Die Fruchtbarkeit steigern
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Nach langer Pause führt das Moskauer CIAC eine öffentliche Veranstaltung durch
Kommentar
M o s k a u – Am 13. Mai versammelte sich in der Moskauer Zentrale der katholischen „Erzdiözese der Mutter Gottes” das „Christliche Interkonfessionelle Beratungskomitee“ (Christian Inter-Confessional Advisory Committee – CIAC) zu seiner ersten öffentlichen Veranstaltung seit zehn Jahren. Das Thema des Tages betraf die Demographie. Doch nach Witali Wlasenko, dem Vertreter der Protestanten in der dreiköpfigen orthodox-katholisch-protestantischen Leitung des CIAC, sei nicht nur die demographische Frage für Protestanten wichtig – ihnen gehe es ebenfalls um die gesellschaftliche Akzeptanz. Protestanten bleibt es entscheidend, ob sie als einheimischen und wohlwollenden Partner im Einsatz für ein besseres Rußland akzeptiert werden. Der Baptist versicherte: „Entscheidend für uns ist die Frage, ob die evangelischen Kirchen, die einen integrativen Teil der russischen Gesellschaft darstellen, einen eigenen Beitrag in dieser schwierigen Materie leisten können.“ Wlasenko fügte hinzu, die Bemühungen der christlichen Konfessionen Rußlands würden nur Erfolg haben wenn sie es lernten, „mit einer einzigen Sprache zu sprechen. Sonst werden unsere Erklärungen nur auf dem Papier bestehen.“
Viele Gründe für den Bevölkerungsschwund wurden von den Rednern erwähnt: eine schlechte medizinische Versorgung sowie der Drogen- und Alkoholmißbrauch von Männern würden deren geringe Lebenserwartung verursachen. Hinzu kämen die Nichtbereitschaft oder Unfähigkeit des Staates junge Familien finanziell zu unterstützen, hohe Abtreibungsraten sowie die starke Ausrichtung auf Karriere und Konsum. Orthodoxe Redner wie Metropolit Ilarion (Alfejew), Leiter des kirchlichen Außenamtes der „Russisch-Orthodoxen Kirche – Moskauer Patriarchat“, riefen zur Gründung christlicher Großfamilien auf. Doch angesichts der ausufernden Preise in den russischen Großstädten könnte sich meines Erachtens nur ein angehender Oligarch eine 10-köpfige Familie leisten. Kinder sind in der Tat kostenintensiv und gefährden immer wieder den Erwerb eines neuen Autos oder die Reise ins visafreie Urlaubsland Türkei.
Wikipedia gibt an, daß sich die russische Bevölkerungszahl gegenwärtig bei 142,9 Millionen liegt - da gab es einen leichten Anstieg 2009. Im Jahre 1991 war die Spitze erreicht worden: 148,7 Millionen. Die Geburtsrate beläuft sich auf 12,6 Geburten pro 1.000 Bürger pro Jahr; die Sterberate liegt bei 14,3. Im Jahre 1929, während der Hochblüte der aufstrebenden Sowjetmacht, lag die Geburtsrate bei 49,6; die Sterbensrate bei 28,6.
Moralische Appelle bestimmten die Vorträge am 13. Mai. Doch nach meiner Überzeugung können die Hinweise auf Patriotismus und Gewissen dieser Gesellschaft keinen demographischen Erfolg bescheren. Christliche Kreise – und nicht nur die Orthodoxie – plädieren für einen christlichen Konsens als das passende ideologische und geistliche Rüstwerk für die russische Gesellschaft. Doch bezüglich der Demographie werden die soziale Unsicherheit und die allumfassenden Ziele des Konsums stärker zu Buche schlagen. In der mobilen Welt der Gegenwart werden die Massen dazu neigen, sich dorthin zu bewegen, wo ihnen die Lebensqualität am höchsten erscheint. Gekoppelt mit einer geregelten Immigration, einer relativen hohen Lebensqualität, ökonomischer Stabilität und Gesetzestreue, einer breiten Verteilung des Eigentums verbunden mit Aussichten auf das Fortkommen in Karriere und Geschäft – diese Faktoren würden von alleine dieses Problem für Rußland lösen. Bis sich Rußland um die Erfüllung dieser Kriterien bemüht, wird sich der Gang nach unten fortsetzen. Im Gegensatz zu 1929 hat Rußland heute keine aggressive Ideologie, die den Menschen eine – wenngleich vergebliche – Perspektive verschaffen könnte.
