Baptisten sind ein Teil Rußlands und der Ukraine
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In Odessa erzählte Patriarch Kirill von den Baptisten
M o s k a u – In seiner Rede bei den Feierlichkeiten im Opernhaus Odessa am 22. Juli widmete Kirill I. (Gundjajew), der „Patriarch von Moskau und ganz Rußland“ (oder Rus), dem baptistischen Glauben einen ganzen Absatz. Baptisten waren der einzige, nichtorthodoxe Glaube, der in dieser Rede erwähnt wurde. Diese Zeremonie im weltberühmtem Opernhaus zu Odessa hätte dem Moskauer Patriarchat eine hervorragende Chance geboten, nur sich selbst zu erwähnen und zu feiern.
Der Patriarch unterstrich den slawischen Charakter der baptistischen Bewegung Rußlands und der Ukraine und distanzierte sich somit von der herkömmlichen, jahrhundertealten Unterstellung, Baptisten seien eine versteckte, fünfte Kolonne des Westens. Kirill berichtete davon, wie er einmal während eines ausführlichen Gesprächs mit Baptisten mit der Feststellung reagiert hatte: „Hören Sie zu, Brüder: Sie sind äußerst orthodoxe Baptisten! In allem, was Sie sagen, unterscheiden Sie sich nicht von uns Orthodoxen.“ Darauf erwiderte ein Baptist: „Wie könnte das auch anders sein? Wir leben doch alle in einem orthodoxen Land.“ Da resümierte der Patriarch: „So steht die Sache auch wirklich. Die Baptisten bleiben Baptisten mit ihren besonderen Lehren und ihrer protestantischen Theologie. Aber sie können sich nicht vom allgemeinen Strom der Geschichte absetzen. Vieles, was uns Orthodoxen von der protestantischen Welt trennt, trennt auch Baptisten, die in einem orthodoxen Kontext leben, von der protestantischen Welt.“
In seiner Rede erwähnte der Patriarch zwei Hauptgefahren, die dem Gedeihen internationaler Verständigung im Wege stünden: der Nationalismus und der multikulturelle Ansatz. Die Orthodoxie vertritt die Auffassung, der „Multi-Kulti“-Ansatz stelle das Christentum auf die gleiche Ebene mit allen anderen Religionen. Als Belege dafür erwähnte Kirill das gelegentliche Verbieten von Kreuzen oder Weihnachtsbäumen. Daraus folgerte er: „Der Schaffung einer multinationalen, multireligiösen Gesellschaft, aus der die religiösen Komponenten entfernt worden sind, wird eine atheistische, glaubenslose Gesellschaft ergeben, die bestenfalls bereit ist, die Religion unter einer nichtaufgeklärten Minderheit ihrer Bürger zu tolerieren. Das alles hatten wir schon einmal.“ Er bezeichnete Bemühungen, Menschen zu „internationalisieren“ oder zu gettoisieren als gleichermaßen schädlich.
Die programmatische Rede Kirills in Odessa war dennoch von Vorsicht und Mäßigung gekennzeichnet. Er sagte z.B.: „Wenn Sie aus dem Munde eines Geistlichen von der Erfordernis hören, zu kämpfen oder Mauern zu errichten, dann macht das deutlich, daß die Person, der sie zuhören, kein wirklicher Geistlicher sei. Ein Geistlicher kann nur Folgendes verkünden: „Frieden euch allen. Möge der Friede Gottes unter euch sein. Lernen Sie, miteinander auszukommen.“ Die Kirche dürfe niemals zulassen, daß sie zu einem ideologischen Anhängsel wird; sie dürfe niemals zu „Haß, Zorn und Aggression“ anstiften.
Im wesentlichen setzt sich das Moskauer Patriarchat dafür ein, einen osteuropäischen, christlichen Konsens rechts vom ethischen Konsens Westeuropas zu formieren. In Erwiderung auf diese Rede meinte Witali Wlasenko, Abteilungsleiter für kirchliche Außenbeziehungen bei der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ (RUECB): „Wir vertreten ähnliche Standpunkte bezüglich nichttraditioneller sexueller Orientierungen und der Abtreibung. Wir haben hohen Respekt für das Wirken unserer Frauen in den Gemeinden; aber wir unterstützen zugleich die orthodoxe Position hinsichtlich der Rolle von Frauen in kirchenleitenden Ämtern. Wir teilen den orthodoxen Aufruf zur Achtung der höchsten moralischen und ethischen Werte in der Gesellschaft. Schließlich sind diese Ansichten nicht ausschließlich orthodox – sie sind vor allem biblisch. Sie spiegeln Grundwerte wider, die alle Christen vereinen sollten.“
Der Abteilungsleiter wies darauf hin, daß russische Baptisten ebenfalls die Russische Synodalbibel, die 1876 von der Orthodoxie publiziert worden ist, benutzen: „Wir alle beten, predigen und loben in dieser Übersetzung.“ Dies sei ein Beleg dafür, „wie die Orthodoxie die Entwicklung der evangelischen Bewegung Rußlands geprägt hat“. Aufgrund Dutzender Unterredungen vor seiner Wahl zum Patriarchen Anfang 2009 kennt Wlasenko Kirill gut. Wlasenko erklärte: „In Odessa bekundete der Patriarch seine Wertschätzung nicht nur für unsere baptistische Position. Was für uns zutrifft, trifft auch für andere Evangelische in Rußland zu. Wir Baptisten wollen nicht, daß wir von anderen Evangelischen aussortiert und hervorgehoben werden.“
Pastor Wlasenko, der gerade von einer Konferenz des Baptistischen Weltbundes in Hawaii zurückgekehrt ist, beeilte sich hinzuzufügen, daß eine Ergebenheit gegenüber der russischen Nation keineswegs als eine Absage an den restlichen 100 Millionen Baptisten der Welt ausgelegt werden dürfe. In Rußland werde das Missionieren sowie die Achtung der Menschenrechte und der Glaubensfreiheit aller baptistische Grundwerte bleiben. Er bat die Weltgemeinschaft darum, die Tatsache nicht zu vergessen, daß die Baptisten der ehemaligen Sowjetunion über eine einzigartige Vergangenheit verfügten. Slawische Baptisten seien für ein Jahrhundert verfolgt worden während die Baptisten des Westens zu immer größerer gesellschaftlicher Anerkennung und zu Ansehen erlangten.
Ein weiterer Bestimmungsfaktor bestünde darin, daß ein Ignorieren des Mehrheitsglaubens in einer Gesellschaft, die über eine mächtige, historische christliche Kirche verfügt, nicht in Frage komme. Orthodoxe aus dem Wege zu gehen bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie evangelisch werden, sei illusionär. Wlasenko schloß: „Das Gedeihen in der Gegenwart setzt voraus, daß wir ein gutes Einvernehmen mit der gesellschaftlichen Mehrheit erzielen.“
Weniger als 1% der 146 Millionen Bürger Rußlands sind Protestanten.
Dr.phil. William Yoder
Moskau, den 15. August 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen
Allianz
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