Zwei alte Denominationen, die sich umstellen müssen
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Ein Baptist berichtet über den baptistisch-orthodoxen Dialog
M o s k a u -- “Wer behauptet, Freundschaft und Kooperation zwischen Orthodoxen und Baptisten seien unmöglich, liegt daneben. Noch stärker daneben liegen diejenigen, die eine Zusammenarbeit für möglich, jedoch unnötig halten.“ So beginnt eine bemerkenswerte Pressemeldung vom 1. Juni 2012 über eine zweimalige Begegnung zwischen einer von Pastor Alexander Wassilewitsch Feditschkin geleiteten Baptistengemeinde im Moskauer Ortsteil Tekstilschtschiki und der orthodoxen „Heiligen Dreieinigkeit“-Gemeinde in Eletrougli östlich der Stadt.
Feditschkin, ein wahrer Veteran des baptistisch-orthodoxen Dialogs, wertet die Absage an Kontakten mit der jeweils anderen Seite als eine freiwillige Selbstverarmung. In der ersten Meldung zu diesem Dialog am 24. November 2011 meinte er: “Unser Gespräch hat nicht den Zweck, die andere Glaubensrichtung als falsch anzuprangern – genau dann hören die beiden Seiten auf, einander zuzuhören. Das Hauptziel kann nur heißen: gegenseitige, geistliche Bereicherung.“ Er fügte dabei hinzu, daß Baptisten nur durch ein Befassen mit der Orthodoxie sich selbst und die eigene russische Kultur kennenlernen können. Nur durch die Aneignung solchen Wissens können Baptisten „effektiv auf die Fragen eingehen, die ihnen die russische Gesellschaft stellt“.
Pastor Feditschkin besteht darauf, daß keine Seite hundertprozentig richtig oder falsche sei. Vorwürfe der Ketzerei „belegen nur, daß wir schlecht informiert sind über einander“. In einem Interview mit dem Verfasser am 10. Februar 2013 versicherte er: „Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die wahre Kirche niemals an einer Konfession gebunden gewesen sei. Wer bildet die Kirche Christi? Sie besteht aus all jenen, die dem Ruf Christi gefolgt und zu ihm gekommen sind. Es ist eine große Dummheit, ausschließlich in den Rahmen von orthodoxen, katholischen und protestantischen Denominationen zu denken. Sie sind nur kulturelle Erwiderungen auf die verschiedenen Zeitalter und geschichtlichen Lebensbedingungen der Menschen.“ Er fügte hinzu, daß er große Achtung vor den „Kulturen“ der Orthodoxen wie Baptisten hege.
Der Pastor kann sich deshalb nur die punktuelle und partielle Verurteilung einer christlichen Glaubensrichtung vorstellen – alle Menschen verfügten nur eine über begrenzte und relative Wahrnehmung ihrer Umgebungen. „Bestimmte Vergehen oder Lehren anzuprangern ist das eine, doch die Orthodoxie als Ganze zu verurteilen ist etwas völlig anderes.“
Nach seiner Auffassung besitzen alle Formen christlichen Glaubens eine innere Logik – jeder Versuch von Außenstehenden, diese Logik zu zerstören führe zu Auseinandersetzungen und Kriegen. Derartige Angriffe vergleicht er mit einem Angriff auf eine Familie. In einem solchen Falle müsse der Vater – oder Bischof – „das abwehren, was seine Familie und deren Werte zu zerstören droht“. Das Zitat lautete: Alle Christen „lesen die Schrift durch ein Prisma.“ (Bei orthodoxen Gläubigen ist es u.a. die byzantinistische Sicht von Kirche.) „Gerade dieses Prisma bestimmt die Einzigartigkeit der jeweiligen inneren Logik.“
Alexander Feditschkin versicherte ferner: „Eine radikale Opposition gegen eine Kirche ist nur oberflächlich.“ Eine Verurteilung etwa der orthodoxen „Symphonie“ mit dem von Wladimir Putin geführten Staat übersehe die gesamte Tiefe und Breite der orthodoxen Sache. In einer der genannten Meldungen beklagte sich ein orthodoxer Priester darüber, daß die russischen Medien den diakonischen Einsatz der orthodoxen Massen fast gänzlich übergingen. Statt dessen habe sie sich auf sensationsgierige Meldungen über den Preis der von Patriarch Kirill getragenen Armbanduhren beschränkt.
