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Moskauer „Russisch-Amerikanisches Institut“ eingeweiht

“Liebe Brüder und Schwestern”

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Die Einweihung des Moskauer Neubaus des Russisch-Amerikanischen Instituts steigert Hoffnungen auf zwischenkirchliche Verständigung

 

Kommentar

 

M o s k a u – Nach neun stressigen Jahren konnte am 27. Mai endlich der Neubau des Moskauer „Russisch-Amerikanischen Instituts“ (RAI) eingeweiht werden. Das futuristisch anmutende, vierstöckige Kunstwerk aus Glas und Licht an der Ulitza Menzhinskogo 40 im Norden der Stadt verfügt sogar über einen attraktiven Standort. Es befindet sich am Rande eines Parks nahe der U-Bahn-Station „Babuschinskaja“. Der Moskauer Nachrichtendienst „Protestant“ nennt es den prächtigsten und repräsentativsten Bau im gesamten russischen Protestantismus. In einer kurzen Ansprache bei der Einweihung verglich Wladimir Platonow, der Vorsitzender des Moskauer Stadtrats und ein langjähriger Verfechter des RAI, den Bau mit der viel größeren, neu entstandenen Kathedrale „Christus-der-Erlöser“. Die Kathedrale in Stadtmitte hat sich zum Aushängeschild und Hauptanziehungspunkt der russischen Orthodoxie entwickelt. Das neue RAI-Zentrum gehört übrigens zu den wenigen Bauten in der russischen Hauptstadt, die vollkommen behindertengerecht ausgestattet sind.

 

Der Präsident des RAI, der in Wheaton/Maryland und Moskau wohnende Dr. John Bernbaum, betonte bei der Einweihung, daß Gott allein der wahre Held beim Bau des Zentrums sei. Wenn das stimmt, dann folgt Bernbaum dicht hinterher an zweiter Stelle. Es wäre wohl keine Übertreibung zu behaupten, die um Bernbaum versammelte Mannschaft sei ein dauerhafter Beleg für die Zähigkeit und das Ausdauervermögen des menschlichen Geistes. In einer häufig korrupten Stadt mit manchen der höchsten Immobilienpreisen der Welt, mit einem schleppenden Projekt, das in den Himmel steigende Kosten verursachte, ist es dem Präsidenten gelungen, in einem immer weniger an Rußland interessierte Amerika genügend Geldmittel für die Fertigstellung locker zu bekommen. Und alles ohne staatliche Förderung. Doch der genaue Umfang dieses Wunders wird vielleicht niemals öffentlich bekannt - Bernbaum gibt die genauen Kosten nicht preis. Ein Gelände außerhalb Moskaus – siehe z.B. den beeindruckenden Campus der Siebententag-Adventisten in Saokski südöstlich der Stadt – hätte geringere (auch politische) Kosten verursacht.

 

Dr. David Broersma, Vorsitzender des Professorenrats und langjähriger Mitarbeiter des RAI, sagte bei der Abschlußfeier am 28. Mai: „Mich hatte schon die schiere Aussichtslosigkeit des Projektes angelockt. Uns war von Anfang an klar, daß allein das Angreifen Gottes uns den Erfolg bescheren würde. Wenn ich auf die vergangenen 14 Jahre zurückblicke, erkenne ich, daß das Vision noch unmöglicher war, als ich mir jemals vorgestellt hatte. Sie hat uns mehr Ausdauer abverlangt, als wir jemals glaubten, zur Verfügung zu haben. Es gab Probleme mit wahnsinnigen Unmengen an Bürokratie, mit Protestierenden und finanziellen Engpässen, die uns nahezu den Garaus machten. Gott hat zu unserem Wohle Wunder vollbracht.“ Die Idee einer geisteswissenschaftlich ausgerichteten, christlichen Hochschule am Standort Moskau erblickte das Licht der Welt 1990 als anerkannte russische Hochschullehrer christlichen Hochschulen in Nordamerika einen Besuch abstatteten.

