Ein kirchlicher Durchbruch von historischer Tragweite
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Hat sich etwas Bedeutungsvolles in der Mongolei ereignet?
M o s k a u -– Im Hinblick auf die prozentualen Wachstumsraten ließe sich die protestantische Mission in einem der sonnigsten und kältesten Länder der Erde als eine Erfolgsgeschichte ersten Grades einstufen. Ausgehend von vier bis 40 Gläubigen im Jahre 1990 (Zahlen schwanken), wird die Zahl der Protestanten in der Mongolei heute mit nicht weniger als 50.000 beziffert. Die „Mongolische Evangelische Allianz“ hat die nicht bescheidene Vorstellung, bis zum Jahre 2020 die Zahl der Christen auf 10% der Bevölkerung zu steigern. Das wären rund 300.000 Gläubige. Vom 7. bis zum 14. Jahrhundert war die nestorianische Ostkirche im Lande präsent. Man könnte behaupten, heute verfüge die Mongolei zum ersten Male seit 700 Jahren über eine ernsthafte christliche Minderheit: fast 2% der Bevölkerung. Orthodoxe und Katholiken sind ebenfalls vor Ort, verfügen jedoch jeweils um weniger als 1.000 Mitglieder. Schon die Mormonen alleine kommen auf fast 8.000 Mitglieder.
Dieser Erfolg ist jedoch mit Schwierigkeiten verbunden: Die Mongolei – sie ist territorial fast so groß wie der Iran – ist wohl das am dünnsten besiedelte Land der Erde. Schon die inoffizielle Einwohnerzahl Moskaus übersteigt jene dieses Landes um mehr als das fünffache. (Die Mongolei hat zwischen 2,7 und 3,1 Millionen Einwohnern.) Aufgrund der großen Entfernungen behauptet eine Mission: „Die Kosteneffektivität bezüglich der Zahl der mit dem Evangelium erreichten Menschen liegt sehr niedrig.“ Die Missionen sind nur sporadisch vertreten: 17 der 20 Ethnien der Mongolei gelten als unerreicht und nur 40% der 315 Landesbezirke verfügen überhaupt über eine christliche Kirche.
Erst im Jahre 1578 wurde der tibetische Buddhismus offiziell anerkannt. Der Bevölkerungsanteil, der als buddhistisch-animistisch bezeichnet werden kann, wird gelegentlich mit 53% angegeben. Erstaunlicherweise galt bis zum Stalinschen Großen Terror Ende der 30er Jahre ein Drittel der männlichen Bevölkerung des Landes als Mönche. Eine russische Quelle gibt an, von den 747 Klöstern, die 1921 im Lande arbeiteten, war nur noch ein einziges in den 80er Jahren aktiv.
Der muslimische Bevölkerungsanteil (überwiegend Sunni) wird mit höchstens 5% angegeben. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten haben Tausende
ethnischer Kasachen im Westen der Mongolei das Land Richtung angestammter Heimat verlassen.
Ein zweites einzigartiges Phänomen im mongolischen Christentum ist seine nichtdenominationelle („interdenominationell“ wäre weniger passend) Ausrichtung. Zwei nichtdenominationelle Einrichtungen gestalten die Belange der Protestanten im Lande: die Mongolische Evangelische Allianz (MEA) und ein mit dem Weltkirchenrat verbundener „Nationaler Kirchenrat“ (NCC). Diakonische Aufgaben übernimmt eine “Joint Christian Services International” (JCS). Die MEA deckt 60-70% der Gemeinden ab. Der Kirchenrat, der noch nicht einmal drei Jahre alt ist, beschränkt sich auf die Gemeindearbeit im engeren Sinne und vertritt weitere 10% der Gemeinden. Diese Gruppen überschneiden sich mit der seit 20 Jahren bestehende JCS, die praktische und diakonische Aufgaben für 15 Missionsgesellschaften wahrnimmt. Zu ihnen zählen Molkerei- und tierärztliche Aufgaben, Waisenhäuser, Lebensmittel-für-Arbeit und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Eine Pastorenvereinigung ist ebenfalls unter dem Schirm der MEA tätig. Die Beziehungen sind im allgemeinen kollegial – manche Organisationen gehören sowohl zur MEA wie zum NCC; der Leitende Direktor des NCC nimmt Beraterfunktionen bei der MEA wahr. Die MEA wird als die führende protestantische Organisation angesehen. Ihr Vorstand hat das größte politische Gewicht und deren Vorsitzender, Pastor M. Batbold von der traditionell charismatischen “Living Word Church”, ist Gegenüber für die höchsten politischen Stellen. Eine andere Person mit dem Namen „Batbold“ (viele Mongolen benutzten nur einen einzigen Namen) ist ebenfalls Pastor einer Living Word-Gemeinde und fungiert als Leitender Direktor des NCC. Der NCC wird getragen vor allem von einheimischen, mongolischen Gemeinden.
