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Orthodoxe und Protestanten

Unser Verhalten muß Christus widerspiegeln

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7. Jahreskonferenz der Russischen Evangelischen Allianz in Moskau

 

M o s k a u -- „Unsere Worte, unser Verhalten und Charakter müssen Christus widerspiegeln. So wird es möglich sein, im Dialog mit Orthodoxen Erfolge zu erzielen.“ Das war die Meinung des adventistischen Theologieprofessors Jewgeni Saizew (Saokski/Gebiet Tula), geäußert auf der 7. Jahreskonferenz der Russischen Evangelischen Allianz (REA) in der Moskauer Pfingstgemeinde "Blagije Westi" (Gute Nachricht) am 3. März. Als Beispiel dafür bezog er sich auf einen Vorfall im Gebiet Tula vor einem Jahr. Nachdem die Missionsabteilung der orthodoxen Gebietseparchie einen verleumderischen, unsachlichen Aufsatz in die Presse gebracht hatte, stattete eine dreiköpfige, adventistische Delegation dem zuständigen Erzbischof einen Besuch ab. Nach einer eiligen Lektüre des Beitrages entschuldigte sich der Kirchenmann. Danach sorgte er ferner für eine Richtigstellung in der Regionalpresse. Der Professor resümierte: „Das zeigt, daß wir mit einer positiven Antwort rechnen können, wenn wir christlich auftreten. Hätten wir es über ein Gericht versucht, wären wir in einer Sackgasse gelandet.“ Eine aggressive Reaktion auf aggressives Verhalten erzeuge nur Gegenwehr.

 

Bei der eintägigen Konferenz wurden die Schwierigkeiten im zwischenkirchlichen Verhältnis nicht verschwiegen. Es hieß, den meisten orthodoxen Amtsträgern im weiten Lande ist die Notwendigkeit eines klärenden Gesprächs der Großen mit den Kleinen nicht ersichtlich. Nach dem Adventisten Vizepräsidenten Oleg Gontscharow (Klimowsk) seien es Kommunalpolitiker und die Medien, die Öl ins Feuer gießen. Auf Ortsebene seien es Priester und die missionarischen Sektionen der Eparchien, die dafür sorgen, daß abfällige Aufsätze über Andersgläubige in die Medien gelangen.

 

In einem Vortrag beschrieb der pensionierte Religionswissenschaftler Professor Juri Sujew die erheblichen weltanschaulichen Unterschiede zwischen der Orthodoxie und den protestantischen Kirchen westlichen Ursprungs. In Rußland stehe eine patriarchalische, vertikal ausgerichtete, auf das Solidarische und Kollektive zielende Kultur dem westlichen Verständnis von Demokratie und freier Selbstentfaltung gegenüber. „Nach dem orthodoxen Verständnis ist jegliche Aufteilung und jeglicher Unterschied in der Gesellschaft eine Krankheit. Deren Heilung kann nur in der Überwindung von Widersprüchen und der Wiederherstellung von Eintracht bestehen.“ Gerade diese gesellschaftlichen Widersprüche – d.h. die Krankheit - werden durch die Präsenz von Missionaren westlicher Herkunft verewigt. Sujew drückte es so aus: „Der Wunsch nach einer festen Hand, nach Schutz und nach traditionellen Werten unterstützt den Dialog mit den Protestanten nicht.“

 

Nicht zuletzt ließen sich die nichttraditionellen Religionen neuesten Datums als das lästige Überbleibsel einer traumatischen Ära – des mißlungenen Experiments einer Gesellschaft westlichen Zuschnitts in den 90er Jahren – interpretieren. Ferner sei eine Verständigung mit protestantischen Missionaren sei um so schwieriger, weil sich ihre Tätigkeit auf keine nationalen oder ethnischen Grenzen beschränken läßt.

 

Mehrere Redner wiesen darauf hin, daß die orthodoxe Kirchenführung durchaus an einer beschränkten Kooperation mit Protestanten interessiert sei. Sujew zitierte den verstorbenen Patriarchen Alexei II: „Kontakte mit Andersgläubigen sind nicht nur ihnen von Bedeutung, sondern auch uns. Es ist nicht möglich, in der völligen Isolation zu leben.“ Der Professor fuhr mit einem Text des Erzbischöflichen Rates aus dem Jahre 2000 fort, in dem es hieß, die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) habe die Verbindung mit andersgläubigen Christen „im Geiste brüderlicher Zusammenarbeit zu entwickeln mit dem Ziel, die Belange öffentlichen Lebens zu koordinieren.“ Diakonie, Kultur und der Einsatz für moralische Werte seien Gebiete, auf denen eine Kooperation sogar wünschenswert sei. Der Text des Rates schloß jedoch mit dem Hinweis, dies geschehe „unter der Bedingung einer Absage an dem Proselytismus.“ Offensichtlich können orthodoxe Kreise einen Beitrag der Protestanten nur als Ergänzung akzeptieren - der Proselytismus sei hingegen eine Art Vernichtung, denn er ersetze das Orthodoxe mit Protestantischem.

