· 

Baptistische Stellungnahme zu missionarischen Aktivitäten

Wir beobachten mit Besorgnis und Verblüffung

-------------------------------------------------------------------------------------

Russische Baptisten reagieren auf den neuen Gesetzentwurf über missionarische Aktivitäten

 

M o s k a u – Ein neuer Gesetzentwurf, der am 12. Oktober vom Russischen Justizministerium veröffentlicht worden ist, wird im Falle seiner Ratifizierung die Glaubensfreiheit in Rußland erheblich beschneiden. Darüber hat die „Russische Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ (RUECB) am 20. Oktober in einem offenen Brief berichtet, der von ihrem Präsidenten, Juri Sipko, unterzeichnet und an den russischen Staatspräsidenten, Dmitri Medwedew, gerichtet ist. Im Brief heißt es: „Wir beobachten mit Besorgnis und Verblüffung die Entwicklungen in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat. Vorgesehene Veränderungen im Gesetz über die Glaubensfreiheit werden diese Freiheit zur reinen Deklaration herabstufen.“ Die neue Gesetzgebung würde das bereits restriktive, geltende Gesetz „Über die Gewissensfreiheit und die religiösen Vereinigungen“ vom 26. September 1997 verschärfen. Eine gesetzliche Verschärfung wird jetzt nicht zum ersten Mal versucht: Die gegenwärtig vorgeschlagenen Bestimmungen sind in manchen Fällen eine abgeschwächte Form jener, die bereits 2006 unterbreitet worden sind.

 

Die Unionsleitung fühlt sich auch betroffen von der Tatsache, daß Regierungsvertreter bei einem runden Tisch von Kirchenleitern im Justizministerium am 18. September nicht alle Teile des neuen Gesetzentwurfs offenlegten. Dennoch haben Baptisten den Eindruck, daß der neue Gesetzentwurf vom 12. Oktober bereits von den vier offiziellen, „traditionellen“ Religionen Rußlands (russische Orthodoxie, Islam, Judaismus, Buddhismus) abgesegnet worden ist. Schon das Gesetz von 1997 verlieh diesen vier Religionen einen bevorzugten Status. Pastor Witali Wlasenko, Leiter für kirchliche Außenbeziehungen bei der RUECB, meinte, der neue Gesetzentwurf sei vor allem gegen Katholiken und Protestanten gerichtet – eben gegen solche, die in Rußland über kein eigenes, geographisches Territorium verfügen .

 

Die neue Gesetzgebung will alle Formen missionarischer Aktivität registrieren und regulieren sowie bestimmen, in welcher Weise sie auszutragen sind. Eine missionarische Handlung muß ohne psychologischen Druck oder das Anbieten materieller Vorteile vollzogen werden. Zuwiderhandlungen werden mit Geldbüßen belegt.

 

Vorgeschlagene Änderungen

Das neue Gesetzeswerk sieht vor, daß nur jene religiösen Vereine, die bereits seit 15 Jahren in Rußland registriert sind, sich um die Genehmigung missionarischer Aktivitäten bemühen dürfen. Nur den Mitgliedern einer religiösen Organisation wird das Missionieren gestattet, und bei Übertretungen des einzelnen Missionars haftet der ihn unterstützende Verein mit. Jedoch darf eine kirchliche Organisation einen ihrer Mitglieder offiziell an einen anderen kirchlichen Verein delegieren.

 

Vom Missionieren werden prinzipiell ausgeschlossen alle, die jemals wegen extremistischer Aktivitäten verurteilt worden sind sowie Ausländer, die sich nur vorübergehend (etwa als Touristen) in Rußland aufhalten. Missionarische Bemühungen müssen auf „Angebote von materiellen, sozialen oder anderen Vorzügen“ verzichten und „jegliche Drohung mit physischer Gewalt, psychologischem Druck oder eine Manipulation des Bewußtseins“ vermeiden.

 

Ohne das Ausstellen einer Genehmigung durch kommunale und einrichtungseigene Vertreter darf weder in Krankenhäusern, Waisenhäusern noch Pflegeeinrichtungen missioniert werden. In oder auf dem Gelände staatlicher Gebäude - ebenfalls nicht in der Nähe von Bauten einer anderen religiösen Gemeinschaft - ist das Missionieren untersagt. Der Journalist Roman Lunkin (Moskau) merkt an, diese Bestimmung müßte auch die Orthodoxen tangieren, denn sie besitzen ein paar Kapellen in Moskauer Regierungsgebäuden.

 

Wesentlich bei diesem Gesetzentwurf ist die Bestimmung, daß Minderjährige ohne die Genehmigung ihrer Eltern oder eines Vormunds religiösen Veranstaltungen nicht beiwohnen dürfen. Sie dürfen auch nicht ungenehmigt mit gedrucktem Material, Audio- oder Videoträgern versorgt werden. Nach der baptistischen Erwiderung steht diese Bestimmung im Widerspruch zum Befehl Jesu: „Laßt die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht“ (Markus 10,14). Das Schreiben unterstreicht deren Absurdität mit einem Beispiel: „Personen übler Absicht könnten Kinder in einen Gottesdienst entsenden. Anschließend belegt die Staatsgewalt die Gemeinde mit einer Geldstrafe. Das wird eine bequeme und gewinnträchtige Art und Weise sein, eine Gemeinde zu ruinieren und das kommunale Budget aufzustocken. Doch warum sollte sich ein Pastor als Polizist betätigen?“ Die Stellungnahme fährt fort: „Warum darf ein Teeny nur mit elterlicher Genehmigung eine Gemeinde besuchen, wenn das gleiche nicht gilt für Kinos, Sportstätten und Diskos? Ist ein Gotteshaus gefährlicher als ein säkularer Ort? Diese Gesetzgebung will religiöse Organisationen als schädlich einstufen, und das ist eine klare Diskriminierung.“