Ein Angriff auf eine Kirche sollte als einen Angriff auf alle begriffen werden. Ein ständiges Thema unter den Christen Rußlands ist der Kampf gegen den „Säkularismus“. Die ältere der beiden Meldungen endete mit der Feststellung: „Begegnungen wie diese können mit dem Vorurteil aufräumen, daß eine Freundschaft zwischen Orthodoxen und Protestanten unmöglich sei. Alles hängt doch vom Grad der Offenheit auf beiden Seiten ab. Nur die Zusammenarbeit und gemeinsame Vorhaben werden es den Christen ermöglichen, den globalen, anti-religiösen Säkularismus aktiv zu bekämpfen.“ Die gegenwärtig machbaren Formen der Kooperation umfassen diakonische und kulturelle Projekte – gemeinsame Gottesdienste für Kinder hat es auch schon gegeben.
Dieser Pastor hat seine baptistischen Überzeugungen keineswegs abgestreift. Eine Person, die auf das eigene Bekenntnis des Glaubens orthodox getauft worden ist, würde er nicht nochmals taufen. Das würde er jedoch tun bei neuen Mitgliedern, die als Kinder oder Erwachsene ohne persönliche Glaubensüberzeugung getauft worden sind. „Möge der Herr unseren baptistischen Pastoren mit Weisheit ausstatten“, fügte er hinzu. „Jeder Fall ist anders; manchmal haben auch wir Baptisten Menschen voreilig getauft. Doch die orthodoxen Geistlichen bedürfen der göttlichen Weisheit gleichermaßen – unsere kirchlichen Kulturen sind weiterhin sehr verschieden.“
Die Anfänge
Anfang der 70er Jahre lernte Alexander Feditschkin (geb. 1951) orthodoxe Gläubige kennen. Er erinnerte sich: „Wir sagten immer, diese Leute beteten Götzen an und vertraten eine Theologie, die stark vom Evangelium abwich. Doch dann lernte ich einige kennen, die Gott dienten, ihn liebten und bemüht waren, seinem Willen entsprechend zu leben.“ Es folgten Freundschaften mit Laien und Priestern im Umkreis des legendären Alexander Men (1935-1990). Baptisten hatten sehr lange Gesellschaft und Staat als deren Gegner begriffen. Feditschkin berichtete, es seien westliche Missionare in den 90er Jahren gewesen, die die Sicht vertraten, daß sich Baptisten als möglichen Partner des Staates verstehen sollten, der innerhalb – und nicht außerhalb – der russischen Gesellschaft seinen Dienst tut.
Doch die Ismen Traditionalismus und Fundamentalismus sind in Rußland noch längst nicht abgelöst. Gefragt, ob er sich einsam fühle, antwortete der Pastor: „Wir Baptisten befinden uns in der Übergangsphase. Wir wechseln von einer alten philosophischen Position auf eine neue. Die alten Traditionen von vor rund 140 Jahren wirkten noch 50 der 70 Jahre später, doch heute werden sie unseren Bedürfnissen in keiner Weise gerecht. Wir alle sind in den kulturellen Formen der Vergangenheit verfangen und sind nun herausgefordert, unsere Praxis und Theorie anhand der Schrift neu zu überdenken. Wir befinden uns in Phase des Übergangs, die dem orthodoxen nicht unähnlich ist: Wir beide verfügen über einen alten Glauben, der den Herausforderungen der heutigen Zeit angepaßt werden muß.“
Obwohl er weiterhin Pastor in der “Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten” ist, fungiert Pastor Feditschkin ebenfalls als Präsident des aus 72 Ortsgemeinden bestehenden „Rates christlicher, evangelischer Kirchen Rußlands“. Das ist einer von mehreren interkonfessionellen, juristischen Schirmen für selbständige Ortsgemeinden und kleine Denominationen. Er ist ebenfalls Vizepräsident der „Russischen Evangelischen Allianz“.
Dr.phil. William Yoder
Moskau, den 20. Februar 2013
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