 

Die neueste Geschichte

Im Dezember 2008 – damals war die Einrichtung noch im Westen als „Russisch-Amerikanische Christliche Universität „ bekannt - fand der gesamte Vorlesungsbetrieb ein jähes Ende als dessen fünfjährige Zulassung ablief. Damals versammelte sich das Institut an seinem vierten Moskauer Ort seit 1995 – in einer charismatischen Kirche in Tuschino (Nordwest-Moskau). Eine neue Lizenz zur Durchführung von Veranstaltungen wurde im Dezember 2009 gewährt; dies gestattete es der Einrichtung, im Januar den Lehrbetrieb wieder aufzunehmen. Doch im Januar wurde klar, daß nur ein Bruchteil der Studenten und Teilzeit-Dozenten noch an Bord waren. Die Studentenzahl hatte sich von 160 auf 60 reduziert.

 

Der volle Vorlesungsbetrieb soll im September wieder aufgenommen werden. Sobald das Ziel von 400 Studierenden erreicht ist, wird das Institut seine dritte Etage wieder einnehmen müssen. Sobald der Bau fertiggestellt worden war, wurden die beiden, oberen Etagen fremdvermietet. RAI verfügt über keine Studentenwohnheime, doch die Institutsleitung ist weiterhin behilflich beim Versuch, Studenten eine bezahlbare Behausung zu finden. Eine ähnliche Einrichtung, die „LCC International University“ in Klaipeda/Memel, hat 650 Studenten. Sie verfügt jedoch über weitaus günstigere politische Bedingungen jenseits des neuen, europäischen Ost-West-Gefälles.

 

Wann die belegten Kurse erneut staatlich anerkannt werden, wie es von 2003 bis 2008 der Fall war, steht weiterhin in den Sternen. Dozenten weisen darauf hin, daß sich Kurse auch rückwirkend anerkennen lassen. Würde die Anerkennung etwa im März 2011 eintreffen, könnte sie rückwirkend auf Kurse angewandt werden, die schon im September 2010 anfingen. Sieben Partnerhochschulen in den USA – zu ihnen zählt das renommierte Wheaton College – erkennen weiterin die Kurse und Abschlüsse des RAI an. RAI verfügt über die Hauptfächer Betriebswirtschaft und Ökonomie, Sozialarbeit und Philologie. Obwohl es das Wort „christlich“ aus seinem Namen entfernt hat, werden weiterhin nur Studenten, die sich als gläubig im christlichen Sinne bezeichnen, zum Studium zugelassen.

 

Die Vollendung des Bauvorhabens ist nicht der einzige Grund für vorsichtigen Optimismus hinsichtlich der Zukunft des RAI. Einige Wissenschaftler und Kommunalpolitiker, Platonow z.B., haben ihren Ruf für das Weiterleben des RAI aufs Spiel gesetzt. Bei der Einweihung wurde ein Grußwort vom jungen und dynamischen Metropoliten Hilarion (Alfejew), seit Anfang 2009 Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Orthodoxen Kirche, verlesen. Das Wort begann mit der Begrüßung, die Hilarion unter den Protestanten Rußlands beliebt gemacht hat: „Liebe Brüder und Schwestern“. Sein Vorgänger in diesem Amt, der heutige Patriarch Kirill, war vom RAI weniger angetan. Bernbaum gab bekannt, daß dank einer Einladung Hilarions, US-Wissenschaftler zu Vorlesungen vor der ersten Garnitur orthodoxer Theologiestudenten eingeladen werden sollen. Gleichzeitig werden sie auch vor RAI-Studenten auftreten können. Die RAI-Leitung bemüht sich, seinen Opponenten in der unmittelbaren Nachbarschaft die Hand der Freundschaft zu reichen. Ein Spielplatz ist eingerichtet worden; die noch unfertige Sporthalle im Neubau soll auch den Nachbarn zur Verfügung stehen.

