelt.“ Miteigentümer David Epp erzählt: „Um das Jahr 2000 stand noch vieles auf der Kippe, weil hier im Dorf nichts los war. Viele wollten nach Deutschland ausreisen. Doch wegen des Erfolgs einer Futtermühle (die Verwandte betreiben), entschieden sie sich doch zu bleiben.“ David selbst ist ein Rückkehrer aus Deutschland und jüngerer Bruder des bekannten mennonitischen Historikers Peter Epp aus Issilkul. Überhaupt gelten drei der 40 Mitarbeiter als Rückkehrer aus Deutschland.

 

Jakob Dirksen fügt hinzu: „Wenn alles auf dem Lande weiter klappt, und es keinen Krieg gibt, dann liegt eine sehr gute Zukunft vor uns. Wir haben Menschen in Arbeit und Brot bringen können. Das hilft dann auch der Gemeinde, denn bei uns ist es so, daß die Gemeinde den Zehnten bekommt. Geht es dem Geschäft gut, dann geht es auch der Gemeinde gut.“ Gerade im April 2018 wurde ein neues, größeres mennonitisches Bethaus in Apollonowka eingeweiht. An der Feierstunde nahmen 900 Menschen teil – und das Dorf hat nur rund 850 Einwohner. Diese Mennoniten-Gemeinde hat 230 getaufte Mitglieder.

 

Auch die Kommune hat viel vom Erfolg: Ein riesiger, gelber Straßenhobel aus russischer Produktion sorgt im Frühjahr umsonst für befahrbare, unbefestigte Straßen. Die Maschine ist das Geschenk eines mennonitischen Unternehmers aus Kanada.

 

Dieser landwirtschaftliche Großbetrieb nennt sich „Willock-Farm“ (siehe „www.willock-farm.ru“), doch eigentlich besteht das Unternehmen aus zwei Firmen. Seit 2006 stellt die Firma „Sewmaster“ in Medweschje u.a. Eggen, Eggenfeder, Scheibeneggen und Karren für Sämaschinen her. So kann das Unternehmen für Vollbeschäftigung bei seinen Angestellten sorgen. Wenn draußen der Schnee liegt, geht für ein halbes Jahr die gesamte Mitarbeiterschaft in die Produktion. „Das ist ein altes Problem auf dem Dorf“, erzählt Epp, der Kopf hinter „Sewmaster“. „Die Landwirtschaft war nur eine saisonbedingte Beschäftigung. Im Winter gingen die Leute lieber trinken, oder sie fanden eine Arbeit in der Stadt und kamen nicht wieder.“ Heute halten sich die Einnahmen aus der Landwirtschaft (vor allem Getreide) und der Maschinenproduktion in etwa die Waage.

 

Bestehen Vorbehalte beim Staat aufgrund der Tatsache, daß es sich um Rußlanddeutsche handelt? „Da erfahren wir nur Dankbarkeit“, versichert David Epp. „Wir verspüren überhaupt keinen Druck.“ Die Kommunalpolitiker „haben großes Vertrauen zu uns Deutschen, denn sie wissen: Was versprochen wird, wird auch gemacht.“ Inzwischen ist man auch bei den Banken eine bekannte Größe; man bekommt problemlos Kredite. „Jetzt haben wir auch sehr gute, niedrige Zinsen“, fügt Epp hinzu. „Es ist wunderbar, was jetzt in unserem Lande passiert.“

 

Das Erfolgsgeheimnis

Dirksen und Epp sind davon überzeugt, daß in Rußland ein erfolgreiches, landwirtschaftliches Unternehmen bei null anfangen muß. In den 90er Jahren hatte sich das nordamerikanische Hilfswerk „Mennonite Central Committee“ an einem landwirtschaftlichen Projekt in Nieudatschino östlich von Omsk beteiligt. Jakob Dirksen führt dessen Scheitern darauf zurück, daß es „mit einer alten Kolchose verbunden war. Das waren ungläubige Leute. Sie setzten ein korruptes System fort. Wir dagegen konnten mit jungen Leuten anfangen, denen das alte System nicht bekannt war.“

 

