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Pfingstler, die Jarowaja Gesetze und Franklin Graham

Brüder und Schwestern in allen Lagern

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Jahreskonferenz der russischen Pfingstler fand in Moskau statt

 

M o s k a u -- Die Feierstunden der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE) können sich sehen lassen. Unter den russischen Protestanten kann keiner es besser. Zur Eröffnung ihrer diesjährigen Jahreskonferenz („Mali Sobor“) am 18. Oktober in der größten protestantischen Gemeinde Moskaus, der „Wort des Lebens“ Gemeinde, waren rund 50 geladene Gäste aus Politik und Kirche gekommen. Neben den schriftlich eingereichten Grüßen wurden rund 25 Grußworte vorgetragen. In der ersten Reihe saßen neben einem orthodoxen und einem katholischen Geistlichen noch zwei Männer mit weißen Turbanen. Die Vertreter von Orthodoxie und Islam sprachen die Versammelten mit „Brüder und Schwestern“ an. Auch die Muslime wurden vom Hauptgastgeber, dem Leitenden Bischof Sergei Rjachowski, herzlich umarmt. Auch die Russische Baptistenunion, die seit einem Jahr nicht mehr dem protestantischen „Konsultativrat der Leiter der protestantischen Kirchen Rußlands“ angehört, war mit von der Partie.

 

Nur die pfiffige ROSChWE war auf die Idee gekommen, die Politikerin Irina Jarowaja zu einer großen, kirchlichen Feierstunde einzuladen. Als Kopf der umkämpften und anti-missionarischen „Jarowaja Gesetze“ muß sie als eine Hauptgegnerin der protestantischen Bewegung gelten. Bis zur Unterzeichnung durch Wladimir Putin im vergangenen Juli hatte man gegen die Gesetzgebung kräftig angebetet. Jarowaja kam nicht – doch der ROSChWE ging es vor allem darum, der orthodoxen Politikerin der Putinschen Partei eine Geste guten Willens zukommen zu lassen. Der Leitende Bischof versicherte sogar in seinem Beitrag, die „Jarowaja Gesetze“ hätten auf den hohen Stellenwert der Mission hingewiesen und die Protestanten somit zu einem verstärkten, diesbezüglichen Engagement angespornt.

 

Auf das Bestehen gemeinsamer Aufgaben wiesen Politiker und Geistliche – auch Muslime - immer wieder hin. Beim Geistlichen vom orthodoxen Außenamt, Mönchpriester Stefan, hieß es z.B.: „Zwischen uns bestehen einige Unterschiede, doch eine Bühne für gemeinsames Handeln gibt es auch. Wir teilen die Verpflichtung zu einer festen Einhaltung der moralischen Grundlagen unseres Lebens und vertreten gemeinsam eine patriotische Position.“

 

Das Gebaren der ROSChWE weist jedoch auf einen Widerspruch hin: Einerseits kann sie nur als kirchlicher Hauptkonkurrent der russischen Orthodoxie gelten. Ihr offensives Missionieren und ihr Verzicht auf die melancholische und nach innen gekehrte Religiosität russischen Zuschnitts fallen sofort auf. In Stil, Lautstärke und Inhalt gibt ihre Musik - das Remmidemmi reicht von Bach bis Broadway und Heavy Metal - das globalisierte Pfingstler- und Charismatikertum getreu wieder. (An diesem Abend gab es allerdings eine Ausnahme: eine exzellente, klassische Interpretation der russischen Nationalhymne.) Das verbindet sie andererseits mit eindeutigen Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Staat.

 

Ob in Kiew oder in Moskau – in beiden Fällen stechen die Charismatiker durch eine ausgeprägte Staatstreue hervor. Die Charismatiker sind eben flexibler als alle anderen. Schließlich besteht die ROSChWE überwiegend aus Menschen, die erst seit 1990 zum Glauben gekommen sind; es fehlt die Last der Tradition. Nicht wenige ihrer älteren Pastoren sind pensionierte Offiziere der Roten Armee.

 

Sergei Filinow, ein Moskauer Pfingstpastor mit einer Gemeinde, die der ROSChWE nicht angehört, sieht einen wachsenden Abstand zum nordamerikanischen Vorbild. Nach seinen Angaben bemüht sich die jüngere Pastorenschaft um das Heimischwerden; nicht wenige von ihnen sollen mehrere Jahre an der orthodoxen „Russischen Christlichen Humanitären Akademie“ in St. Petersburg verbracht haben. „Die Pastoren nehmen ihre Hausaufgaben ernst“, insistiert er. „Sie denken anders als viele im Westen.“ In diesem Zusammenhang fällt einem die ROSChWE-Gemeinde Pensa ein. (Siehe unsere Meldung vom 27. Juni 2015.)