 

Beide großen Kirchenströmungen tragen positive Inhalte in sich, meinte Sujew. Deshalb könnten sie sich auch nutzbringend ergänzen. In einem früheren Angriff Juri Sipkos auf die Globalisierung – Sipko nannte sie einen Vorläufer des Antichristen – erkannte der Professor weite Überschneidungen mit orthodoxen Positionen. Sipko ist Präsident der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sujew fügte jedoch hinzu, daß die Geistlichkeit der mittleren und unteren Ebenen dem Gespräch mit Protestanten ausweiche und die Führung es nicht riskieren wolle, schon deswegen einen Streit mit ihnen auszulösen. Auch die Leitung der ROK könne nicht hinnehmen, daß ein Dialog mit den Nichtorthodoxen zu einem Machtverlust des eigenen Lagers führe.

 

Der Adventist Saizew erwähnte die massiven Widersprüche, die die russische Gesellschaft aufweist. Trotz massiver Anstrengungen gegen die Abtreibung sei Rußland wohl das einzige Land der Erde, im dem die Zahl der Abtreibungen die Zahl der Geburten übersteigt. Nach seinen Angaben glauben nur 8,5% der sich als orthodox verstehenden Menschen Rußlands an ein Leben nach dem Tod. Gerade diese Mißstände würden sich – so Saizew - durch eine Zusammenarbeit der verschiedensten Konfessionen abbauen lassen.

 

Nach Überzeugung der Anwesenden sei die vorhandene Intoleranz nur mit Aufklärung zu begegnen. Professor Saizew zitierte dabei den russischen Schriftsteller Nikolai Leskow (1831-1895): „Das heilige Rußland (Rus) ist zwar getauft, aber nicht aufgeklärt.“ REA-Vorsitzender Wladimir Rjagusow (Kransnodar) versicherte, im gemeinsamen Streben mit orthodoxen Kräften könnten Protestanten dem Unwissen der russischen Bevölkerung entgegenwirken. Die auf der Konferenz vertretene Russische Bibelgesellschaft wurde als ein Beispiel dafür genannt, daß ein gemeinsames Aufklären des russischen Volkes durch Protestanten und Orthodoxe anhand der Bibel bereits teilweise erzielt worden sei.

 

Mitunter wurde die Veranstaltung ganz praktisch. Dr. Rjagusow plädierte dafür, mit verstärkter Fantasie auf die orthodoxe Herausforderung zu reagieren. Ein orthodoxer Teilnehmer pfingstlerischen Ursprungs versicherte, gemeinsam durchgeführte Jugendkonzerte könnten ein Hit sein. “Doch wo gibt es protestantische Musiker mit tiefergehenden Texten?” fragte er. Nach seiner Überzeugung sei die flache Kost der gegenwärtigen Lob-Preis-Musik den Ansprüchen einer orthodoxen Hörerschaft nicht gewachsen.

 

Trotz der Teilnahme mehrerer orthodoxer Christen war keine offiziellen Delegierten des Moskauer Patriarchats zu dieser Konferenz erschienen. Doch in einer abschließenden Resolution der Konferenz heißt es resolut: „Wir hoffen auf deren Teilnahme bei künftigen Konferenzen.“ Rund 32 Vertreter von Organisationen und Kirchen waren zu der diesjährigen Moskauer Konferenz erschienen.

 

Anschließend fand am 5. und 6. März in Nizhni Nowgorod eine Regionalkonferenz statt – die Teilnahme gipfelte bei rund 45 Personen. Das Thema hieß „Das Vater Unser“; es wurde viel gemeinsam gebetet. „Der Allianz-Gedanke lebt in Nizhni,“ meinte Ulrich Materne (Wittenberge), der Osteuropa-Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz. „Auch wenn sie nicht immer unter dem Namen ‚Allianz’ geschieht.“ Tatsächlich lebt die Allianz in Rußland oftmals stärker in den Regionen als an der Moskauer Spitze.

 

Die nationalen Allianzen der 1846 in London gegründeten Evangelische Allianz sammeln sich heute in der Europäischen Evangelischen Allianz und in der Evangelischen Weltallianz. Ihr Partner in den USA ist die National Association of Evangelicals (NAE).

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 9. März 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Meldung Nr. 10-05, 1.023 Wörter oder 7.693 Anschläge mit Leerzeichen.

Alle Personen ohne Ortsangabe sind im Moskauer Raum wohnhaft.