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Russen lieben weiterhin die traditionelle Kirchenmusik

Die klassische Musik hält durch

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Institut und Chor „Logos“ sind der Beweis

 

Reportage

 

M o s k a u – Im russischen Baptismus haben Anbetungsteams und der christliche Pop gemischten Chören und Streichensembles noch nicht den Garaus gemacht. Ewgeni Semjonowitsch Gontscharenko, der 59-jährige Gründer und Direktor des musikalischen Dienstes „Logos“, versichert: „Ich meine, Rußland werde einen anderen Weg einschlagen. Bei uns gibt es eine andere Kirchenkultur und der orthodoxe Einfluß ist beachtlich. Wir werden um den Erhalt unserer Kirchenlieder, Chöre und Orchester kämpfen.“ Charismatiker (nicht Pfingstler) sind auch in Rußland dafür bekannt, traditionelles, kirchliches Liedgut zu verpönen. Doch erzählt Gontscharenko gerne von einer charismatischen Gemeinde mit 1.000 Seelen in der Stadt Jaroslawl, die ein Mitglied nach Moskau zum Studium bei Logos entsandte. „Sie war damals der beste Student(in), und heute verfügt die Gemeinde über einen Chor!“

 

Am 21. November führten Logos und sein “Institut für sakrale Musik” zu ihrem 30-jährigen Bestehen eine Arbeitskonferenz an ihrem Stammplatz, der Moskauer „Zweiten Baptistengemeinde“, durch. Ehemalige Studenten und Dozenten erschienen aus fernen Winkeln der einstigen Sowjetunion, um vergangene Zeiten hochleben zu lassen und über die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen zu berichten. Der 23. Jahrgang bekam seine Abschlußdokumente ausgehändigt. In diesem Jahr führte Logos Konferenzen ebenso in Samara, Nizhni Nowgorod und St. Petersburg durch.

 

Neben seinem Studienangebot verfügt Logos über zwei Chöre – einer davon ist ein Jugendchor. Am 28. November (dem internationalen Muttertag) führte einer von ihnen in Kubinka westlich von Moskau ein Festkonzert mit 350 Teilnehmern durch. Das Ereignis wurde von der Kommune veranstaltet und nicht wenige Armeeoffiziere waren zugegen. Die Bedingungen und das Ergebnis waren für das heutige Rußland typisch. Der Direktor berichtet: „Die Stadtväter flehten uns an, das Wort ‚Baptist’ nicht vorkommen zu lassen. Also traten wir im Namen eines christlichen Kulturzentrums namens ‚Logos’ auf. Vom Konzert waren alle begeistert.“ Nachher entschuldigten sich die städtischen Gastgeber für ihre Scheu: „Wie konnten wir denn überhaupt Angst haben!“

 

Der Chor Logos ist schon häufig außerhalb der Grenzen Rußlands aufgetreten. Er trat bei den baptistischen Feierlichkeiten „Amsterdam 400“ im vergangenen August auf und hat bereits Holland, Deutschland, Schweden, Ungarn, Finnland und Estland mehrmals besucht. Dreimal machte er in Großbritannien Station. Doch die wohl unvergeßlichste Fahrt war eine euphorische Blitztour durch die USA 1990, die 43 Auftritte innerhalb von 28 Tagen beinhaltete.

 

Aber der Spaß ist mit Schweiß gekoppelt. Das Bildungsprogramm von Logos besteht aus einem Fernstudium, das mit drei zweiwöchigen Seminaren pro Jahr verbunden ist. Der Studiengang dauert vier Jahre und wird meistens mit dem Bachelor-Abschluß beendet. Eine ganze Palette von theoretischen Fächern wird angeboten sowie Musikkomposition, Chor- und Orchesterleitung, Soloauftreten, Klavierimprovisation und kirchliches Theater. Klassische Gitarre wurde kürzlich hinzugefügt; beim nächsten Seminargang im März soll Geigenunterricht hinzukommen.

