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Ein Quäker in Moskau

Sich dem anschließen, was Jesus in Rußland tut

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Über die Arbeit der Quäker in Moskau

 

Reportage

 

M o s k a u – Dank der Bemühungen der Gesellschaft der Freunde – besser bekannt als “Quäker”, bleibt Rußland die Präsenz der Friedenskirchen erhalten. Mit der Schließung des Moskauer Büros des nordamerikanischen Hilfswerkes „Mennonite Central Committee“ im Jahre 2000 kam der Verdacht auf, das Zeugnis der „historischen Friedenskirchen“ (Quäker, Mennoniten, Kirche der Brüder) sei zu Ende gegangen. Jene Arbeit war Mitte der 50er Jahre wieder aufgenommen worden, nachdem Delegationen dieser Kirchen die Sowjetunion in regelmäßigen Abständen wieder besuchen durften. (Kleine Mennonitengemeinden, die von der Einwanderung ins russische Reich nach 1780 stammen, gibt es weiterhin in Westsibirien.)

 

Das 1994 geschaffene “Friends House Moscow”, das sich heute in der Schosse Entusiastow 31/38 befindet, ist als NGO diakonisch und humanitär engagiert. (Siehe “fhm.quaker.org”.) Außerdem bestehen zwei kleine Gruppen Moskauer Quäker. Interessierte Einzelne oder Gruppen existieren ebenfalls in Kasan, Lipezk, Elektrostal (bei Moskau) und Barnaul – ebenfalls im Baltikum, in Minsk, Tiflis und in der Ukraine. Doch übersteigt der Zahl der Quäker innerhalb der Grenzen Rußlands die Zahl 50 nicht; davon leben rund 20 im Moskauer Raum. Global gibt es nicht mehr als 400.000 von ihnen.

 

Quäker gehörten zu den ersten, die sich für die Menschenrechte und die Zivilgesellschaft einsetzten. In der jüngeren Vergangenheit waren sie an der Gründung von Amnesty International und Greenpeace beteiligt. Schon immer machten sie ihre geringe Zahl durch das Gespräch mit den Mächtigen wett. Russische Freunde weisen darauf hin, daß ihre Kirche auf eine lange Tradition in Rußland zurückblickt; im 19. Jahrhundert z.B. trat sie für die Abschaffung der Leibeigenschaft ein. Schon 1654 verfaßte der Gründer der Bewegung, der Engländer George Fox (1624-1691), einen Brief an den Tsaren Alexei Mikhailowitsch. Ihr Bekanntheitsgrad in Rußland war nicht zuletzt auf den Tsaren Alexander I. (1777-1825) zurückzuführen, der verschiedentlich als Pietisten bezeichnet wird. Bei einem Londoner Aufenthalt 1814 hatte er die Quäker kennen und lieben gelernt. Im 1823 erschienen Roman Alexander Puschkins, „Eugen Onegin”, werden sie namentlich erwähnt. Olga Tolstaja-Wojekowa (1858-1936), die Schwiegertochter Lew Tolstois, trat 1924 den Quäkern bei.

 

Seit den Tagen des George Fox bemüht sich der Quäkerismus um die Gleichstellung der Geschlechter. Im russischen Kontext wurde er deshalb von Teilen der Intelligenz als eine befreiende Alternative zur Orthodoxie geachtet. Freunde vertreten eine egalitäre und nicht-hierarchische Vorgehensweise; erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Institutionalisierung der Pastorenrolle zugelassen.

 

Quäker bemühten sich ebenfalls um die russische Landwirtschaft und Ökonomie. Zwischen 1818 und 1832 gelang der Quäker-Familie Wheeler die Trockenlegung großer Sumpfgebiete im Petersburger Raum. Ein kleiner Friedhof der Quäker in Schuschari erinnert an dieses Werk. Die Freunde konnten von 1923 bis 1931 ein Büro in der russischen Hauptstadt erhalten. Dabei handelte es sich um die wohl letzte NGO, die sich in Moskau während der stalinistischen Zeit behaupten konnte.

 

Obwohl sich Bemühung der Freunde um eine Reform der russischen Strafjustiz auf das Jahr 1819 zurückführen lassen; wird ihnen gegenwärtig – anders als in der Ukraine - der Zugang zu Strafanstalten verwehrt. Doch trotz der Tatsache, daß sie sich intensiv mit russischen Kriegsdienstverweigern befassen; wird ihnen die Arbeit mit bestimmten Armeeeinheiten in Moskau und Lipezk gewährt. Gemeinsam mit den beiden anderen historischen Friedenskirchen, bemühen sich die Quäker weltweit um die friedliche Konfliktlösung (conflict resolution). Sergei Gruschko, Direktor des „Moscow Friends House“ und Leiter dessen „Alternatives to Violence Project” (AVP), beschreibt dieses Projekt als sein vorrangiges praktisches Vorhaben. Das Projekt vermittelt Kommunizierungsfertigkeiten für den Alltag mit dem Ziel, den Gewaltpegel innerhalb des Militärs (sowie in Schulen und anderen sozialen Gruppierungen) zu senken. Das Friends House ist bemüht, ein AVP-Programm in Südossetien einzuführen; ein Anlauf ist in Grosny bereits vollzogen worden.