Vom Wirtschaften einer ehemaligen Kolchose mit rund 400 Mitarbeitern im 30 km weiter südlich entfernten Dorf Solntsewka sind Dirksen und Epp keineswegs überzeugt. Epp versichert: „Die haben zu viele Mitarbeiter; sie sind nicht ausgelastet. Sie haben moderne Technik, doch alles ist zu groß. Sie können deshalb nicht wirtschaftlich arbeiten; die Gehälter bleiben sehr niedrig. Wäre die Kolchose mit der neuen Zeit kaputtgegangen und man hätte von vorne anfangen müssen, dann hätte die Sache vielleicht noch klappen können.“ Solntsewka ist ebenfalls ein überwiegend deutsches und mennonitisches Dorf; 10 der jetzigen Arbeiter bei Willock pendeln aus diesem Dorf zur Arbeit. „Und dennoch steht weiterhin eine lange Schlange von Arbeitswilligen bei uns an.“

 

Die beiden Leiter betonen jedoch, daß ihr Unternehmen ohne einen mennonitischen Großbauer aus Kanada mit russischen Wurzeln niemals zustande gekommen wäre. Der 80-jährige Rentner Walter Willms, der heute in Abbotsford bei Vancouver/Britisch Kolumbien lebt, gewährte zinsfrei die Millionenkredite, die die Gründung des Unternehmens ermöglichten.

 

„Onkel Walter“, wie er liebevoll von seinen Schützlingen genannt wird, hatte mit einer Gruppe 1997 erstmals Apollonowka besucht. Der Verkauf seiner Farm im nördlichen Fort St. John ermöglichte ihm dann, eine Weizenmühle in Apollonowka zu finanzieren. Das Experiment gelang und die Kredite wurden rasch zurückgezahlt. Es kam später eine Bäckerei hinzu. Im Jahre 2002 fing „Onkel Walter“ dann ein Projekt mit David und Jakob an. Er baute sich in Apollonowka ein eigenes Haus und verbringt weiterhin rund einen Monat pro Jahr vor Ort.

 

Die neue Firma war unter den Namen Walter und Anna Willms registriert; David und Jakob begannen, mit einem alten Traktor 360 Hektar zu beackern. Als Investor kam 2006 der Bruder von Anna, Arthur Block, hinzu. In Medweschje konnte dann 2007 eine Kolchose aufgekauft werden, die drei Jahre zuvor „kaputtgegangen“ war. Jakob Dirksen fügt hinzu: „Der Vertrag war von Anfang an so gemacht worden, daß David und ich Miteigentümer werden konnten. Das hat unser Interesse sehr verstärkt; wir waren mehr als nur Angestellte.“ Inzwischen sind rund 40% der Kredite zurückgezahlt; die endgültige Abbezahlung ist in Sicht.

 

In den Anfangsjahren machte sich Walter Willms auch die Mühe, seine beiden Schützlinge gründlich auszubilden. „Walter hatte sehr viel Erfahrung in der Landwirtschaft“, erzählt David. „Wir gingen bei ihm in die Schule.“

 

David Epp hält viel vom Produktionsprozeß bei „Sewmaster“: „Wir prüfen unsere Technik auf unseren eigenen Feldern. So lernen wir die Schwachstellen kennen und können preisgünstig eine hohe Qualität liefern.“ Ihnen gilt die Goldene Regel von Matthäus 7,12: „Alles nun, was Ihr wollt, daß Euch die Leute tun sollen, das tut Ihr ihnen auch.“ 

 

Bei diesem Unternehmen bleibt der Glaube keineswegs außen vor. „Wir vertrauen unseren Arbeitern,“ versichert David. Wenn sie etwa beim Traktor Diesel tanken, kontrollieren wir nicht nach. Es soll christlich bleiben: Wir passen auf, daß keiner unterdrückt wird.“ Und Jakob meint: „Das machen wir auch bei unseren Kunden. Wir sind sehr bemüht, unser Wort einzuhalten. Nur so kann Vertrauen entstehen.“ Beim Staat werden alle Steuern entrichtet; der Korruptionsverdacht darf nie aufkommen. Sonntags wird auch nie gearbeitet – auch nicht in der Erntezeit.

