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Faschismen - Rußland als Leuchtturm des Christentums

Gibt es auch „kleine Faschismen“ in der Ukraine?

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Nachrichten: Motorola äußert sich zur evangelikalen Missionsarbeit

 

Kommentar

 

M o s k a u -- In Osteuropa wird der Faschismus rehabilitiert. Dieser Prozeß begann ernsthaft mit der Anerkennung der „Ustascha“-Bewegung durch den neugegründeten kroatischen Staat nach 1991. Gefolgt wurde er von einer Wiederentdeckung der anti-sowjetischen Partisanen, der „Waldbrüder“, in den drei baltischen Staaten. Dieser Prozeß erreichte einen ersten Höhepunkt am 7. Januar 2015, als der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk im deutschen Fernsehen verkündete, daß „wir alle uns sehr gut an den sowjetischen Einfall (Invasion) in die Ukraine und in Deutschland erinnern können. Das muß künftig verhindert werden. Keiner (eben Putin) hat das Recht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben.“ Die Übersetzungen des ukrainischen Textes sind uneinheitlich, doch es steht fest, daß Jazenjuk sein Bedauern über den Sieg der Roten Armee 1945 in der Ukraine und in Deutschland zum Ausdruck bringen wollte. Das heißt natürlich, daß die falsche Seite – die UdSSR – den Krieg im Osten gewonnen hätte. Hiermit wird eine These vertreten, die schon vor 1939 vorhanden war: Die Westmächte sollten lieber gemeinsam mit Hitler-Deutschland die bolschewistische Gefahr aus dem Osten verbannen. So dachten in den 30er Jahren u.a. Henry Ford, Charles Lindbergh und der britische König Edward VIII.

 

Doch die Osteuropäer meinen nicht ohne Weiteres den deutschen Nazismus, wenn es ihnen darum geht, die faschistische Vergangenheit neu aufzuwerten. Es gab bekanntlich auch die vielen „kleinen Faschismen“ der mit Deutschland verbündeten Staaten, u.a. Italien, Kroatien, Lettland, die Slowakei und Westukraine. Groß-Deutschland hat seinen Krieg nicht alleine geführt.

 

Die Westmedien verkünden mit Genugtuung, daß die pro-faschistischen Kräfte bei den vorgezogenen Wahlen am 26. Oktober 2014 nur 5,4% der Stimmen („Rechter Sektor“ und „Swoboda“) auf sich vereinigen konnten. Doch ist die Mauer zwischen Faschismus und den anderen politischen Kräften wirklich wasserdicht? Die Äußerung Jazenjuks nährt den Verdacht, daß es neben dem großen Faschismus eines Dmytro Jarosch noch andere, kleinere Faschismen gibt. Schöpfen faschistische Parteien gemeinsam mit anderen Parteien aus denselben ideologischen Quellen? Die Trennlinie zwischen Faschismus und Nicht-Faschismus gestaltet sich schwierig.

 

Politische Entwicklungen seit 1990 haben die traditionellen Trennlinien zwischen rechter und linker Politik durcheinandergewirbelt. Die Rechtsradikalen im nichtrussischen Osten unterstützen den Westen; die Rechtsradikalen im Westen sind eher für Rußland. Sowohl die Rechtsradikale Marine Le Pen als auch die Regierung Putin haben den Sieg der griechischen Partei Syriza begrüßt. Vor Ort koaliert die linksradikale Syriza mit einer rechtsradikalen Kleinpartei. Das konservative Ungarn zeigt sich rußlandfreundlich. Erst nach Monaten kam ich dahinter, daß sich der amerikanische Web-Nachrichtendienst „Antiwar.com“ als konservativ versteht. Die konservativen US-Politiker Pat Buchanan und Ron Paul ließen sich ohne Weiteres als „Putin-Versteher“ etikettieren. Dabei treten Hillary Clinton, Obama und die deutschen Kräfte von Mitte und Links (SPD, CDU und Grüne) für die Sache Kiews ein. Die neue Scheidelinie heißt wohl interventionistisch gegenüber nicht-interventionistisch bzw. isolationistisch. In Deutschland sind die Grünen interventionistisch, die Linken in der Partei gleichen Namens eben nicht.

 

Den Baptisten und Charismatikern der Ukraine wird man nicht vorwerfen können, Faschisten zu sein. Sie sind viel eher antiliberale, wertkonservative Demokraten westlichen Zuschnitts. Das kann man aber nur mit einem Vorbehalt feststellen: Im März 2014 gründete der griechisch-katholische Gläubige Jazenjuk gemeinsam mit dem Baptisten Oleksandr Turtschynow die Partei „Volksfront“. Heute gehört die Swoboda zu der von der „Volksfront“ geführten Regierungskoalition.