Immigration
Die relativ erfolgreichen Gesellschaften von Westeuropa, Nordamerika und Australien haben ihrer Lösung des demographischen Problems nicht alleine der relativ hohen Lebensqualität zu verdanken. Der finanzielle Anreiz – siehe Kindergeld – reichte nicht aus, um die Geburtsraten zu steigern. Auch diese Staaten mußten vielen Ausländern die Einreise gestatten. In Kanada scheint das zu gelingen, denn zu den Eingewanderten zählen nicht wenige Facharbeiter und Spezialisten. Die geographischen und klimatischen Bedingungen Kanadas ähneln denen von Rußland – doch 1950 hatte das Land nur 13,7 Millionen Einwohner. Diese Zahl hatte sich bis 1991 mehr als verdoppelt auf 27,9 Millionen. Die gegenwärtige Einwohnerzahl bewegt sich im Rahmen von 34,3 Millionen – eine Zunahme von 19% über die letzten zwei Jahrzehnte. Dabei liegen die kanadischen Geburtsraten deutlich unter denen von Rußland: nur 10,28 Geburten pro 1.000 Einwohner im Jahre 2009. Aber die Sterberate in Kanada ist nur halb so hoch: 7,74 pro Jahr.
In seinem Vortrag rief Metropolit Ilarion dazu auf, der demographischen Krise “mit einer totalen Mobilisierung aller gesunden Kräfte” beizukommen. Doch dabei ist „gesund“ das entscheidende Wort. Eine Frage, die in der ehrwürdigen Runde nicht aufkam, müßte gestellt werden: Würde die russische Gesellschaft die verarmten, muslimischen Völker Mittelasiens, Chinesen oder die Menschen aus Schwarzafrika als „gesunde Kräfte“ akzeptieren? Nordamerika, Westeuropa und Australien haben die Einwanderung als wichtigen Bestandteil einer Politik zur Behebung des Bevölkerungsschwunds akzeptiert um den „Preis“, daß ihre Gesellschaften „brauner“ und „gelber“ werden. Diese Länder haben sich für ein irgendwie multikulturelles Dasein entschieden.
Es gibt noch keine Anzeichen dafür, daß die russische Gesellschaft gewillt wäre, in den saueren Apfel zu beißen und „brauner“ zu werden. Auch wenn es nur heißen würde, daß man russischsprechende Nichteuropäer aus Zentralasien ansiedelt. Japan ist ein weiteres Land, das sich mit der Immigration schwertut. Die Bevölkerung dieses wohlhabenden, dichtbevölkerten, nichtweißen Landes nimmt deswegen auch langsam ab (noch 126,8 Millionen in 2010). Es scheint auf jeden Fall klar, daß eine mehrheitlich weiße Gesellschaft, die nicht bereit ist, Menschen nichtweißer Hautfarbe bei sich aufzunehmen, nicht wachsen kann.
Global gesehen gibt es genügend Menschen und Finanzen, um die Grundbedürfnisse aller Gesellschaften zu decken. Der Knackpunkt heißt Verteilung. Die Zynischen und Lieblosen könnten behaupten, es seien eben die „falschen“ Kinder, die geboren werden: Kinder nichtweißer Hautfarbe in den verarmten Entwicklungsländern. Es liegt nicht auf der Hand, daß gerade die dichtbevölkerten Länder Europas - sowie Nordamerika - sie zuerst aufnehmen sollten.
Die Christen Rußlands müßten viele weitere Faktoren in den Blick bekommen. Ein Versuch, die Fruchtbarkeit zu erhöhen, ist keine Lösung solange grundlegende soziale und politische Mißstände nicht angegangen werden. Seihe z.B. die Erfolgsstory Kanada.
CIAC
Geschaffen 1993 um das Gespräch zwischen den Kirchen in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu erleichtern, führte das CIAC in den Jahren 1994, 1996 und 1999 wichtige Konferenzen durch. Dessen Arbeit wurde jedoch im Februar 2002 von orthodoxer Seite eingestellt und erst im Oktober 2008 wieder aufgenommen.
Das CIAC zielt auf die Zusammenarbeit mit den Ländern der ehemaligen Sowjetunion – nicht darüber hinaus. Vielleicht ist das ein Grund dafür, daß dessen Status bei den Orthodoxen gegenwärtig unklar erscheint. Für sie hat CIAC nicht den Anschein, eine Organisation erster Priorität zu sein. Manchen seiner Führungspersonen ist wohl weiterhin unklar, mit welcher Politik die Interessen der ROK am besten vertreten werden.
Das dritte Mitglied der Leitung des CIAC (neben Ilarion und Wlasenko) ist der Italiener Pawel Pezzi, katholischer Erzbischof der Moskauer Diözese.
Dr.phil. William Yoder
Moskau, den 25. Mai 2011
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz
Eine Veröffentlichung der Russischen Evangelischen Allianz. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine offizielle Meinung der Allianz-Leitung zu vertreten.
Meldung Nr. 11-09, 1.042 Wörter oder 7.621 Schläge mit Leerzeichen.