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Das Moskauer Gebetsfrühstück zielt verstärkt auf Politiker

Eine Stimme zugunsten der nationalen Eintracht

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In Moskau bemüht sich das Nationale Gebetsfrühstück um ein neues Format

 

M o s k a u – Am 15. März versammelten sich rund 200 Vertreter religiöser und säkularer Organisationen im exklusiven Moskauer „Präsident-Hotel”, um das 11. Gebetsfrühstück seit 1995 zu erleben. Es trug die Überschrift „Rußland – ein multinationales und multikulturelles Land“ und war vom leidenschaftlichen Aufruf des Nikolai Swanidse geprägt, sich der sozialen und ökonomischen Not der Jugend zu stellen. Swanidse, ein prominenter Fernsehjournalist und Vorsitzender der staatlichen „Kommission der Öffentlichkeitskammer für multinationale Beziehungen und Gewissensfreiheit“, geißelte den aggressiven, xenophobischen Nationalismus, der unter der Jugend immer mehr um sich greife. Millionen junger Menschen „leiden unter Armut, Rauheit, Gewalt und ungerechter Gerichte und suchen nach Wegen, ihre Aggressionen loszuwerden“. Der staatlichen Propaganda gegenüber der Jugend warf er vor, die Xenophobie zu fördern – sie sei „sagenhaft überflüssig und von nationalistischem Charakter“.

 

Swanidse wies darauf hin, daß die „patriotischen“ Gesellschaften und Medien Rußlands die japanischen Erdbeben als eine „gerechte Strafe für das Bedrängen der Kurilen-Inseln“, die direkt vor dem japanischen Hoheitsgebiet liegen, deuten. Daran erkennt er das gänzliche Vermissen von Barmherzigkeit gegenüber den Bedürftigen in Japan und anderswo. Diese inhumane Haltung beklagte er als „ein Ergebnis unseres moralischen Isolationismus, als ein nachimperiales Syndrom“. Es sprach sich darum für ein nationales Programm, das Menschen beibringt, sich gegenseitig zu achten, aus. „Das ist etwas, was unserem Lande fast gänzlich fehlt.“ Die Programme eines „sozialen Fahrstuhls“ könnten der Jugend mit Hoffnung für die Zukunft ausstatten. Auch Russen müßten lernen, daß wir alle vor allem erst einmal einfach Menschen seien, ohne ethnische oder konfessionelle Etiketten.

 

Einheit was das Gebot des Tages. Sergei Melnikow, Leiter des “Rats für die Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen am Sitz des Präsidenten der Russischen Föderation”, erwähnte den terroristischen Anschlag auf Moskaus Flughafen Domodedowo am 24. Januar mit 37 Toten und 180 Verletzten. Dank der Blutspenden hatte sich „das Blut in den Adern der Überlebenden mit dem von Menschen aus allen Glaubensrichtungen vermischt“. Das symbolisiere die Existenz Rußlands als ein vereinigter und einziger Organismus. Akhmad Garifullin, ein Adjutant des leitenden Moskauer Muftis, wies darauf hin, daß der Sieg der Sowjetunion über den Faschismus nur deshalb möglich war, weil das Land wie ein einziger Organismus unabhängig von konfessionellen Grenzen gehandelt hatte. Die Herausforderungen der Gegenwart verlangten ein ähnliches Maß an Einigkeit. „Das Gebet ist die Waffe der Gläubigen. Im Kampf gegen den Terror sind unsere Reihen geschlossen..

 

Nebenbei erläuterte Alexander Torschin, Stellvertretender Vorsitzender des Rates der Russischen Föderation (des Oberen Hauses), die traditionelle russische Aversion gegenüber dem Begriff „Toleranz“. Neben allen positiven Deutungen, wie Freundschaft und gegenseitiger Achtung, assoziiere der russische Mensch diesen Begriff mit einer unzulässigen Duldung  von „Ungerechtigkeit, Rauheit und Kulturlosigkeit“. Toleranz könne auch so ausgelegt werden, daß sie einem alles erlaube.