 

Die Faschisten haben sich in der Ost-Ukraine als die mit Abstand besten Kämpfer für die Kiewer Sache erwiesen. Da sind die Protestanten nur Trittbrettfahrer. Sie möchten Patrioten sein, doch die Mobilisierungswelle, die gerade von Kiew durchgesetzt wird, stößt bei Protestanten auf wenig Gegenliebe. Auch ihre jungen Männer gehören zu denen, die nach Unterschlupf im Ausland suchen. Dieses Zögern ist am ehesten auf ein pazifistisches Erbe und die Tatsache, daß es sich in der Ukraine um einen Bruderkrieg handelt, zurückzuführen. Mir persönlich sind noch keine Zweifel bei Protestanten bezüglich der Frage, ob die vorhandene Regierung überhaupt imstande sei, die ersehnten Ziele von Demokratie und Wohlstand zu erreichen, bekannt.

 

Rußland – ein Leuchtturm des christlichen Abendlandes?

Mit dem berühmten Fall der Pariser Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ hatte das offizielle Rußland leichtes Spiel. Am 19. Januar versammelten sich Hunderttausende in Grosny zu einem Marsch unter der Losung: „Wir lieben den Propheten Mohammed“. Orthodoxe Geistliche marschierten mit. Kein Fall ist bekannt, in dem ein russischer Protestant den „Ich bin Charlie“-Ruf für sich in Anspruch genommen hätte. Immer wieder hat der russische Staat für die gegenseitige Achtung der Religionen hingewiesen und betont, daß eine derartige Verunglimpfung religiöser Gefühle in Rußland verboten sei. Im Namen der Redefreiheit hatte der Westen – wie bereits im Falle der Moskauer Mädchengruppe „P*-Riot“ – Obszönität und das Recht, die religiösen Gefühle anderer zu diffamieren, verteidigt. Traditionelle christliche Werte sind den russischen Christen wichtiger als die Pressefreiheit.

 

In diesem Sinne schrieb der Moskauer Baptistenpastor Jewgeni Bachmutski: „Ganz offensichtlich hat in der französischen Gesellschaft die Redefreiheit Oberhand gewonnen gegenüber den moralischen und ethischen Werten. Ich würde den Franzosen aber empfehlen, sich nicht nur an Voltaire zu erinnern, sondern auch an Victor Hugo, Blaise Pascal, Louis Pasteur und viele andere. Für sie waren religiöse und moralische Werte äußerst wichtige und bestimmende Lebensfaktoren.“

 

Doch natürlich werden die Gewalttaten in Paris nirgendwo vom russischen Mainstream gutgeheißen: Eins der ersten Kondolenzschreiben stammte von Wladimir Putin.

 

Immer wieder wird in den russischen Medien Rußland als Bollwerk des christlichen Abendlandes, als das historische „Dritte Rom“, gefeiert. Es heißt: Während sich der Westen nicht einmal der glaubensfeindlichen Schmähungen eines „Charlie Hebdo“ erwehrt, schämt sich die russische Orthodoxie nicht, für die historischen Werte des christlichen Westens einzutreten. Für Familie, Mutterschaft, Sittlichkeit, Treue und Vaterlandsliebe will das offizielle Rußland eintreten; gleichzeitig bekämpft es soziale Experimente wie das Aufwerten der Homosexualität. Einst gehörte die UdSSR zur Weltspitze bei der Durchführung von Abtreibungen. Doch bei seinem ersten Aufritt überhaupt vor der russischen Duma am 24. Januar plädierte Patriarch Kirill für die Beendigung bezahlter Abtreibungen und das Verbot von Leihmutterschaften. Diese Politik ist mitunter auch im Westen auf Zustimmung gestoßen. Neben eher fragwürdigen anti-homosexuellen Aktivisten gehören auch Franklin Graham und Pat Robertson zu den amerikanischen Evangelikalen, die Verständnis für die Familienpolitik des Kremls aufgebracht haben.

 

Doch m.E. bildet der christliche Glaube keine treibende Kraft bei der nach Osten drehenden, euroasiatischen Umorientierung des russischen Staates. Wichtiger dabei sind die geostrategischen und ökonomischen Interessen. Aber diese Kehrtwendung schafft ein ideologisches Vakuum, in das sich die russische Orthodoxie bereitwillig hineinsaugen läßt.

 

Nach meiner Sicht ist bei Nationalbolschewisten und ähnlich nationalistischen Kräften, die keine längerfristige Achtung für den orthodoxen Glauben aufweisen, der Glaube nur ein opportunes Beiwerk. Hier wird ohne irgendeine spirituelle Kehrtwendung der orthodoxe Glaube der Liebe zur russischen Heimat gleichgesetzt. Bei einer Ordensverleihung anläßlich des 70. Geburtstages des orthodoxen, kommunistischen Parteichefs Gennadi Sjuganow im vergangenen Juni äußerte Patriarch Kirill die Hoffnung, daß auch Sjuganow „zur moralischen Transformation der Gesellschaft“ beitragen möge. Daneben gibt es natürlich auch tiefgläubige, orthodoxe Christen – manche wohl auch innerhalb der Reihen der kommunistischen KPRF. Ein Drittel ihrer Mitglieder soll der orthodoxen Kirche angehören.

