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"Arbeitsgruppe Rassismus" in Moskau

Der 20. April – Eine hervorragende Gelegenheit, sich zu Hause zu entspannen

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Die Moscow Protestant Chaplaincy berichtet von rassistisch-motivierten Angriffen

 

M o s k a u – Nach anderthalbjähriger Pause ist die elfjährige „Arbeitsgruppe Rassismus“ (“Racial Task Force” - RTF) der “Moscow Protestant Chaplaincy” wieder am Werke. Ihre ersten beiden Quartalberichte für 2012, die von rassistisch-motivierten körperlichen und verbalen Angriffen auf Afrikaner im Moskauer Raum berichten, wurden am 5. Juli veröffentlicht. Die Berichte deuten an, daß für farbige Menschen der Zeitraum vom 19. bis 21. April hervorragend dazu geeignet sei, sich zu Hause zu entspannen. Der 20. April ist bekanntlich der Geburtstag von Hitler. Die Berichte geben an, daß am 21. April 2012 ein 30-jähriger Mann aus dem Kongo einen besonders schweren Stand hatte: Er wurde dreimal körperlich angegriffen.

 

Am 18. Februar 2012 schütteten Hooligans Benzin in das Gesicht eines 42-jährigen Nigerianers. Dabei wurden Augen und Haut stark in Mitleidenschaft gezogen. Nach einem Hirnschlag ist er am 21. April verstorben. Da er nicht weiterhin Geld nach Hause schicken kann, bemüht sich die MPC, die Familie in Nigeria mittelfristig zu versorgen.

 

Die RTF räumt freimütig ein, daß ihre kleine Schar von Freiwilligen nur ein Bruchteil aller rassistisch-verursachten Vorfälle dokumentieren könne. Diese beiden Quartalberichte erzählen von 10 körperlichen Attacken und vier Fällen mündlicher Drangsalierung. Eines der Oper ist in den vergangenen 10 Jahren viermal überfallen worden; ein zweiter Mann zweimal in drei Jahren. Ein Kongolese ist in den letzten zweiundeinhalb Jahren fünfmal angegriffen worden und gibt an, „täglich mündlich drangsaliert“ zu werden.

 

Bei einem Vorfall in einer Straßenbahn im laufenden Jahr schrie eine betagte Dame mit wenig Kenntnissen in Demographie und Geschichte: „Ihr Affen überrennt unser Land! Wieso treibt ihr euch hier herum? Stalin hätte mit euch kurzen Prozeß gemacht. Rußland gehört den Russen!“ (Josef Stalin war bekanntlich Georgier. Nach Lesart des gegenwärtigen russischen Rassismus müßte er als „Schwarzer“ eingestuft werden.)

 

Ein Hauptproblem besteht darin, daß Farbige nicht mit dem Schutz von Zuschauern und der Polizei rechnen können. Nicht nur einmal haben zufällig anwesende Zuschauer zwecks Unterhaltung mit Verfilmung auf einen Vorfall reagiert. Die Zivilcourage läßt sehr zu wünschen. In der Nacht vom 18. Mai wurde ein 38-jähriger Ghanaer ernsthaft verprügelt als er in der Wohnung seiner afrikanischen Freunde schlief. Fünf russische Einbrecher hatten die Tür zertrümmert, um sich Einlaß zu verschaffen. Danach forderte die Vermieterin eine Erstattung der Türkosten von dem Ghanaer, da seine Hautfarbe den Vorfall verursacht hätte. Die Angelegenheit wurde damit beendet, daß die Vermieterin die Mieter zur Räumung aufforderte. Es hieß: „Die Vermieterin möchte sich von derartigen Problemen fernhalten.“

 

Aufgrund der äußerst geringen Zahl von Afrikanern in Rußland scheint die Anwesenheit größerer Zahlen von Männern aus den kaukasischen und zentralasiatischen Staaten ihre beste Chance auf Leibesschutz. Diese großen Minderheiten sind Hauptopfer des russischen Rassismus – mehr als eine Million von ihnen hausen sowohl legal wie illegal im Großraum Moskau. Ihr Los ist mit dem der illegal eingewanderten Hispanics in den USA vergleichbar.

 

Eine Quelle bei Yahoo beziffert den Prozentsatz von Schwarzen unter der russischen Bevölkerung mit 0,12% - das ergibt knapp mehr als 170.000 Personen. Die Stiftung „Metis“ geht von 40.000 gemischtrassigen, teils afrikanischen Staatsbürgern aus. Doch Afrikaner gibt es seit dem 17. Jahrhundert auf russischem Gebiet. Bekanntlich stammte der Urgroßvater des Nationaldichters Alexander Puschkin (1799-1837) vom Gebiet des heutigen Staates Eritrea.

 

Die russische Polizei ist eher Hindernis als Hilfe für körperlich gefährdete Afrikaner. Am 8. Juni wurde ein Afrikaner von Polizisten in ein Waldstück gebracht und ausgeraubt. In nur einem der genannten 14 Vorfälle ist mit einem Prozeß zu rechnen. Der schwache juristische Status der Afrikaner wird dadurch verschlimmert, daß viele von ihnen über mangelhafte Dokumente verfügen. Schon deshalb gehen sie Kontakten mit der Polizei möglichst aus dem Wege.