 

Das neue Format

“Wir Baptisten durften kein einziges Wort los werden!” klagte ein kirchlicher Mitarbeiter der Baptisten nach dem Ereignis. Bisher war das Gebetsfrühstück im wesentlichen ein Forum für die Selbstdarstellung der größten protestantischen Kirchen und Organisationen. Deshalb bedeutete das diesjährige Format, das die Vorträge und Grußworte auf Politiker sowie auf einen einzigen katholischen, muslimischen und jüdischen Vertreter beschränkte, ein völlig neuer Ansatz. Leitende protestantische Persönlichkeiten wie der Charismatiker Sergei Rjakhowski und der Pfingstler Eduard Grabowenko waren zum Schweigen verdammt; der mächtige Geschäftsmann, Bischof und ehemaliger Baptist Alexander Semtschenko war nicht einmal zugegen. Die einzigen Protestanten, die das Wort ergriffen, waren Pawel Sautow am Anfang und sein junger Vertreter, Wjatscheslaw Starikow; am Ende. Beide stammen aus der kleinen „Russischen Assoziation selbständiger evangelischer Gemeinden“. Vor fast einem Jahr ersetzte Sautow den Baptisten Witali Wlasenko als Vorstandsvorsitzenden der „Stiftung Nationales Gebetsfrühstück“. Wlasenko ist gegenwärtig der stellvertretende Stiftungsvorsitzende.

 

Dank seines neuen, bisher unerprobten Formats litt dieses kleinere und kürzere Gebetsfrühstück an vereinzelten Geburtswehen. Allen russischen Sitten zuwider blieb man bei den Gebeten zumeist an den Tischen sitzen. Die Gebete der katholischen, jüdischen und muslimischen Vertreter schienen eher vorgelesen als gebetet zu werden.

 

Alexander Torschin, seit Jahren ein regelmäßiger Teilnehmer am Nationalen Gebetsfrühstück in Washington/USA, erläuterte in seinem kurzen Beitrag die beabsichtigte, neue Ausrichtung der russischen Bewegung. In Übereinstimmung mit dem nordamerikanischen Vorbild soll das Ereignis in erster Linie zu einer Veranstaltung von und für Politiker – und nicht für Kirchenvertreter - werden. Das hebt sich stark von den bisherigen protestantischen Veranstaltungen, die von einigen wenigen Politikern aufgesucht wurden, ab. Torschin zollte Barack Obama Anerkennung für seine Rede auf dem Washingtoner Frühstück am 3. Februar. Ohne jegliche Bezugnahme auf die Politik hatte der US-Präsident von seinem eigenen, persönlichen Glaubensweg berichtet.

 

Torschin kann sich nicht vorstellen, daß russische Politiker demnächst von ihrem persönlichen Glauben bezeugen werden. Er meint dennoch, daß recht bald mit Gebetstreffen in der russischen Duma und im Parlament begonnen werden könne. (Siehe seine russischsprachige Webseite: „www.torshin.ru“.) In seiner Rede am 15. März beschrieb er die Zusammenkünfte von kleinen Gruppen gläubiger Politiker als eine einigende Kraft, als „eine weiche Diplomatie“, die in einer höchst streitlustigen Gesellschaft die friedliche Lösung von Konflikten fördere. Ein Freund der Protestanten, Torschin hatte 2008 westliche Landwirte und Fachkräfte zur Rückkehr und Neubesiedlung eines Teils der Weiten Rußlands eingeladen.

 

Die Kritik am neuen Format des Frühstücks hängt mit der Befürchtung zusammen, das Ereignis werde nicht explizit christlich bleiben. Ewgeni Bakhmutski, Erster Vizepräsident der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“, beklagte in einem Interview, daß ihm bei den protestantischen Rednern ein christuszentrisches Beten fehlte.

 

Zum ersten Mal seit Jahren war kein einziger orthodoxer Geistlicher in Sicht. Z.Zt. erklärt das Moskauer Patriarchat immer wieder, das bisherige Format des Gebetsfrühstücks laufe der orthodoxen Praxis zuwider. Gemäß orthodoxer Tradition müsse das öffentliche Beten orthodoxen Geistlichen überlassen werden; auch sei das gemeinsame Beten mit nichtorthodoxen Christen nicht vorgesehen. Folglich tritt die Orthodoxie für ein von ihr geführtes, interkonfessionelles Forum ein. Ein erstes öffentliches Treffen könnte noch in diesem Herbst stattfinden.

 

Dennoch geht die russische Gebetsfrühstücksbewegung noch lange nicht unter. Am 22. März fand in Sankt Petersburg ein ähnliches Frühstück statt; ein weiteres ist für Krasnojarsk/Sibirien im April vorgesehen. Das nächste Moskauer Frühstück soll am 13. März 2012 stattfinden. 

 

Dr.phil. William Yoder

Smolensk, den 21. März 2011

 

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