 

Von großer Bedeutung beim Erfolg ist nicht zuletzt das staatliche Entgegenkommen. Der russische Staat ist sehr bemüht, „gute Leute“ auf dem Lande zu behalten. Der Familienvater David Epp berichtet, ihm habe der Staat umgerechnet 30.000 US-Dollar für den Bau seines Einfamilienhauses geschenkt. „Sie haben nur ein bißchen kontrolliert, um zu sehen, ob das Haus wirklich gebaut wird. Als es dann fertig wurde, war das Haus schon völlig schuldenfrei.“

 

Die jährliche Inflationsrate im Lande liegt über 10%. Doch diese Landwirte bezahlten 2017 einen Zinssatz von 2,7%. Diese Kredite sind auf die Landwirtschaft beschränkt – der übliche Zinssatz liegt weiterhin bei 13-14%.

 

Kommentar: Ist das Modell übertragbar?

Bezüglich der Übertragbarkeit ihres Vorhabens auf andere Unternehmer sind David und Jakob nur mäßig optimistisch. „Das ginge wenn es noch weitere ‚Onkel Walters‘ gäbe“, meinten sie. „Doch vielleicht ist Walter der einzige Mensch in Kanada mit einem solchen Glauben an Rußland. In der jetzigen politischen Großwetterlage ist es ganz schwierig mit Krediten.“

 

Von der bekannten, in Kanada tätigen „Mennonite Economic Development Association“ (MEDA) wußten die beiden nichts. MEDA befaßt sich u.a. mit staatlich finanzierten Großprojekten in der Ukraine. Meine Frage: Sollte man deshalb lieber nicht unter den vermögenden Christen Chinas nach neuen ‚Onkel Walters‘ suchen? Wer unter unseren Lesern hat solche Beziehungen?

 

Auch bezüglich der Weitergabe von Bildung und dem Erfahrungsaustausch geben sich die beiden bedeckt. „Wir sind noch nicht so weit“, antwortet Jakob. „Wir haben noch viele Projekte im  Kopf. Es ist noch viel zu tun, bis alles in Ordnung ist.“

 

Eins ist klar: Ohne das Schaffen gutdotierter Stellen ist gewaltfrei das Abwandern der Protestanten in Richtung Westen niemals aufzuhalten. Kirchen, die auf Pump aus dem Westen existieren, tragen auch auf Dauer auch keine Verheißung. Diese beiden Männer weisen auf einen Weg ins Freie.

 

Zum Nachdenken

Rund 10 der Angestellten bei Willock sind Einheimische russischer Nationalität aus der Umgebung. Keiner von ihnen hat eine leitende Position inne. Im russischen Dorf ist es nicht gerade einfach, „starke Kader russischer Nation“ zu finden. Die Pfiffigsten sind selten auf dem Lande zu halten; sie wandern schnell in die Städte ab. Es bleiben dann im Dorfe die Untermotivierten und Suchtkranken zurück. Ist das aber die ganze Wahrheit?

 

Eine Frage: Was tun die Leiter von Willock-Farm, um zu verhindern, daß sich die schlimmen Racheakte von 1920-1941 wiederholen? Was macht Ihr heute anders? Was haben die Mennoniten aus der Katastrophe in der Ukraine und in Westsibirien gelernt? Haben die Mennoniten Neid entstehen lassen, weil sie zu wenig mit den slawischen Nachbarn geteilt haben? Wollt Ihr heute etwas tun, damit das Wohlstandsgefälle vor Ort nicht zu groß wird? Genügt es, wenn „die Russen“ auf ewig nur Eure Angestellten sind? Denkt Ihr daran, bewährte russische Mitarbeiter als Miteigentümer aufzunehmen?

 

Darauf antwortet Jakob Dirksen, es sei noch viel zu früh, über ein Wohlstandsgefälle nachzudenken. Das sei vor allem ein internes, russisches Problem: „Es gibt Russen, die sehr viel reicher sind als wir. Bisher sind Neidgefühle nicht erkennbar.“ Man freut sich vielmehr über die Aufbauarbeit, die von den Rußlanddeutschen geleistet wird.

 

Vielleicht wird diese Frage wirklich an der falschen Stelle gestellt: Der „Milchkönig“ Rußlands ist ein Deutscher aus Deutschland und Freund Wladimir Putins. Stefan Dürr besitzt mindestens 200.000 Hektar Land und 60.000 Kühe. Seine Firmen beschäftigen 4.000 Personen. Falls jemals wieder mit den „Kulaken“ abgerechnet werden soll, müßte man etwa bei Herrn Dürr anfangen. Die heutigen Vorhaben der Mennoniten sind von einer völlig anderen Größenordnung.

 

Dr. phil. William Yoder
Gwardejsk, den 14.
Juni 2018

 

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