Die USA – Nachfolgestaat der UdSSR?
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Paul Cameron: Rußland ist die letzte Hoffnung des Westens
M o s k a u – Werden Russen gemeinsam mit (rechtsaußenstehenden) Nordamerikanern den Westen erneut von einem faschistischen Ungeheuer befreien? Davon berichtete der antischwule Aktivist Scott Lively in einem offenen Brief an Wladimir Putin vom 30. August: „Vielleicht durch Ihre Führung wird eine Allianz guter Menschen aus unseren beiden Staaten einmal wieder in irgendeiner kooperativen Form die Menschheit von einem faschistischen Leviathan befreien, genau wie es bereits im Zweiten Weltkrieg passiert ist.“
Vier Tage später fügte er einen Kommentar auf der eigenen Webseite hinzu: „Während sich die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich in eine schwule Fassung der Sowjetunion verwandeln, ist ein unerwarteter Held erschienen: der russische Präsident Wladimir Putin. Im Zuge einer unfaßbaren Rollenverkehrung . . . hat sich der einstige kommunistische Sklavenstaat in einen Leuchtturm der Freiheit verwandelt bei denen, die Gottes Vorstellung von der Familie lieb haben.“ Er fuhr fort: „Welch unglaubliche Ironie, daß Rußland nun unsere größte Hoffnung verkörpere, um die Eroberung der Welt durch die ‚Progressiven‘ aufzuhalten.“
Bei seinem Moskauer Aufenthalt am 17. Oktober erschien Lively, der als Pastor unter Bedürftigen in Springfield/Bundesstaat Massachusetts arbeitet, in der Fernsehsendung des Erzpriesters Dimitri Smirnow, Leiter der Familienkommission des Moskauer Patriarchats. Dabei behauptete Lively, daß „Amerikaner und Sowjets beide gleichzeitig den Kalten Krieg gewonnen sowie verloren haben. Mit wirtschaftlichen Taktiken und Strategien haben Amerikaner das sowjetische System zu Fall gebracht. Doch noch vor dem Niedergang konnten die Sowjets die Vereinigten Staaten mit einem kulturellen Marxismus infizieren, der mittels einer ‚progressiven‘ Ideologie für den moralischen Verfall und die Zerstörung der Familie sorgte. Heute kehrt das postsowjetische Rußland als christliche Nation wieder, während sich die Vereinigten Staaten in eine ‚schwule Sowjetunion“ verwandeln.“
Auf seiner Webseite berichtet Lively, Erzpriester Smirnow habe versprochen, ihm mit der russischen Verlegung der fünften Ausgabe seines Buches
„Das rosarote Hakenkreuz“, zu helfen. Das Werk verteidigt die These von Lively, der Nazismus habe die Schwulenbewegung der Gegenwart inszeniert. Manche Kritiker werfen dem Buch eine Verleugnung
des Holocaust vor.
Am 27. Oktober sprach Professor Paul Cameron aus Nebraska ein Grußwort in der größten protestantischen Gemeinde Moskaus – in der charismatischen, 4.000-köpfigen Gemeinde des Mats Ola Ishoel. Dabei versicherte er: „Wir im Westen bedürfen Ihrer Hilfe. Unsere Narrheit und fehlende Bindung an Gott haben uns in eine furchtbare Lage gebracht. Ein Großangriff der homosexuellen Gemeinschaft und deren Befürworter zermalmt unsere Institutionen. . . . Sie sind die letzte Hoffnung für den Westen. Wenn Sie diesen Großangriff nicht aufhalten können, werden Sie genauso wie wir von ihm überrollt werden. Sie haben schon einmal die Welt ins Taumeln gebracht, und ich bitte Sie nun als starkes Volk, gemeinsam mit dem Westen diese Sache zu Fall zu bringen. Ich bin hier, um vor Ihrer Duma zu sprechen und zu sehen, ob wir sie dazu bringen können, das Erforderliche einzuleiten.“
Nach dem Auftritt vor der Duma am Tag darauf sprach Cameron auf einer Presskonferenz, die von der Zeitung “Moskowski Komsomolez“ organisiert worden war. Gesprächsleiter war Sergei Rjachowski, leitender Bischof der größten evangelischen Union Rußlands, der 400.000-Mitglieder-starken „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSKhWE).
