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Moskauer Megagemeinde 10 Jahre alt

„Good News Church“ erreicht ein zweistelliges Alter

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Rick Renner weiterhin aktiv in Moskau

 

Reportage

 

M o s k a u – Eine baptistische Gläubige wies mich als Erste auf die Existenz der “Rick Renner Ministries” hin. Vor sechs Jahren hatte ich sie gefragt, welche Moskauer Gemeinde sie einer jungen, suchenden Dame mit einem völlig säkularen Hintergrund empfehlen würde. Doch kühn genug, die Dame dorthin zu entsenden, war ich nicht – stattdessen schickte ich mich selbst dorthin. Meinem ersten Eindruck nach handelte es sich um eine Transplantation aus Oklahoma. Dort, in der Hauptstadt Tulsa, erblickte Rick Renner 1958 das Licht der Welt. Wo sonst in Rußland bietet eine protestantische Organisation Hard Rock und Performance (Vorführungs-) Tanz gekoppelt mit Schönheits-Tipps und Modeschauen für die Damen?

 

Doch ist es gerecht, Rick Renner und seine “Good News Church” als rein fremdländisch zu disqualifizieren? Ganz offensichtlich trifft die charismatische Bewegung den Nerv bei manchen russischen Staatsbürgern. Obgleich sie am 12. September erst ihr zehnjähriges Bestehen feierte, gilt diese 3.000-Mitglieder-zählende Gemeinde als die zweitgrößte protestantische Versammlung Moskaus. Das von Matts-Ola Ishoel geleitete “Word of Life Bible Center” des schwedischen Charismatikers Ulf Ekman hat mindestens 3.500 Mitglieder. Bis auf die Predigt von Renner und eine dreiminütige Lücke für das Zungengebet, wird nahezu alles in der Good News Church auf Russisch vorgetragen.

 

In Rußland könnte die charismatische Bewegung bis zu 400.000 Anhänger haben – die meisten von ihnen versammeln sich innerhalb der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ - ROSKhWE. (Diese Union darf nicht verwechselt werden mit der traditionell-pfingstlerischen „Russischen Kirche der Christen evangelischen Glaubens“, aus der sie in den 90er Jahren hervorging.) Die ROSKhWE ist vor allem eine gesetzliche Größe für Verhandlungen mit staatlichen Stellen. Sie läßt sich schwerlich als Kirche bezeichnen, da sie aus sehr unterschiedlichen Gruppierungen besteht, die jeweils über eigene Führungspersönlichkeiten verfügen. Renner ist Teil einer „Good News Association“, die behauptet, 700 Gemeinden auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR zu vertreten. Doch innerhalb Rußlands agiert sie unter dem breiten Schirm der ROSKhWE. Der anhaltende Zugang der Familie Renner zu russischen Visen ist zweifellos dem diplomatischen Geschick und den zwischenmenschlichen Beziehungen des ROSKhWE-Bischofs Sergei Rjakhowski zu verdanken.

 

Die Good News Church gilt wohl als “charismatisch” - die vermeintliche Spontaneität unterliegt jedoch einer sorgfältigen Regie. Zu den häufigen Befehlen von vorne zählen: „Aufstehen“, „“Platz nehmen“, „Klatschen“ und „Grüß den Nachbar“. Der Gottesdienst am 5. September enthielt noch die Aufforderung Renners: „Frag den Nachbar, wofür du mit ihm beten darfst!“ Da der wildfremde Mensch neben mir durchaus ein Emissär der Taliban hätte sein können, zogen wir beide es vor, zu schweigen.

 

Doch wie gelingt es der charismatischen Bewegung Anschluß an die russische Mentalität zu finden? Die lautstarken, zackigen Darstellungen von Musik und Tanz erinnern eher an einem Aufmarsch auf dem Roten Platz als an der von Weihrauch durchdrungenen Melancholie eines geruhsamen, mit Kerzen beleuchteten orthodoxen Gottesdienstes. Orthodoxe und Charismatiker haben wohl beide Anschluß an die traditionelle, russische Vorliebe für das Irrationale, das Mystische und Magische. „Sprich dieses Gebet sieben Mal, dann wird Gott . . . .“ ist ein typischer Ausdruck russischer Volksfrömmigkeit. Nach der charismatischen Ausdrucksweise kann das heißen: „Gib den Zehnten und Gott wird . . . .“ Wenn du „A“ vollbringst, antwortet Gott mit „B“. Denken wir auch an die mystische Kraft von Ikonen, Reliquien und geweihtem Wasser – bei Charismatikern handelt es sich um Taschentücher.