 

Die ROSChWE hat rund 400.000 Mitglieder. Das macht sie etwas größer als die ältere, von Bischof Eduard Grabowenko aus Perm geführte Pfingstkirche, die „Russische Kirche der Christen evangelischen Glaubens“ (RKCEG).

 

Die Jarowaja-Gesetze

Trotz aller Euphorie an dem Abend wurden auch knapp die Mißstände in den Weiten des Landes erwähnt. Beim Rechtsanwalt Wladimir Rjachowski (einem Bruder von Sergei) hieß es: „Wir sind hier brüderlich versammelt, doch in der Provinz gibt es Ärger.“ In mindestens drei Grußworten wurde auf die Jarowaja-Gesetze hingewiesen. Bei einem Politiker hieß es: „Gesetze haben wir genug – jetzt brauchen wir nur noch gute.“ Ein anderer meinte: „Bei drei Schritten nach vorne gibt es immer einen Schritt nach hinten.“ Das ist eben die neue Gesetzgebung.

 

Recht bald nach Paraphierung dieser Gesetzgebung am 7. Juli tauchte das sogenannte „Lineal Rjachowski“ auf. In diesem Text ist Wladimir Rjachowski, ein Mitarbeiter des „Slavic Legal Centre“, bemüht, das Missionieren anhand der neuen Gesetze zu definieren. Das Missionieren reduziert er auf fünf Bedingungen: Es muß sich um eine religiöse Vereinigung drehen, die tätige Person ist von der Vereinigung bevollmächtigt, die Handlung wird während der Ausführung öffentlich verbreitet, Informationen über die Handlung werden an Personen verteilt, die nicht zur Organisation gehören, und Informationen über die Handlung werden verbreitet in der Absicht, die eigene Mitgliederzahl zu erhöhen. Fehlt nur eine dieser Bedingungen, handelt es sich nicht um eine missionarische Handlung im Sinne der Jarowaja-Gesetze.

 

Sergei Filinow weist darauf hin, daß die rund 10 Verurteilungen im Zeitraum September-Oktober rechtlich nicht auf Jarowaja basieren. „Unsere kirchlichen Juristen haben schnell reagiert“, berichtet er. Das emsige „Slavic Legal Centre“ vermittelt den Eindruck, Betroffene umgehend und umfassend zu beraten.

 

Pastor Filinow berichtet, daß Politiker wie Josef Diskin – ein Vertrauter Sergei Rjachowskis von der Bewegung „Erneuerung“ - die feste Absicht haben, die fragwürdige Gesetzgebung zu revidieren. Sowohl Diskin wie Rjachowski gehören der überparteilichen „Öffentlichen Kammer“ an. Doch nach Filinows Überzeugung wird das nicht gelingen: „Wir werden zu Rande kommen müssen mit dem, was ist.“

 

KOMMENTARE

 

Franklin Graham kommt nicht nach Moskau

 

Am 4. August berichteten englische Zeitungen, daß Franklin Graham, Leiter der renommierten „Billy Graham Evangelistic Association“, seinen Weltgipfel über die religiöse Verfolgung von Christen in die US-Hauptstadt Washington verlegt habe. Das Ereignis war ursprünglich für Moskau vom 28. bis 30. Oktober vorgesehen gewesen; der neue Termin ist der 10. bis 13. Mai 2017.

 

Auf seiner Facebook-Seite hatte Graham die Verlegung auf die anti-missionarische Jarowaja-Gesetzgebung des russischen Staates zurückgeführt. Das scheint nicht die ganze Wahrheit zu sein, denn schon Ende Mai hatten wir bekanntgegeben, daß am 19. Mai der Moskauer Gipfel entweder langfristig verschoben oder aufgehoben worden war. Erst am 7. Juli wurden die Jarowaja-Gesetze von Wladimir Putin unterzeichnet.

 

Der ehemalige Präsident der russischen Baptisten, Juri Sipko, führte die Absage auf die scharfe Kritik aus konservativen orthodoxen Kreisen zurück, die das Zusammentreffen des Patriarchen Kirill mit Papst Franziskus in Havanna am 12. Februar ausgelöst hatte. Hinzu kam das Fernbleiben des Moskauer Patriarchats vom Pan-Orthodoxen Konzil auf Kreta Ende Juni. Auch das wurde auf den Widerstand konservativer Kreise in Rußland zurückgeführt. Diese Erläuterung Sipkos scheint plausibel zu sein – es sei eben nicht der russische Staat gewesen, der sich gegen einen Weltgipfel auf seinem Boden gestemmt hat.

 

Zumindest vereinzelte russische Protestanten und Orthodoxe sind in Washington zu erwarten.

 

Dr. phil. William Yoder
Smolensk, den 4. November 2016

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