 

Die Kerngruppe besteht aus sieben oder acht Honorarkräften, die zum Teil verdiente Professoren auf staatlichen Hochschulen sind. Doch auf Grund der bescheidenen Honorare kann die Arbeit bei Logos nur als Liebesdienst, der weit über eine Pflichtkür hinausreicht, bewertet werden. Das Institut hat guten Kontakt mit staatlichen Konservatorien und befindet sich gegenwärtig in einem langwierigen Prozeß zur Erlangung der staatlichen Akkreditierung. Viele Absolventen sind als Lehrer in staatlichen Schulen tätig – russische Baptisten verfügen über keine vollamtlichen Kantoren. Ein Abschluß bei Logos gilt als i-Tüpfelchen; bei Abgängern besteht er meistens zusätzlich zu den üblichen, national anerkannten Musikabschlüssen.

 

Studenten aus vielen Winkeln Rußlands und Zentralasiens besuchen das Moskauer Institut, doch Logos verfügt auch über Filialen in Prokhladny (Nordkaukasus), Krasnodar, Nowosibirsk und Almaty (Kasachstan). Die Filiale in Omsk wird von Gontscharenkos Sohn Timofei geleitet. Kleine Musikschulen, die von mennonitischen Aussiedlern im Raum Bielefeld eröffnet worden sind, könnten als inoffizielle Filialen gelten. In den ersten Jahren arbeitete Ewgeni Gontscharenko viel mit Mennoniten und Pfingstlern zusammen. Als Pastorensohn wuchs er in Frunse (heute Bischkek/Kirgistan) auf; er studierte in Almaty. An beiden Orten lebten damals Tausende von Mennoniten.

 

Allein in Moskau haben bereits rund 400 Studenten das Institut absolviert. Nimmt man die Filialen hinzu, erhöht sich die Zahl auf 500. Doch Logos befaßt sich nicht nur mit Musik. Kurse über die Bibel und musikspezifische Fragen der Theologie sind bei allen Studierenden Pflicht. Obwohl Dozenten wie Michail Iwanow vom baptistischen „Theologieseminar Moskau“ Kurse bei Logos durchgeführt haben, bestehen keine offiziellen Beziehungen zu irgendeinem Seminar. Der Baptist Boris Berezhnoi (Moskau) lehrte bei Logos während der 80er Jahre bis er 1990 sein eigenes Volksensemble „Blagowestie“ (Verkündigung) ins Leben rief. (Siehe hierzu unsere Meldung Nr. 51 vom 28.11.2007.)

 

Logos hat seinen eigenen Verlag und veröffentlicht neben einer Zeitschrift, Noten und Literatur zu Themen der Musik, auch theologische und kirchenhistorische Werke. Das Werk hat eine Konferenz zum Wirken von Iwan Prokhanow (1869-1935) abgehalten und kürzlich Bücher über ihn und andere Gründungsväter des russischen Baptismus publiziert. Eine feste Säule der Verlagsarbeit war der Mennonit Clyde Weaver aus Pennsylvania/USA, der 1995 verstarb. Heute ist der Kirchenhistoriker Wladimir Popow stark in der theologischen Arbeit von Logos engagiert. Die „Russische Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ (RUECB) selbst verfügt über keinen Verlag.

 

Aus der musikalischen Arbeit von Logos haben sich gute Beziehungen zur russischen Intelligenz ergeben. Eine Bibelstunde am Mittwochabend hat ihnen die Chance gewährt, sich mit baptistischem Gedankengut auseinanderzusetzen. Ein langjähriger Musikdozent bei Logos ist orthodoxen Glaubens, ein anderer ist römischer Katholik.