 

Der charismatische Aufruf zum Glauben wirkt sehr unmittelbar. Er wird beseelt von der brennenden Erwartung, daß Gott umgehend handelt. „Gott hat mir gerade eine Prophezeiung geschenkt,“ versicherte Renner im genannten Gottesdienst. Charismatiker sind nicht für ihre Bescheidenheit bekannt: Die Taten Gottes und die Untaten seiner Geschöpfe werden beim Namen genannt. Viele russische Baptistengemeinden gehen vom entgegengesetzten Ende auf das Evangelium zu - sie vertreten eine „cessationist“ und dispensationalistische Theologie. „Cessation“ heißt Aufhören; diese Theologie behauptet, die übernatürlichen Wunder des Heiligen Geistes hätten nach Gründung der Urgemeinde im ersten Jahrhundert aufgehört. Eine solche kopfzentrische, sich auf den biblischen Text beschränkende Theologie bietet einem die beruhigende Gewißheit, für alle Ewigkeit erlöst zu sein. Die Charismatiker hingegen denken kurzfristiger und unmittelbarer: Sie bevorzugen Aufregung und einen hohen Adrenalinspiegel.

 

Ein Geheimnis des finanziellen Wohlergehens der Charismatiker hängt zweifellos mit ihrer wirksamen Verkündigung des Zehnten zusammen. Am 5. September gab es drei Kollekten; die erste fand, wie üblich, nach einer aufmunternden Kurzpredigt über den Zehnten statt. Darin versicherte Renner, die Weigerung, den Zehnten zu zahlen, würde einem „Bestehlen Gottes“ gleichkommen. Die einzig mögliche Schlußfolgerung daraus besagte, die Anwesenden würden Gott berauben, falls sie ihren Zehnten nicht an die Rick Renner Ministries weiterreichen würden. Doch dieser Zehnten ist letztlich fast schmerzlos, denn nach ihrem Verständnis sei er eher Geschäftsinvestition als selbstloses Opfer. Charismatiker betonen, den Zehnten werde man zum mehrfachen Wert zurückerhalten. Gott ist loyal und treu – in ihn zu investieren sei lukrativer als jede weltliche Börse. Nach dem „Wohlstandsevangelium“ der Charismatiker ist die Wertanhäufung ein Beweis für die Echtheit eines christlichen Dienstes. Bis auf Charismatiker und Adventisten, wird im russischen Protestantismus kaum über den Zehnten gepredigt.

 

Eine weitere Einnahmequelle ist der Markt für Selbsthilfe-Literatur. Die Good News Gemeinde  bietet viel Literatur an, zum größten Teil Übersetzungen aus dem Englischen. Auf einem Video im Internet bestätigt Renner, daß der umstrittene Evangelist Kenneth Copeland von Anfang an ein führender Gönner der Moskauer Arbeit gewesen ist. Copeland lobt er ferner für seine vorbildliche finanzielle Halterschaft (siehe www.youtube.com/watch?v=nOTaMI7TVG0). Copeland, der schon mehrmals wegen möglicher Steuerhinterziehung vom US-Fiskus untersucht worden ist, besitzt einen Flughafen bei Ft. Worth/Texas. Im Jahre 2007 besaß er zwei private Firmenjets. Die teurere der beiden Maschinen, eine Cessna Citation X, hat einen Wert von 20 Millionen Dollar. Rick Renner Ministries leitet das Moskauer Büro einer weiteren charismatischen Multimillionärin: Joyce Meyer aus dem Bundesstaat Missouri.

 

Renner, der in Riga 1991 seinen europäischen Dienst gründete, führt seit drei Jahren eine weitere Gemeinde mit 1.200 Mitgliedern in Kiew. Er bewies sein politisches Können als er in der Phase erhöhter Spannungen zwischen Moskau und Kiew vor dem Wahlsieg von Wiktor Janukowitsch allen politischen Landminen auswich. Renner hat den Nigerianer Sunday Adelaja, Leiter der Kiewer „Botschaft (Embassy) Gottes“, scharf kritisiert. Diese Kirche gilt als die größte Ortsgemeinde Europas und soll einst bis zu 25.000 Besucher gehabt haben. Ende 2008 wurde Adelaja massive finanzielle Vergehen vorgeworfen; er hat auch u.a. behauptet, ein Vater der Orangen Revolution zu sein.

 

Kritische Anfragen

Nach den Handzeichen im Gottesdienst vor einigen Tagen sind weniger als 10% der Mitglieder von “Good News” seit mehr als 10 Jahren gläubig. Das scheint darauf hinzuweisen, daß ein Großteil der Mitglieder nicht aus einem christlichen Zuhause stammt. Der Mangel an Menschen mit einem längerfristigen Glauben läßt sich auch darauf zurückzuführen, daß es ein bei der Good News bekehrter Mensch nicht 10 Jahre lange dort aushält. Charismatiker sind für ihr ständiges Kommen-und-Gehen, ihr „Drehkreuz-Christentum“, bekannt. Wahrscheinlich sollten sich Baptisten und Orthodoxe nicht allzu laut wegen Proselytismus beschweren: Viele, die in charismatischen Kreisen zum Glauben kommen, werden ohnehin zum Schluß bei den Orthodoxen oder Baptisten landen.