 

In ihrer Ansprache bei der Einweihung gab Irina Raber, Vorstandsvorsteherin im nordöstlichen Gebiet der Stadt Moskau, bekannt, daß sie nur fünf Minuten zu Fuß vom RAI wohne. Sie versicherte: „Falls Probleme aufkommen, können Sie sich darauf verlassen, daß ich eingreifen werde.“ Noch viel näher, etwa 40 Meter vom Neubau entfernt, steht ein kleines, 2007 errichtetes Denkmal mit orthodoxem Kreuz und einer Ikone des Heiligen Georg, des Schutzherrn Rußlands. Die Inschrift versichert, das Denkmal sei „dem Schutz vor den Feinden der russischen Erde“ gewidmet. Doch bei der Einweihung überreichte Wladimir Platonow dem Präsidenten Bernbaum genau die gleiche Ikone. Rund 15 Protestdemonstrationen haben sich in den Jahren seit Aufnahme der Bauarbeiten 2006 vor der Baustelle ereignet.

 

Anhaltende Schwächen

RAI möchte den Gläubigen aller drei großen christlichen Traditionen zur Verfügung stehen. Das macht es zur Fremdkörper und erklärt seine mäßíge Unterstützung innerhalb aller drei Traditionen. Unter den Einwohnern Moskaus muß ein Gefühl für die Inbesitznahme der Einrichtung noch wachsen. Die bei den Feierlichkeiten am meisten präsente Kirche war die „Vereinigte Russische Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSKhWE), der protestantische Dachverband, der in orthodoxen Kreisen am wenigsten gelitten wird. Seine Vertreter traten bei beiden Veranstaltungen auf; ein Vize-Präsident der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ sprach ein Grußwort bei der Abschlußfeier.

 

Rußland hat auch andere kirchliche Zusammenschlüsse, die auf alle drei kirchlichen Flügel zielen. Zu ihnen zählen die „Russische Bibelgesellschaft“ und das „Christliche Interkonfessionelle Beratungskomitee“ (CIAC). Der Unterschied besteht darin, daß im CIAC die Russische Orthodoxe Kirche die „erste unter Gleichen“ ist. Im RAI haben nordamerikanische Protestanten diese Funktion inne. Vier der 16 Mitglieder des RAI-Vorstands sind Russen; nur eins von ihnen, die Moskauer Anwältin Katja Smyslowa, ist orthodoxen Glaubens. Doch nimmt das RAI Abstand vom Proselytismus und unterstützt die Auffassung, daß Gläubige innerhalb der eigenen angestammten Tradition im Glauben wachsen sollten. Bernbaum sagte: „Zu unseren Zielen zählen die Glaubensfreiheit und die gegenseitige Achtung vor der religiösen Tradition des anderen.“

 

Das RAI ist am oberen Ende öffentlichen Lebens angebunden – zur geschäftlichen und politischen Elite. Im Vergleich hierzu verfügt eine Einrichtung wie die „Sankt Petersburger Christliche Universität“ über weniger Spitzenbeziehungen und erheblich weniger Kapital. Die beiden Hochschulen bewegen sich in verschiedenartigen Kreisen; St. Petersburg genießt eine stärkere Unterstutzung unter protestantischen Kreisen am Ort. Vielleicht ist St. Petersburg deshalb bei der Abwehr politisch-bedingter Stürme besser ausgestattet.

 

RAI ist unter den 70 Hochschulen aus 24 Ländern, die dem im Washington/DC-ansässigen, protestantischen „Rat für christliche College(s) und Hochschulen“ (CCCU) angehören. Das Gleiche gilt für das semester-lange Programm für nordamerikanische Studenten an der Staatlichen Technischen Universität von Nizhni Nowgorod. Wegen abnehmender Nachfrage soll dieses Programm Ende 2010 eingestellt werden; es ist seit seiner Gründung 1994 von dem Mennoniten Harley Wagler geleitet worden. Doch John Bernbaum, ein Vertreter des reformierten Glaubens, will nordamerikanische Studenten nach RAI einladen, damit sie befristet gemeinsam mit russischen Studenten ihrem Studium nachgehen können. Damit sollen mehrere Löcher gestopft werden, die durch die Schließung des Programms in Nischni entstanden sind.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 3. Juni 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

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