 

Die Anfänge

Eingangs mußte sich die musikalische Arbeit von Ewgeni Gontscharenko im Stillen abspielen. Geheime Unterrichtseinheiten wurden u.a. in Odessa, Kiew und Taschkent durchgeführt. Doch die Unterstützung seines Bundes für die Arbeit nahm zu und nach einem Gesuch beim sowjetischen „Rat für religiöse Angelegenheiten“ wurden 1979 Kurse offiziell genehmigt. Ein erstes, öffentliches Seminar wurde abgehalten. Logos fing mit Fernkursen an – genau wie 12 Jahre zuvor der Kirchenbund mit dem Theologieunterricht begonnen hatte. Dennoch hielt der staatliche Widerstand an. Der Direktor beschreibt dessen Haltung wie folgt: „Wir haben öffentliche Hochschulen. Bemühen Sie sich dort um einen Studienplatz.“ Doch bekennenden Christen wurde nur selten ein Studienplatz gewährt.

 

Ende der 70er Jahre zog Goncharenko nach Moskau. Logos’ erster Westkontakt von bleibender Bedeutung wurde 1985 mit Ron und Patricia Owens, musikalischen Missionaren beim südbaptistischen „Foreign Mission Board“, geschlossen. Das Ehepaar, das heute als Pensionierte im Bundesstaat Arkansas lebt, unterrichtete bei Logos. Manche seiner Lieder und Theaterstücke wurden übersetzt, werden heute von Logos benutzt und auf den CDs seiner Chöre verbreitet.

 

Der Direktor hält den Austausch mit Studenten und Dozenten für den angenehmsten Aspekt seines Dienstes. Er erzählt: „Die Tage vergehen wie im Flug wenn wir uns zu Seminaren versammeln.“ Logos ist nun einmal sein Lebenswerk gemeinsam mit seiner Frau Ludmilla. Ihr Leben ist ohne diesen Dienst nicht vorstellbar.

 

Das größte Problem von Logos liegt im ständigen Kampf um seine Finanzierung. Gontscharenko gibt an, daß nur 40% der Studienkosten durch Studiengebühren gedeckt seien; die RUECB fördert das Institut nicht. Westliche Quellen spielten bisher eine unentbehrliche Rolle. Doch Logos befaßt sich nicht mit Gemeindegründungen und das ist die Priorität ersten Ranges bei den meisten westlichen Missionsgesellschaften. „Unser nächstes Seminar beginnt im März,“ sagt der Direktor lächelnd, „doch von woher das Geld kommen soll, wissen wir noch nicht.“

 

Trotz der bescheidenen Zahl der Studenten von außerhalb Rußlands, die auf die Auflösung der Sowjetunion zurückzuführen sei, ist keine Studentenverknappung zu vermelden. „Es gibt bereits 15 Bewerbungen für März, und wir haben noch gar keine Einladungen an die Gemeinden versandt,“ berichtet Gontscharenko. Der Kurs kann höchstens 40 Studenten aufnehmen. Eine gewisse Zahl steige wieder aus, räumt er ein, doch das Institut habe nicht die Absicht, seine hohen Anforderungen zurückzuschrauben. Beide Söhne des Ehepaars, Timofei und Kirill, sind in der musikalischen Arbeit von Logos engagiert. Das Phänomen Anbetungsteam möge eine gewisse Bedrohung darstellen, doch die Zukunft von Logos scheint von noch langer Dauer zu sein.

Logos verfügt über eine russischsprachige Webseite: “www.center-logos.ru”. Achtung: YouTube bietet diesen Chor sowie einen weiteren, orthodoxen Chor gleichen Namens an.

 

Dr. phil. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 7. Dezember 2009

 

Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 09-38, 1.241 Wörter oder 9.096 Anschläge mit Leerzeichen.

 

Anmerkung von August 2021: Ewgeni Gontscharenko ist am 19. März 2021 in Moskau in die Ewigkeit gerufen worden. Boris Bereschnoi verstarb in Moskau am 25. Juni 2021. Beide waren 1949 geboren. Der Dienst von "Logos" setzt sich fort.