 

Weitere diakonische Programme umfassen ein Hospiz für Sterbende in Jaroslawl, Unterstützung für junge Erwachsene, die altersbedingt ihr Waisenhaus verlassen müssen, sowie für die Kinder von Immigranten. Ein Programm läuft ebenfalls, die bemüht ist, Pflegekinder und Pflegeeltern besser aufeinander abzustimmen, sowie ein Programm für krebskranke Kinder.

 

Geistliche Anliegen

Der geistliche Zweig der Arbeit der Quäker wurde 1991 mit Zusammenkünften in der Moskauer Wohnung der inzwischen verstorbenen Geschichtsprofessorin Tatiana Pawlowa wiederaufgenommen. Heute treffen sie sich an Sonntagabenden in einem Keller in Stadtmitte. Bei ihrem „Treffen zur Anbetung“, gibt es – abgesehen von einer Kerze – keine religiösen Gegenstände, keine Predigt und meistens auch keine Musik. An dem Abend, an dem ich zugegen war, begann die Begegnung mit fünf Personen. Sie endete eine Stunde später mit fast 15 Anwesenden. Die Stunde wurde mit Stillschweigen verbracht, abgesehen vom Vorlesen einiger Schriftstellen. Die zweite Gruppe, die sich zweiwöchentlich trifft, versteht sich als einen Diskussionskreis. .

 

Der Schwerpunkt liegt auf Dialog. Johan Maurer, ein US-Amerikaner aus Oregon, der in Elektrostal bei Moskau lebt und unterrichtet, beschreibt seine Vorgehensweise wie folgt: „Entdecken, was Jesus in Rußland tut, und sich dem anschließen“. Dabei soll auch sein Unterstützerkreis im Nordwesten der USA angesprochen werden. Den Nachbarn in Elektrostal ein Nachbar sein, ist ein weiterer Weg, in dem seine Frau Judy und er in Rußland Wurzeln schlagen wollen. Bezüglich seiner Arbeit als Sprachlehrer sagt er: „Wir wollen Wege finden, eine heilende Botschaft ins Klassenzimmer zu bringen. Dafür haben wir eine besondere Botschaft – doch dabei wollen wir keine Schafe stehlen“ (sich des Proselytismus bedienen).

 

Der Glaube der Quäker an das „innere Licht“, an „das von Gott“ in jedem Menschen, ist für den Dialog bestens geeignet. Er macht die Überzeugungen eines jeden überlegungswürdig. Doch die Auffassung, der Heilige Geist spreche jeden persönlich an, hat gelegentlich dazu geführt, daß sich Quäker über die Lehre des „sola scriptura“ hinausbewegten. Wenn Gott jeden anspricht, fällt es mir sehr schwer zu beweisen, daß Gott nur durch mich – und nicht etwa durch meinen Widersacher - spricht.. Darum ist die Lehre der Freunde bezüglich der gemeinsamen Wahrheitsfindung wesentlich.

 

Kann ein Quäker gleichzeitig auch Muslim sein – was im Falle ihres Partners in Grosny zutrifft? Im vergangenen Jahrhundert dehnte sich die Lehre der Quäker immer weiter aus. Maurer räumt ein, es sei nicht länger eindeutig klar, ob der Quäkerismus eine christliche Glaubensgemeinschaft, oder einen inter-religiösen Orden, der vom gemeinsamen Streben nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit getrieben ist, darstelle, Viele russische Quäker halten sich gleichzeitig für Christen orthodoxen Glaubens. Maurer, ein Pietist, versichert: „Ich bin der Überzeugung, jeder, der behauptet, der christliche Glaube gehöre nicht notwendigerweise zum Quäkerismus, liegt falsch. Doch fügt er hinzu: „Ich bin in Rußland für die Bewegung nur brauchbar, wenn ich nicht als Polizist auftrete. Ich bin dazu da, um Menschen für Christus zu gewinnen – ich kann nicht beides bewerkstelligen. Ich will in herzlicher Weise mit jedem zusammenarbeiten, der sich für einen Quäker hält. Aber ich bin einer Gemeinschaft in den USA verantwortlich, die sich an der Bibel orientiert.“ Maurer gehört der Gruppierung “Evangelical Friends Church International”(EFCI) an. Er träumt von Quäker-Gemeinden im Moskauer Raum – von mehr als nur ökumenischen Debattierklubs.

 

Maurer gibt zu, daß eine kaum strukturierte kirchliche Gemeinschaft ohne Sakramente (sie kennt weder Taufe, Abendmahl noch einen Kirchenkalender) ohne die Sinnlichkeit auskommen muß, die in der slawischen Gottesanbetung gang und gebe ist. Darin erkennt er eine mögliche Hemmnis bezüglich des Gedeihens der Bewegung der Freunde in Rußland. Das könnte aber positiv ausgelegt werden als eine Möglichkeit, die einfache, herkömmliche Anbetungsform der Quäker mit der Tiefe und Unvermittelbarkeit des russischen Glaubens zu verbinden. Die Schwäche der Bewegung der Freunde ist gleichzeitig auch ihre Stärke: Das Fehlen äußerer Formen öffnet sie gleichzeitig für den Dialog mit sehr verschiedenartigen Menschen.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 23. Februar 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Meldung Nr. 10-03, 1.189 Wörter oder 8.491 Anschläge mit Leerzeichen

 

Anmerkung vonSeptember 2020: Im Jahre 2017 sind Johan Maurer und seine Gattin, Judy, nach Portland/Oregon zurückgekehrt. Er bleibt weiterhin ein gelegentlicher Gast in Rußland. "Moscow Friend's House" ist weiterhin aktiv.