 

Eine wohl zahlenstärkere, ideologische Kraft bilden die Scharen der eher jungen, westlich-orientierten, säkulardenkenden „Konsumbürger“. Doch angesichts der gegenwärtigen Spannungen befindet sich deren politischer Einfluß auf dem absteigenden Ast.

 

Weitere Nachrichten

 

1. Nach Rückzug der westukrainischen Kräfte vom Donezker Flughafen tauchte am 22. Januar auf „Youtube“ u.a. ein Bericht des inzwischen legendären, prorussischen Offiziers „Motorola“ (Arseni Pawlow) auf. Auf dem Film zeigt Motorola einen solarzellenbetriebenen Player mit übersetzten, geistlichen Beiträgen von Dr. Charles Stanley. Stanley ist Gründer der “In Touch Ministries” und leitender Pastor der „First Baptist Church“ in Atlanta/USA. Nach Angaben dieses Offiziers trugen alle auf dem Flughafen gefallenen Westukrainer einen solchen Player bei sich. Motorola, zweifellos kein Kenner der evangelikalen Szene, interpretierte den Aufruf Stanleys, treu durchzuhalten und im Falle des Ablebens mit einem glorreichen Platz im Paradies zu rechnen, als die versuchte „Zombisierung“ („Zombie“ auf Englisch) von Soldaten. Gemeint war damit wohl die Erzeugung von Todesmut.

 

Trotz womöglich löblicher Absichten hinterläßt dieser Vorfall bei Russen und Ostukrainern dennoch den Eindruck, die USA sorge neben der militärischen auch für die geistlich-ideologische Ausstattung der pro-Kiewer Streitkräfte. Darauf könnte die Mission aus Atlanta natürlich erwidern, daß sie auch die andere Seite mit geistlichen Hilfen ausstatten würde, gäbe man ihr die Chance.

 

2. Mit Stillstand läßt sich das gegenwärtige Gespräch zwischen den Protestanten Rußlands und der Ukraine beschreiben. Vom 20. bis 22. Januar gab es in Wuppertal eine Begegnung protestantischer Kirchenvertreter aus Rußland mit protestantischen und orthodoxen Vertretern aus der Ukraine. Gastgeber wie bereits bei der Begegnung in Oslo Mitte September war die nationale Bibelgesellschaft des Landes.

 

Das Wuppertaler Gespräch fiel durch seine Bescheidenheit auf. Die russischen Vertreter, abgesehen vom methodistischen Bischof Eduard Khegai, stammten aus dem Umkreis der charismatisch-pfingstlerischen „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE) und der „All-Russischen Arbeitsgemeinschaft der Evangeliumschristen“ (WSECh). ROSChWE-Bischof Sergei Rjachowski ließ sich durch seinen Stellvertreter, Bischof Konstantin Bendas, vertreten. Wie bereits bei den ausschließlich protestantischen Gesprächen in Jerusalem am 10. April letzten Jahres waren die Baptisten und Lutheraner Rußlands nicht vertreten – die Baptisten wurden nicht einmal eingeladen. Doch dafür war Waleri Antoniuk, Oberhaupt der großen Union der ukrainischen Baptisten, in Wuppertal zugegen. Inhaltliche Stellungnahmen zur Friedensthematik enthält das offizielle Kommuniqué nicht.

 

Auch das Gespräch zwischen den Leitungen der russischen und ukrainischen Baptisten in Minsk am 27. November hat zu keinen positiven, greifbaren Ergebnissen geführt.

 

3. Die russischen Lutheraner sowie die gerade genannte ROSChWE scheinen neue, feste, mit Moskau verknüpfte Strukturen auf der Halbinsel Krim etabliert zu haben. Sieben von acht lutherischen Gemeinden wollen sich der russischen Kirche anschließen. Bei den Baptisten gestaltet sich die Neugestaltung schwieriger: Nahezu die Hälfte der rund 60 Gemeinden bevorzugt weiterhin Beziehungen zur Bundeszentrale in Kiew.

 

4. Am 21. Januar überreichte US-General Ben Hodges in einem Kiewer Krankenhaus Orden als Zeichen des Dankes an verwundete ukrainische Soldaten. Berichten zufolge werden diese Orden nun – auch „Münzen“ genannt – auf eBay in konkreten Mehrwert umgewandelt. Russische Protestanten sind erstaunt und amüsiert darüber, daß die USA dermaßen unverhohlen ihre Unterstützung und auch Teilnahme am Kampf der westukrainischen Streitkräfte zugibt.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 31. Januar 2015

 

Eine journalistische Veröffentlichung im Rahmen der Russischen Evangelischen Allianz. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine offizielle Meinung der Allianz-Leitung zu vertreten. Diese Meldung darf gebührenfrei abgedruckt werden, wenn die Quelle angegeben wird. Meldung Nr. 15-01, 1.561 Wörter.