Die Konfessionen Rußlands sind einander näher
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Schlußfolgerungen nach einem Gottesdienst zur Gebetswoche für die Einheit der Christen
M o s k a u – Dank des Fehlens einer liberalen Option stehen sich die christlichen Konfessionen Rußlands näher als dies bei den christlichen Konfessionen des Westens der Fall sei. Das war eine These der Redner, die sich am 20. Januar zum diesjährigen Hauptgebetsgottesdienst der „Gebetswoche für die Einheit der Christen“ in der Moskauer „Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria“ versammelten. Dazu sagte Igor Kowalewski, der gastgebende Priester und Generalsekretär der Katholischen Bischofskonferenz Rußlands: „Meiner Auffassung nach sind sich die christlichen Kirchen Rußlands in den grundlegenden Fragen der Moral bereits einig. Es ist das Erscheinen der liberaleren Konfessionen im Westen, das die Trennungen vertieft.“
Vater Igor Wyzhanow, Sekretär in der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen beim Moskauer Patriarchat, sagte neue Trennungen voraus und führte dies auf den „radikalen Liberalismus“ mancher christlichen Denominationen des Westens zurück. Dabei nannte er die Fragen von Abtreibung, Euthanasie, Sexualität und Familie. Rußland bewahre das, was Europa bereits preisgegeben habe. Dimitri Lotow, Pfarrer der lutherischen „Sankt Peter und Paul Kathedrale“ in der russischen Hauptstadt, versicherte, daß die Christen Rußlands die Glaubensfestigkeit bezeugen, die „rasend schnell in Europa verlorengeht“.
Die Zusammenarbeit in moralischen Fragen wird als einen Hauptausdruck christlicher Einheit in Rußland verstanden. Vater Wyzhanow, der orthodoxe Vertreter an diesem Abend, rief Christen dazu auf, „mit einer Stimme zu Fragen der fundamentalen biblischen Prinzipen zu sprechen“. Im Laufe der Woche vom 18. bis 25. Januar wurde die interkonfessionelle Kooperation bei diakonischen und humanitären Projekten sowie bei Bildungs-, Kultur- und Medienfragen ebenfalls erwähnt. Ein erstmaliges, gemeinsames Kinderfest von baptistischen und orthodoxen Kindern, das am 10. Januar in Moskau stattgefunden hatte, hob Familienwerte hervor. Bei einem ökumenischen Runden Tisch am 21. Januar machte der orthodoxe Diakon Sergei Starokadomski darauf aufmerksam, daß der katholische und protestantische Erfahrungsvorsprung in Fragen der Diakonie seiner Kirche sehr zugute kommen könnte. Bezüglich des gegenwärtigen Stands in seiner Kirche sagte er: „Die orthodoxe Datei über den diakonischen Dienst ist noch nicht entarchiviert worden.“ Irina Mitrofanowa, Direktorin für die Sonntagsschularbeit bei der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ berichtete: „Gegenwärtig gibt es eine Masse von Möglichkeiten für die (interkonfessionelle) Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen.“
Überhaupt griff der Runde Tisch stark auf die jüngste Kirchengeschichte zurück. Ein orthodoxer Laie lobte die „bedeutende Hilfe“ katholischer und protestantischer Organisationen bei der Wiederbelebung der russischen Orthodoxie: „Orthodoxe werden diese Hilfeleistung nicht vergessen.“ Die orthodoxe Künstlerin und Dozentin Lilja Ratner berichtete nicht ohne Wehmut von einem gemeinsamen finnisch-protestantischen und russisch-orthodoxen Missionseinsatz an der Wolga im Jahre 1992. Damals fehlte jegliches „protestantische Proselytentum“, insistierte sie. „Wir brachten uns selber eben bei, wie man mit anderen über Christus spricht.“
Der Gebetsgottesdienst am 20. Januar schloß mit dem Gesang eines charismatischen Chores. Das war nicht zum ersten Mal in einer katholischen
Kathedrale passiert – doch rar bleibt ein derartiger Auftritt in Rußland allemal.
Unerledigte Fragen
Die Russische Orthodoxe Kirche hat inzwischen Abstand genommen von der Praxis des gemeinsamen Betens mit Menschen anderer Konfession. Igor Kowalewski spielte in seiner Predigt am 20. Januar darauf an mit dem Hinweis, die Gebete beim ökumenischen Gottesdienst seien zwar gleichzeitig, jedoch nicht gemeinsam. „Wir beteten für die Einheit, doch jeder tat es auf seine Weise.“
Es läßt sich dennoch konstatieren, daß sich die ökumenische Lage langsam verbessert. Der beunruhigende, gegen die Mission gerichtete Gesetzentwurf des Russischen Justizministeriums vom 12. Oktober 2009 tritt noch lange nicht in Kraft. Alexander Dworkin ist der umstrittene Mitarbeiter des Justizministeriums, Priester und Sektenkundler, der für die Verleumdung von religiösen Gemeinschaften, die nicht zum Moskauer Patriarchat der russischen Orthodoxie gehören, bekannt ist. Doch gegen Ende 2009 führte er freundliche und mutmachende Gespräche mit den Vertretern protestantischer Kirchen durch. Nach Auseinandersetzungen, die mehr als ein Jahrzehnt andauerten, ist eine Übereinkunft zwischen den orthodoxen und baptistischen Gemeinden von Lipetsk (südwestliches Rußland) erzielt worden. Als Ersatz für die Sanierungsarbeiten, die Baptisten an einem orthodoxen, wieder abzugebenden Kirchenbau ausgeführt hatten, werden sie an ehemaliges Heizwerk in zentraler Lage erhalten. Wegen vermeintlich illegaler Aktivitäten hatte im vergangenen September ein regionales Gericht eine schwere Rüge gegenüber der charismatischen „Kirche des Bundes“ in Nowosibirsk ausgesprochen. „Das Slawische Rechtszentrum“ in Moskau berichtet nun, daß am 20. Januar die Maßnahme vom Gericht zurückgenommen worden sei. Das Zentrum führt derartige Fehlsprüche auf “die Inkompetenz der Mitarbeiter von Justizeinrichtungen in religiösen Belangen” zurück.
Eine größere Versammlung des wiedererstandenen, orthodox-katholisch-protestantischen „Christlichen Interkonfessionellen Beratungskomitees“ soll am 4. Februar in Moskau stattfinden.
Dr.phil. William Yoder
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz
Moskau, den 23. Januar 2010
Meldung Nr. 10-01, 705 Wörter oder 5.459 Anschläge mit Leerzeichen
Alle genannten Personen wohnen im Großraum Moskau.