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Ein Nein zur Revolution bei den russischen Protestanten

Ein Nein zur Revolution

Stellungnahmen der russischen Kirchen zu den politischen Unruhen

 

„Es hat sich alles verändert!“ jubelte der orthodoxe Religionswissenschaftler Roman Lunkin nach der Moskauer Demonstration am 10. Dezember 2011. Zum ersten Mal seit einem Jahrhundert sei die Orthodoxie von der Seite des Staates gewichen. Nun habe sie die Chance erhalten, „ihrem Anspruch, eine moralische Instanz zu sein“, unter Beweis zu stellen.

 

Lunkin pries den orthodoxen Geistlichen Feodor Ljudogowski, der die Duma-Wahlen vom 3. Dezember als „ein einmaliges Beispiel von Lüge und Heuchelei“ gegeisselt hatte. Er erwiderte: „Wir sind doch keine Masse von dummen Lämmern und Marionetten, sondern Kinder Gottes.“ Ljudogowski bezeichnete die Verfechter der Staatspartei als Pharisäer: Das Hauptlaster der Pharisäer sei ihre Heuchelei, ihre „Gewohnheit an die Lüge“

 

Besondere Lorbeeren reichte Roman Lunkin dem ehemaligen Baptisten-Präsidenten und Fundamentalopponenten Juri Sipko. Nur vier Tage nach Ankündigung des Stuhlentausches am 24. September hatte Sipko dem Staats-Tandem ein abgekartetes Spiel und „Theater“ vorgeworfen und behauptet: „Für Putin und Medwedew ist die Lüge ein fundamentales Mittel der Staatslenkung.“ Laut Lunkin habe Sipko die späteren Entwicklungen vorausgesehen.

 

Die vorerst einzig vernehmbare lutherische Stimme gehörte dem Moskauer Publizisten Wladimir Solodownikow. Nach den Wahlen schrieb er: „Ich fordere den sofortigen Rücktritt des Präsidenten und Ministerpräsidenten sowie die Auflösung der sich diskreditierenden Partei.“ Allerdings gehört Solodownikow gegenwärtig keiner lutherischen Konfession an.

 

Doch die moderaten, kirchlichen Stimmen überwogen – Juri Sipko hatte nicht einmal seine eigene Kirche hinter sich. Sergei Rjakhowski, Leitender Bischof des größten protestantischen Kirchenbundes des Landes, der 400.000 Besucher zählenden „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“, sprach beiden Kirchenbünden (und dem Moskauer Patriarchat) aus dem Herzen als er versicherte, dass alle Beschwerden über Wahlunregelmäßigkeiten den Gang durch die staatlichen Instanzen anzutreten hätten. Bei Wsewolod Tschaplin, dem „Vorsitzenden der Abteilung des Moskauer Patriarchats für Beziehungen zwischen Kirche und Gesellschaft“, hieß es, dass sich alle Protestmaßnahmen „im Rahmen des Gesetzes“ abzuspielen hätten.

 

Menschen, denen „das Herz für Russland blutet“, empfahl Rjakhowski diakonisches Engagement und das Spenden von Blut. Allerdings ermahnte er die alleinregierende Staatspartei, ernsthafter auf die Stimme des Volkes zu achten. Er räumte sogar ein, dass „Einiges Rußland“ der frischen Blutzufuhr bedarf, was sich als eine Absage an die Fortsetzung des Tandems deuten lässt

 

Eine dritte Gruppe christlicher Kirchen verharrte im Schweigen oder beschränkte ihre öffentlichen Bekundungen auf Aufrufe zum Gebet. Bei politischen Stellungnahmen sind kleinere Kirchenbünde meistens überfordert.

 

Doch einig waren sich nahezu alle Vertreter der Religionen (einschliesslich Juden und Muslime), dass eine Revolution unbedingt zu vermeiden sei. Rjakhowski versicherte: „Es kann sein, dass Nikolaus II. nicht der beste Zar der Geschichte war – auch unsere jetzige Staatsmacht weist Mängel auf. Doch jene, die das Boot schaukeln wollen, sind wesentlich gefährlicher.“

 

Tschaplin hatte noch vor der zweiten Moskauer Demonstration am 24. Dezember eine gegen den Westen gerichtete Spitze parat: „Es ist äusserst gefährlich, Zusammenstöße mit der Polizei oder politischen Gegnern zu provozieren. Wer solche Zusammenstöße provoziert, arbeitet nach den Drehbüchern tonangebender globaler Zentren.“

 

Dr. William Yoder

Moskau

 

Aufsatz ist erschienen in redigierter Form in der Berliner Zeitschrift „Die Kirche“ am 9.1.2012.

 

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