 

Ein weiteres, ernsthaftes Problem ist die unzureichende medizinische Absicherung. Nachdem er am 15. April verprügelt worden war, verbrachte ein 17-jähriger Kongolese bei Nahrung und Wasser einen gesamten Monat im Butkiner Krankenhaus. Entlassen mit einem weiterhin gebrochenen und ausgekugelten Arm, konnte ihm eine in der Klinik der MPC tätigen Krankenschwester Zugang zu einem Krankenhaus und der erforderlichen Operation verschaffen. Die MPC konnte eine Geldquelle ausfindig machen – der Patient befindet sich auf dem Wege der Besserung. Die RTF berichtet, dies sei der zweite Überfall auf den jungen Mann in den ersten sechs Monaten seines Rußland-Aufenthaltes.

 

Die zumeist von Freiwilligen betriebene Klinik der MPC hat sich als Säule der Hoffnung und als letzte Instanz für nicht wenige bedürftige Afrikaner erwiesen. Vor kurzem zog sie in den renovierten Keller einer großen protestantischen Gemeinde um. Sie wird stark unterstützt vom Moskauer “Agape Medical Centre”. Diese Klinik wird von einem baptistischen Arzt aus den USA, Bill Becknell, geleitet.

 

Matthew Laferty, der methodistische Pfarrer der MPC, versichert: „Wir meinen, der Glaube an Jesus Christus gebietet uns, Fremde in fernen Ländern willkommen zu heißen. Wir sind gehalten, allen Menschen ohne Rücksicht auf deren Hautfarbe oder Nationalität Gastfreundschaft zu gewähren. Als Amerikaner erhebe ich den moralischen Zeigefinger nicht; ich versuche nicht, Russen zu beschämen. Mein Land hat auch weiterhin mit Rassismus zu tun. Wir haben das Ziel, Rußland zu stärken, indem wir alle Errungenschaften und Fortschritte im Bereich der Rassismusbekämpfung feiern und gemeinsam mit Russen gegen anhaltende Auswüchse des Rassismus und der rassistisch motivierten Gewalt vorgehen.“

 

Kleine Erfolge liegen vor. Dieser Dienst berichtete vom Begehen des Martin-Luther-King-Tages in der baptistischen “Moskauer Stadtgemeinde” am 15. Januar 2012. Es handelte sich bei diesem bescheidenen Ereignis um die wohl erstmalige Erinnerung an den Feiertag unter russischen Protestanten; der Gottesdienst erfreute sich weltweiter Aufmerksamkeit. Wichtiger war die Tatsache, daß auch die protestantischen Medien Rußlands ausführlich berichteten.

 

Im vergangenen Jahr ist ein kamerunischer Arzt aus Frankreich, Olivier Akaa, grandios gescheitert beim Versuch, Bürgermeister der südrussischen Stadt Lipezk zu werden. Doch unverdrossen betreibt der peppige, russische Staatsbürger weiterhin eine erfolgreiche humanitäre Organisation zur Versorgung von Obdachlosen: die „Stadt des Lichts“. Bisher haben russische Medien wohlwollend und fasziniert über ihn berichtet.

 

Neben der Berichterstattung über Vorfälle und der Unterstützung von Opfern erwähnt die RTF den Aufbau einer Solidargemeinschaft unter Afrikanern und einer neuen englisch- und russischsprachigen Webseite als zwei weitere Ziele für das laufende Jahr. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit russischen Menschenrechtsorganisationen – zu ihnen zählt die säkulare NGO „SOVA“. Der kleine Kreis von Moskauer Quäkern betreibt ein Projekt mit der Zielsetzung, Polizisten für den Umgang mit Menschen nichtweißer Hautfarbe zu schulen.

 

Die höchstinternationale, englischsprachige “Moscow Protestant Chaplaincy” wurde 1962 gegründet und wird von fünf US-amerikanischen Denominationen getragen: die „United Methodist Church“, die „Evangelical Lutheran Church in America“,die „Reformed Church in America“, die „American Baptist Churches“ und die „Presbyterian Church (USA)“. Die gegenwärtige Webseite der MPC befindet sich unter der Anschrift: “www.mpcrussia.org”. Koordinatorin der RTF ist Jennifer Voecks, “mpctaskforce@gmail.com”.

 

Dr.phil. William Yoder

Smolensk, den 11. Juli 2012

 

Eine journalistische Veröffentlichung gefördert von der “Presbyterian News Service”, Louisville/USA, “www.pcusa.org”. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine offizielle Meinung der PNS zu vertreten. Diese Meldung darf gebührenfrei abgedruckt werden wenn die Quelle angegeben wird. Meldung Nr. 12-16, 1.068 Wörter oder 7.720 Schläge mit Leerzeichen.