Sogar die Südkoreaner, die zweifellos zu den separatistischen Protestanten der Welt gehören, haben sich auf Kooperation eingelassen und deren presbyterianische Gruppen haben sogar eine “Koreanische Missionsgemeinschaft” ins Leben gerufen. Laura Schlabach, eine Mennonitin aus Texas, die bereits seit 20 Jahren bei der JCS tätig ist, berichtet, daß sowohl die JCS wie das “Union Bible Theological Centre” „den Koreanern geholfen haben, die Einheit zu erkennen und zu erfahren“. Sie fügt hinzu, daß auch die Adventisten gerne der MEA beitreten würden, sie werden jedoch aufgrund theologischer Bedenken auf Abstand gehalten.
Besonders interessant ist die Tatsache, daß in der Mongolei die unter Evangelikalen in der ex-UdSSR strittigen Fragen kaum vorkommen. Pastor Mojic aus Ulan Bator (bzw. “Ulaanbaatar”) berichtet, die üblichen charismatischen Fragen „waren nur früher ein Thema. Nachdem bestimmte Ausländer weggezogen sind, sind diese Fragen heute kaum noch von Belang.“ Ohne die charismatischen Gaben anderen aufdrängen zu wollen, würden sie „von den meisten Gemeinden weitgehend akzeptiert“. Nur theologisch gebildete Mongolen sind sich bewußt, daß es Calvinisten und Arminier überhaupt gibt.
Mojic gibt an, daß die MEA auch Frauen ordiniert. „Doch manche Mongolen, die mit traditionellen, koreanisch geprägten Gemeinden zu tu haben, sind nicht von der Richtigkeit dieser Praxis überzeugt – erst recht nicht wenn es sich um ledige Frauen handelt.“ Paul, ein Missionar aus England, beschreibt die Mongolei als Matriarchat: „Frauen sind die Macher und Leiter. Sogar bei der Straßenwartung sind die Aufseher meistens Frauen. Das wirkt sich auch auf das Gemeindeleben aus.“ Dr. Kwai Lin Stephens, eine langjährige Missionarin aus Malaysia, die für die Mission „OMF International” arbeitet, ist seit 2008 Leitende Direktorin der JCS.
Nicht wenige Beobachter würden auch den Großnachbarn Rußland als Matriarchat einstufen. Doch in der Mongolei konnte der Protestantismus mit einer tabula rasa anfangen – sie war keinen jahrhundertalten Traditionen ausgesetzt. Die Mongolei konnte vom Status quo des Weltprotestantismus im Jahre 1990 ausgehen
– nicht 1850.
Gründe für das Nichtdenominationelle
Mongolische Protestanten sind nicht der Auffassung, ihre nichtdenominationelle Ausrichtung sei auf die 1951 unter staatlichem Druck gegründete „Patriotische Drei-Selbstbewegung“ Chinas zurückzuführen. Kirchliche Verbindungen nach Süden hin halten sich sehr in Grenzen und bestehen meistens aus der Entsendung von Missionaren zur Versorgung der dortigen, mongolischen Minderheit
Westliche Missionare weisen gerne darauf hin, daß sich Mongolen der Evangelisation und dem Gemeindewachstum besonders stark verbunden fühlen; sie und ihre westlichen Mentoren erkennen im Denominationalismus meistens ein Hindernis. Viele jüngere Gläubige sind überhaupt nicht darüber im Klaren, daß es Denominationen gibt. Schlabach erzählt von einer Gläubigen, der sie von der Existenz christlicher Denominationen erzählte. Darauf erwiderte die Frau: „Warum würden sie das machen wollen? Beten wir nicht alle denselben Gott an?“ Schlabach, die in Bayanhongor (Zentralmongolia) wohnt, beschreibt die generelle Haltung wie folgt: „Wir gehören alle dem Reiche Gottes an und wir alle verneigen uns vor dem einen wahren Gott.“ Koreaner und Westler mögen ihre Gemeinden vor Ort mit denominationellen Begriffen beschreiben – doch meistens sind die Einheimischen sich dessen nicht bewußt. Der mongolische Nichtdenominationalismus ist zweifellos eine Einrichtung von Dauer. Auch solche Gruppen, die sich etwa von der MEA zurückziehen und eigene Wege gehen, geben sich geläufige, allgemeine Namen. In der Regel greifen sie ihre alten denominationellen Namen nicht wieder auf.
Der Verfasser vermutet, die mongolische Praxis sei auch ein Ergebnis der Tatsache, daß die westlichen Kirchen im Laufe des letzten Jahrhunderts die Auslandsmission an spezialisierte, interdenominationelle Missionsgesellschaften abgegeben haben. Wer in der Mongolei nichtdenominationelle Gemeinden gründete, war in der Regel selbst schon Mitarbeiter einer nichtdenominationellen Mission.
Ferner beschreibt Schlabach – sie selbst gehört einer denominationellen Mission an – den nichtdenominationellen Ansatz als eindeutig gewollt. „Um die mongolische Kirche zu gründen, wässern und wachsen zu lassen, mußten wir unsere Kräfte bündeln.“ Der Verfasser beschreibt die protestantische Mission als ein höchst zergliedertes und mannigfaltiges Unterfangen. Wenn etwa 50 Missionen jeweils drei Missionare nach der Mongolei entsenden, sind sie selbstverständlich auf die Kooperation angewiesen.
