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Alexander Scheiermann neuer Bischof in Sibirien

In Rußland stehen die lutherischen Pietisten nicht alleine da

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Alexander Scheiermann als Bischof von Sibirien und Fernost eingeführt

 

M o s k a u – Der am 16. Oktober letzten Jahres gewählte Alexander Scheiermann wurde in Omsk am 23. April als Bischof der „Evangelisch-Lutherischen Kirche Ural, Sibirien und Fernost“ (ELKUSFO) eingeführt. Der erste Eindruck kann täuschen: Obwohl bei lutherischen Ereignissen in Rußland Vertreter vom Außenamt der EKD normalerweise an prominentester Stelle zu sehen sind, weist das Kommen des großgewachsenen, leisesprechenden und freundlichen Alexander Scheiermann nach Sibirien darauf hin, daß die pietistischen Kräfte in dieser Kirche noch voll zum Zuge kommen. Die pietistischen Missionswerke von Liebenzell, Marburg und Hermannsburg waren bei diesen Feierlichkeiten alle vertreten. Der konservative Volker Sailer aus Stuttgart, Bischof dieser Kirche von 1998 bis 2004, sowie Brigitte Schaude, die Witwe von Otto Schaude, der deutsche Bischof von 2010 bis 2016, waren ebenfalls erschienen. Die legendäre „Schwester Luise“, eine Diakonisse aus Elbingerode, die bis 2005 in Moskau gedient hatte, verbringt 90-tägige Aufenthalte in der Omsker Zentrale. Obwohl die Hermannsburger Mission ihr Programm zur Ausbildung osteuropäischer Pastoren eingestellt hat, war einer der letzten Studenten in diesem Programm in Omsk präsent. Der Tomsker Pastor Witali Moor hatte dieses Programm 2011 abgeschlossen.

 

Die lutherischen Überzeugungen sind auch in Rußland bunt: Während sich eine Gruppierung um das Evangelisieren bemüht, befassen sich andere eher mit Geigen und Tanz. Bei Veranstaltungen am Samstag, den 22. April, erschienen Letzere das Sagen zu haben. Doch die Aktivitäten deutscher Kulturvereine unter kirchlicher Obhut genießen nur einen bescheidenen Segen unter denen, die den russischen Charakter des nationalen Luthertums hervorkehren wollen. Die anderswo angebundene „Evangelisch-Lutherische Kirche Ingermanlands in Rußland“ (ELKIR) ist in ethnischer Hinsicht viel eher finnisch als deutsch.

 

Eine Person war im Namen der Deutschen und Russischen Evangelischen Allianz dabei, doch waren Nichtlutheraner beim Omsker Ereignis so gut wie unsichtbar. Einem lutherischen Gast, Pastor Wille Melanen von der ELKIR-Propstei in Krasnojarsk, bestand darauf, im Sinne der ursprünglichen Reformation zu agieren. Bei einem Grußwort am Sonntag griff er den Bericht des EKD-Vertreters (Arend de Fries von der Hannoverschen Landeskirche) an, in dem de Fries äußerst positiv über eine Aussöhnung zwischen deutschen Lutheranern und Katholiken berichtet hattet. Die meisten – aber nicht alle - fanden den feierlichen Kontext unpassend; ein ausländischer Gast empfand den Auftritt als „mutig“.

 

Bradn Buerkle, ein US-Theologe am lutherischen Seminar in Nowasaratowka nahe Sankt Petersburg, empfindet es als sachlich falsch, Kirchenpolitik in die Wahl Scheiermanns hineinzuinterpretieren. „Hier gibt es einen, dessen Biografie mit dem Omsker Gebiet verbunden ist. Er ist wohlgelitten hier, hat ausländische Kontakte, spricht sogar Deutsch und verfügt über eine großartige Kombination von Gaben. Ein Mensch nur mit einer volkskirchlichen Frömmigkeit hätte sich gegen das Kommen Scheiermanns nicht gesperrt.“ Der neue Bischof, geboren 1967 im Omsker Gebiet und heute deutscher Staatsbürger, verbrachte nur die Jahre 1988-95 in Deutschland bzw. in der Schweiz. Er diente als Propst in Saratow/Wolga seit 1997.

 

Buerkle, der 2001 im Auftrage der “Evangelical Lutheran Church of America” nach Rußland gekommen war, wird heute von der Hermannsburger Mission unterstützt. Doch bleibt die ELCA weiterhin an den russischen Ereignissen interessiert und schickte einen Repräsentanten aus dem Bundesstaat Kansas nach Omsk. Die theologische Ausbildung von Laienpredigern bleibt Buerkle’s Herzensanliegen, und er leitet das in Nowasaratowka beheimatete Programm „Ausrüsten für den Dienst“. Er bereitet theologische Seminare im ganzen Lande vor und fängt auch mit einem Vorhaben für die Fortbildung bestehender Theologen an. Die Diagnostik scheint ihm problemtisch: „Die Plätze, an denen die Ausbildung am dringendsten vonnöten wäre, haben so wenig Erfahrung, daß sie nicht einmal ihre Hauptbedürfnisse artikulieren können.“

 

Buerkle geht davon aus, daß sich die Zahl der „Predigtpunkte“ weiter vermindern wird. „Doch wir haben Dutzende lebensfähiger Gemeinden, bei denen keinerlei Auflösungsbedarf besteht. Manche von ihnen wachsen sogar. Die Tendenz wird dahingehen, die vorhandenen Ressourcen auf jene lebensfähigen Gemeinden zu verwenden, völlig abgesehen davon, ob sie sich in größeren Städten befinden oder nicht.“

 

Ein Beispiel aus dem europäischen Rußland: Vor einem Jahrzehnt sprach man noch von 50 lutherischen Gemeinden und Predigtpunkten im Kaliningrader Gebiet. Kenner sagen voraus, daß nur rund sechs von ihnen überleben werden – ein paar von ihnen in kleinen Städten. Die ELKUSFO, die flächenmäßig größte lutherische Kirche der Welt, hat 3 bis 5.000 Mitglieder. Gesamtmitgliedschaft in der „Evangelisch-Lutherischen Kirche“ (ELK) Rußlands könnte die Zahl 20.000 nicht übersteigen. Die sechs Gemeinden auf der Halbinsel Krim haben ihre Mitgliedschaft auf Moskau überschreiben lassen. Diese Entwicklung hätte durchaus weniger friedevoll verlaufen können, wäre die schwache lutherische Kirchenleitung in Odessa/Ukraine weniger zerstritten. 

 

Die vom Moskauer Erzbischof Dietrich Brauer angeführte ELK (oder ELKR) weist theologische Kontinuität auf. Für die Frauenordination bleibt sie weiterhin offen. Doch die Kandidatinnen sind rar – die letzte Ordination fand vor wenigen Jahren statt. In Omsk war die Amtseinführung des neuen Bischofs natürlich von Brauer abgehalten worden.

 

Alexander Scheiermanns Gattin, Irene, wird nicht sofort nach Omsk umziehen. Das Paar hat weiterhin ein Kind, das in Saratow zur Grundschule geht.

 

Dr. phil. William Yoder
London, den 11. Mai 2017

 

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