 

Auszüge sind wohl u.a. darauf zurückzuführen, daß Charismatiker ihren Anhängern ein fertiges, feingeschliffenes Produkt liefern. Fragen der Führung und des Gemeindeinhaltes sind bereits entschieden. Am Sonntagvormittag bleibt der „Masse“ nur noch übrig, für das Dargebotene zu spenden. Leider kommt noch hinzu, daß viele der von den Führungspersonen gelieferten Verheißungen nicht in Erfüllung gehen. Die menschliche Nähe scheint unterentwickelt. Ein US-Autor schreibt, ihre Führer seien „total auf den Erfolg statt auf Nähe zu den Schafen getrimmt“. Die meisten, die die Gottesdienste von Good News aufsuchen, scheinen einander nicht zu kennen.

 

In Moskau ist es immer eng; und die Good News Gemeinde verkündet seit Jahren den Bau ihres neuen Gotteshauses. Renner hat es in seinen Predigten mit dem Tempel des Salomo verglichen. Offensichtlich ist dieses höchst kostspielige und politisch sensible Unterfangen   auf Gegenwind gestoßen. Seit fünf Monaten versammelt sich die gesamte Gemeinde in einer kleinen Kongreßhalle am östlichen Stadtrand. Ihre bescheidene Größe hat dazu geführt, daß die Zahl der sonntäglichen Gottesdienste von zwei auf vier erhöht werden mußte. Renner gesteht, daß die Fertigstellung des Neubaus noch mehrere Jahre beanspruchen wird.

 

Rick Renner und seine Frau Denise – sie werden beide als die “leitenden Pastoren” der Gemeinde dargestellt – nehmen von interkonfessionellen Kontakten Abstand. Vor wenigen Jahren blieben die Bitten eines lutherischen Bischofs nach einem Besuch zum Kennenlernen unbeantwortet. Wegen der mangelnden Korrektur aus anderen kirchlichen Ecken neigen Charismatiker zur „theologischen Kreativität“ und Häresie. Renner nennt sich „Apostel“ – wohl sehr viel mehr als das bescheidene Amt eines Bischofs. Gerade dieses Amt wird von manchen charismatischen Gemeinden – etwa der Moskauer „Evangelischen Kirche Tuschino“ – zurückgewiesen.

 

Überlegungswürdige Charakteristika

Ende August in der Baptistengemeinde einer mittelgroßen Stadt westlich von Moskau bekannte ein Pastor in seiner Predigt, weder Computer noch eMail zu besitzen. Er versicherte auch, aufgrund der Gefahr weltlicher Einflußnahme diesen Zustand nicht aufheben zu wollen. Renners Predigt am 5. September begann mit einer Begrüßung der Fernsehen- und Internet-Zuschauer. Die Rick Renner Ministries verstehen die Macht der Medien. Das Aussehen ihrer Webseiten ist in höchstem Maße professionell; die bestens abgestimmten Gottesdienste und Predigten sind allesamt sendereif. Hier gibt es keinen Platz für die Gebete weinender Großmütter und das Aufsagen hausbackener Gedichte – zwei Säulen der baptistischen Tradition in Rußland. In der Good News Gemeinde kann der Normalbürger höchstens mit der Gestaltung der Hausgruppe oder hinter den Kulissen beim Gottesdienst mithelfen. Doch im Gegenzug bekommt er einen von Spezialisten produzierten Gottesdienst, bei dem sich das Zuhören lohnt.

 

Ein Besuch ist denen nicht zu empfehlen, die Wert auf ihre Anonymität legen. Papier und Kugelschreiber sind im Umlauf und es wird keine Stunde vergehen, bis die Gemeinde ihres Namens und ihrer Anschrift habhaft ist. Email und Handys sorgen für die Verbindung zwischen Mitgliedern und Hauskreisen in dieser hoffnungslos überfüllten Stadt.

 

Ob mir die traditionell baptistische oder die charismatische Gottesdienstform besser gefällt, kann ich nicht eindeutig beantworten. Beide Optionen verfügen über wesentliche Stärken und Schwächen.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 15. September 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Eine Veröffentlichung der Russischen Evangelischen Allianz. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der Allianz-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 10-25, 1.593 Wörter oder 11.658 Anschläge mit Leerzeichen.