Scott Lively berichtet, er habe 2006-07 50 russische Städte besucht und führt das Ratifizieren eines Gesetzes gegen die Propagierung von pro-schwulen Positionen zum Teil auf die eigenen Bemühungen zurück. Die neue Gesetzgebung von Juni 2013 nennt er „einen der stolzesten Erfolge in meiner Karriere“. Lively verbrachte den 15. und 16. Oktober auf den Moskauer Beratungen des in Illinois beheimateten “Weltkongreß der Familien”. Dessen achter Kongreß soll im September 2014 in Moskau stattfinden; das Ereignis soll von bis zu 5.000 Personen beigewohnt werden.
Wird hiermit eine amerikanische Auseinandersetzung nach fernen Ufern verfrachtet? Christopher Stroop von der “Stanford University”, im Augenblick Gastdozent an der Moskauer „Präsidialakademie für nationale Ökonomie und öffentliche Verwaltung“, schrieb am 30. Oktober: „Cameron gehört zu den in den USA geschaffenen, antischwulen Aktivisten, die die Kulturkriege der USA exportieren – zu Hause ist ihre Sache bereits fast verloren. Sie exportieren ihre Vorurteile in jene Länder, in denen sie weithin akzeptiert werden, die Diskriminierung von LGBT bereits gesetzlich verankert ist (oder werden könnte), und der potentielle Schaden ihrer gewalttätigen Rhetorik sehr viel größer ausfällt.“ Nach Livelys Besuch in Uganda 2009 ist das Land nur knapp einer Gesetzgebung entkommen, die „schwere Homosexualität“ mit der Todesstrafe belegt hätte.
Doch Stroop geht davon aus, daß Wladimir Putin kein Extremist ist: “Sehr wahrscheinlich ist Putin selbst kein echter Anhänger der Gesetzgebung (gegen die Propagierung von Homosexualität). Er möchte vielmehr die weitverbreitete Homophobie der Russen einsetzen, um bestimmte politische Ziele im In- und Ausland zu erreichen. Er will die strengen Orthodoxen vertrösten und die radikale, nationalistische Rechte in Schach halten.“
Nahezu der einzige, kritische, russischsprachige Beitrag über den Besuch Camerons erschien auf der Webseite „snob.ru“. Der Aufsatz des Journalisten Karen Schainjan trug den Untertitel: “Paul Cameron kam nach Moskau als Gelehrter, Psychologe und Familienexperte. Doch er ist weder das Erste, das Zweite, noch das Dritte.“ Kritiker weisen immer wieder auf den fragwürdigen, wissenschaftlichen Status der meisten anti-schwulen Aktivisten hin. Cameron wurde 1983 von der “American Psychological Association” ausgeschlossen und verfügt seit 1995 über keine Praxis für Psychologie. Schainjan geißelt Cameron als „marginalen Pseudowissenschaftler“ und stellt fest: „Alle seiner Errungenschaften sind fern von Psychologie und Soziologie und gehören in den Bereich Politik und PR. Der verstorbene Holocaust-Historiker Stephen Feinstein von der "University of Minnesota" stufte Livelys 1995 erstmals erschienene Buch „Das rosarote Hakenkreuz“ als „genauso korrekt wie die Theorie der flachen Erde“ ein.
Mein Kommentar: Leider sind die Evangelikalen der ex-UdSSR noch keineswegs imstande, eine geistig seriöse, ideologiefreie Verteidigung der traditionellen, heterosexuellen Ehe zu formulieren und zu verbreiten. Mit der Unterstützung von gescheiterten Professoren und radikalen Konservativen aus den USA werden sie international nur Peinlichkeiten und Gelächter ernten. Das wird sie nur noch ferner vom Ziel abbringen, der Bewegung zur Unterstützung der traditionellen Familienwerte unter die Arme zu greifen.
Höchst interessant in diesem Zusammenhang ist die Konvergenz orthodoxer und pfingstlerischer Kräfte in der Frage der Homosexualität. Scott Lively, der sich als Freund leitender, orthodoxer Persönlichkeiten beschreibt, ist zugleich enger Vertrauter des in Riga beheimateten Ukrainers Alexander Ledjaew, des Gründers der radikal-charismatischen Kirche „Neue Generation“ (siehe unsere Meldung vom 25. Juli 2011).
Dr.phil. William Yoder
Moskau, den 6. November 2013
Journalistische Veröffentlichung Nr. 13-21, 991 Wörter.