Gefragt: ein hilfreiches Streiten
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Ein Gespräch über den georgischen Baptismus
M o s k a u -- Für Elimar Brandt (Berlin), Baptistenpastor und langjähriger Diakoniedirektor, ist trotz aller Streitereien die Baptistenkirche Georgiens ein Grund zur Hoffnung, auch über die Grenzen des kleinen Landes hinaus. Nach einem fast fünfjährigem Studienaufenthalt im englischen Oxford war deren langjähriges Oberhaupt, Dr. Malkhaz Songulashvili, im April 2014 nach Georgien zurückgekehrt. Doch schon bald war er nicht mehr Erzbischof – dieses Amt hat heute sein eher konservativer Kollege Merab Gaprindshvili inne.
Schon vor der Rückkehr aus England hatte sich eine neue Größe, die konservative „Evangelical Baptist Association of Georgia“, im Oktober 2013 von der größeren „Evangelical Baptist Church of Georgia“ (EBCG) abgespalten. Die Association verfügt über 30 Gemeinden und bis zu 800 Mitglieder; die EBCG hat nach manchen Berechnungen kaum mehr als 2.000 erwachsene Mitglieder.
„Ich merke keine Front zwischen Merab und den anderen drei Bischöfen,“ versichert Pastor Brandt, der bereits seit zwei Jahrzenten die georgische Kirche besucht. „Merab ist und bleibt ein Schüler von Malkhaz, der Merab und Bischof Ilja (Osephashvili) sehr geprägt und unterstützt hat. Es ist ein bißchen wie ein Vater-Sohn-Konflikt. Ich rechne es den (heimgebliebenen) Bischöfen hoch an, daß sie den Konflikt nicht ausgetragen haben während Malkhaz im Ausland war. Alle sind bemüht, wieder einen Weg zueinander zu finden; deswegen bin ich optimistisch. Die Erfahrungen, die sie im Streit gemacht haben, waren herausfordernd und sehr prägend.“
Wie kaum eine andere baptistische Kirche der Welt nimmt die EBCG ihr kulturelles Umfeld ernst. Im kulturellen Kontext Georgiens ist es z.B. undenkbar, daß ein Geistlicher im gewöhnlichen Anzug mit Schlips Amtshandlungen durchführt. Deshalb verfügen diese baptistischen Geistlichen über Bärte und eine orthodox-ähnliche Tracht; deren Gemeinde ist für eine Liturgie mit Weihrauch und entsprechendem Gesang bekannt. Brandt versichert: „Sie haben etwas aufgenommen von dem, was in ihrer Gesellschaft lebt. Wir Baptisten sind ohnehin schon immer geprägt von dem, was um uns herum in der Gesellschaft lebt.“ John Sundquist, ein emitierter Theologieprofessor der American Baptist Church, insistiert: „Ich kenne keine andere baptistische Union oder Convention der Welt, die den Kontext ihres Dienstes in einer ähnlich brillianten und eindrucksvollen Art und Weise auslebt.“
Doch nicht in allem folgt die EBCG den Vorstellungen der orthodoxen Mehrheitskirche – sie ist vielmehr eine Mixtur aus Ost und West. Ihr vierter Bischof ist eigentlich eine Bischöfin: Rusudan Gotsiridze. Trotz ählicher Tracht sticht sie bei jedem Gruppenbild georgischer Geistlicher ins Auge. Das Ergebnis ist auch anders, als man sich das vorstellt: Die Bischöfin hat bereits einen staatlichen Orden erhalten. „Rusudan hat eine hohe Akzeptanz,“ stellt Elimar Brandt fest. „Sie wird auch von staatlichen Stellen immer wieder zu gesellschaftlichen Belangen befragt und ist Ratgeberin in sozialen Anliegen.“ Dabei ist Malkhaz selbst kein Feminist; nach Brandts Überzeugung führt er seine eigene Ehe eher traditionell. „Er ist aber davon überzeugt, daß jeder über das gleiche Recht verfügt, in der Gemeinde Verantwortung zu tragen.“
Pastor Brandt folgert: „Ich kenne kein europäisches Land, in dem die baptistsche Stimme eine solche Bedeutung in der Gesellschaft hat wie in Georgien. Sie werden sogar vom Staatspräsidenten herangezogen. Sie sind nur wenige Leute, aber sie haben eine starke Stellung, weil sie diesen aus dem Evangelium erwachsenen Friedensgeist leben.“ Malkhaz ist für sein freundliches Zugehen u.a. auf Homosexuelle und Muslime bekannt: Zu Gründonnerstag 2014 wusch er in einem Gottesdienst einem Imam die Füße.
Vorsicht: Kommentar
Nach meinen Beobachtungen hat die Bewegung der EBCG gen Westen, ihr Annähern an das protestantische und ökumenische Mainstream, sie von den slawischen Baptistenunionen Osteuropas abgekoppelt. Das sieht Elimar Brandt anders, denn Bischof Malkhaz befaßt sich intensiv mit der Orthodoxie, der Kirche des Ostens. Brandt räumt jedoch ein: „Malkhaz bekommt natürlich mit, daß er von den russischen Gemeinden keine Einladungen erhält.“ Man könnte konstatieren: Die kulturelle Orientierung der EBCG ist östlich, ihre politische Orientierung - westlich.
„Ihm fehlt die engagiert geführte theologische Auseinandersetzung,“ fährt Pastor Brandt fort. „In Osteuropa gibt es kaum theologisch hochgebildete Baptisten, die bereit wären, mit Malkhaz ins Gespräch zu treten. Es fehlt ihm ein Partner/Gegenüber zu Kritik und Korrektur. Wir brauchen keine Leute, die nur mit Versatzstücken oder von der Tradition bestimmten Argumenten um sich werfen. Wir brauchen Dialog.
M.E. geht es nicht darum, anderen etwas zu beweisen oder sie zu besiegen. Wer lernen will, muß Differenzen aushalten. Ohne das Gespräch mit Andersdenkenden gibt es kein Wachstum und kein Heranreifen. Die häufige Praxis, Malkhaz und seine Kirche als geistig verwirrt abzutun ist die einfachste – und unchristlichste – Art und Weise, das erforderliche Gespräch zu ersticken. Das verewigt die Stagnation. Ein Gespräch gerade mit russischen Protestanten wäre wichtig und womöglich ergiebig.
Dr. phil. William Yoder
Smolensk, den 30. März 2017
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