Doch bereits am Anfang wurde erwähnt, daß nicht alle Missionen und Kirchen im Lande den nichtdenominationellen Ansatz gutheißen. Laura Schlabach erwähnt, daß es „Assemblies of God”, baptistische, evangelisch-freikirchliche und koreanische Grüppchen gibt, die nur für sich wirtschaften wollen. „Mit bestimmten Gruppen ist die Zusammenarbeit äußerst schwierig“, räumt sie ein. „Doch die Bereitschaft, zusammen zu arbeiten, nimmt zu.“
Eine Gruppe wie die konfessionalistische “Lutheran Church Missouri Synod” befaßt sich nur mit der Gründung lutherischer Gemeinschaften. Andere denominationelle Missionen haben sich verabschiedet. Die südbaptisische “International Mission Board“ z.B. ist im Lande nicht mehr registriert.
Nicht überraschend ist die Tatsache, daß sich Streitigkeiten zwischen den sehr diversen Missionen aufgetan haben. Besonders heftig war die Debatte über das passende
mongolische Wort für „Gott“. Der Brite John Gibbens bemüht sich darum, Mongolen von der Nutzung des Wortes „Burhan“ abzuhalten. Gibbens gründete 1990 seine eigene „Mongolische Bibelgesellschaft“
(BSM) und trennte sich später von den renommierten „Vereinigten Bibelgesellschaften“. Auf seiner Webseite versichert er: „Die BSM arbeitet nicht mit Organisationen zusammen, die auf
Mongolisch traditionelle Begriffe für Gott gebrauchen. Diese entsprechen nicht dem Charakter Gottes wie er in der Bibel beschrieben wird.“
Um Gibbens wird es einsamer. Der genannte Missionar „Paul“ gibt an, daß 99% der Gemeinden das Wort „Burhan“ benutzen – er persönlich hält es für einen vorbuddhistischen Begriff. Die erste vollständige mongolische Bibel, die 2000 herausgegeben worden ist, benutzt genau diesen Begriff.
Verständlicher steht eine vor 1990 praktisch nichtexistente Kirche, die nun innerhalb kürzester Zeit „auf Touren“ kommen muß, beachtlichen Herausforderungen gegenüber. Das Wirtschaftswachstum beläuft sich auf rund 17% pro Jahr und ein Missionar beschreibt die Lage der Gesellschaft als eine, in der „Vor-Modernismus, Modernismus und Post-Modernismus alle gleichzeitig existieren und miteinander in Widerstreit stehen“. Ein Ergebnis der Herausforderung ist das, was Westler als Korruption definieren würden. Mongolen haben keine längere Erfahrung mit gemeinnützigen Einrichtungen und ein Missionar beklagt die Tatsache, daß eine Finanzethik für die Praxis fast nirgends gelehrt wird. Er berichtet von einem Missionsleiter, der das Missionseigentum als Sicherheit einsetzte, als es ihm darum ging, ein Privatdarlehen für sich zu erhalten. Der Schuldner konnte die Schulden nicht tilgen, die Bank eignete sich das Kircheneigentum an und beendete somit den Dienst. Ein anderer Leiter, der sich bewußt war, daß seine Anstellung zu Ende geht, übertrug das Eigentum seines Arbeitgebers auf Familienangehörige. Zweckgebundene Spenden sind kein einfaches Konzept. „Habt Ihr in uns kein Vertrauen?“ ist eine häufige Erwiderung wenn Spenden aus dem Ausland nicht zweckentsprechend eingesetzt werden.
Das Benutzen von protestantischen Kirchen als Sprungbrett zu einem besseren Leben im Westen gibt es keineswegs nur in der Mongolei. John Gibbens beklagt auf seiner Webseite, daß „viele, die noch vor wenigen Jahren als die christlichen Leiter der Zukunft gefeiert wurden, heute in den USA wohnen und einem weltlichen Beruf nachgehen“. Es leben immerhin mehr Mongolen außerhalb als innerhalb des Staates Mongolei; allein China beherbergt mehr Mongolen als die Mongolei selbst.
Die Gegner des protestantischen Wachstums behauptet gerne, es seien nicht nur die Mormonen, die viel Geld eingesetzt haben, um Bekehrungen zu erkaufen – eine These, die sich kaum nachprüfen läßt. Missionare berichten, der Widerstand aus staatlichen und buddhistischen Kreisen sei relativ gering. Laura Schlabach erläutert, daß die staatliche Gegenwehr “immer vor Wahlen am stärksten erscheint”.
Haben die Mongolen Bedeutungsvolles erreicht; haben sie eine neue Ebene jenseits der üblichen konfessionellen Aufteilungen erzielt? „Ja!“ insistiert Laura Schlabach. „Mongolen halten sich an die Grundwahrheiten des Evangeliums. Gott liebte uns so sehr, daß er uns seinen eingeborenen Sohn schickte, damit er für uns stirbt. In Christus sind wir eins.“
Dr.phil. William Yoder
Berlin, den 23. April 2013
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