 

Baptisten wehren sich dagegen, ähnlich wie Vulgaritäten und Besitzbeschädigungen eingestuft zu werden. Sie fragen: „Wie könnte eine ungenehmigte religiöse Veranstaltung bedrohlicher sein als ein Aufruhr von Betrunkenen?“ Nach der neuen Gesetzgebung können Geldstrafen bei Organisationen bis zu 15.000 Rubel (349 €) betragen. Das durchschnittliche Monatsgehalt in Rußland beträgt gegenwärtig 24.600 Rubel (572 €). Die Stellungnahme versichert, eine Drosselung missionarischer Aktivitäten werde sich nachteilig auf die protestantische Sozialarbeit auswirken. „Ohne missionarische Aktivitäten werden Trunkenheit und Drogenmißbrauch zunehmen. Protestanten haben sich mit beachtlichem Erfolg um die Rehabilitation von Alkoholikern und Drogensüchtigen bemüht. Wenn der Staat beginnt, den sozialen Dienst der Kirchen zu zerstören, wird er gezwungen sein, zusätzliche Gefängnisse zu bauen.“

 

Gegen die Vieldeutigkeit

Baptisten sind besorgt über die Vieldeutigkeit der vorgeschlagenen Gesetzgebung. In einer zur Anarchie neigenden Gesellschaft werde eine zunehmende Gesetzeszahl Niederträchtigen nur weitere Optionen zum Gesetzesmißbrauch liefern. Die Stellungnahme fragt z.B.: Was sei neben materiellen und sozialen Vorteilen unter „andere Vorzüge“ zu verstehen? Einem Alkoholiker im Falle des Gemeindebesuchs Nüchternheit zu versprechen, könnte auch als „anderen Vorzug“ verstanden werden. Das Schreiben meint ferner, daß „sich nahezu jede Diskussion als eine Form ‚psychologischen Drucks’ auslegen läßt“. Roman Lunkin fügt hinzu, eine Predigt über das Letzte Gericht oder die Notwendigkeit der Sündenvergebung ließe sich auch als „psychologischen Druck“ und „Manipulation des Bewußtseins“ deuten. Die Geldstrafe dafür beträgt 5.000 Rubel (116 €).

 

Baptisten merken an, der Entwurf unterscheide nicht zwischen einer professionellen missionarischen Tätigkeit und einem Gespräch zwischen Laien, der sich im Laufe des alltäglichen Lebens abspielt. „Nahezu alle Gläubigen werden sich dem Verdacht einer Gesetzesübertretung aussetzen.“ Jeder könnte nach Bedarf irgendwann gerichtlich belangt werden. Ein Vergleich mit der Denunzierungskult im Terrorjahr 1937 wird gezogen: „Durch die nebulöse Formulierung von Gesetzen wird ein dicker Baum von Optionen für das Denunzieren von Christen durch feindselige Nachbarn, Kollegen und Bekannte blühen.“

 

Diese Stellungnahme vertritt die Auffassung, die Ratifizierung einer derartigen Gesetzgebung würde zum weiteren moralischen Abbau der russischen Gesellschaft beitragen. Sie würde ebenfalls die Entfremdung zwischen den privilegierten und den nichtprivilegierten Glaubensgemeinschaften steigern, denn sie liefert keinen Schutz gegen die erneute Verfolgung religiöser Minderheiten. Immerhin hätten die russischen Baptisten in den 140 Jahren ihrer Existenz „kaum mehr als 25 Jahre Freiheit“.

 

Nicht zuletzt würde der Gesetzentwurf „der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von der UNO akzeptiert und von Rußland ratifiziert wurde, widersprechen“, denn sie verstoße eindeutig gegen das Recht des Einzelnen auf Glaubensfreiheit. Eine solche Gesetzgebung würde „die internationale Autorität Rußlands schädigen“. Das Schreiben folgert: „Für ein neues Gesetz über missionarische Aktivitäten besteht kein objektiver Bedarf. Es bestehen bereits „genügend Gesetze, um mit solchen fertig zu werden, die gesetzestreue Bürger betrügen“. Über extremistische und terroristische Gruppierungen heißt es: „Wir bezweifeln, ob Veränderungen in der gegenwärtigen Gesetzgebung ihre Aktivitäten irgendwie behindern werden.“

 

Witali Wlasenko fügt hinzu: “Die RUECB ist nicht an sich gegen eine Regulierung missionarischer Aktivitäten – doch wir wenden uns allemal gegen deren Verbot.“ Die Union wird ihre 1.750 Gemeinden und Gruppen bitten, „sich im Gebet und Fasten zu vereinen“. Ausländische Gemeinden sind zur Teilnahme eingeladen. Er weist darauf hin, daß seine Kirche am Expertenaustausch mit anderen Kirchen, die in ihren Beziehungen mit dem Staat ähnliche Erfahrungen gemacht haben, interessiert sei. Schriftliche Sorgenbekundungen, die an russische Botschaften weltweit gerichtet werden, seien immer willkommen.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 22. Oktober 2009

 

Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 09-32, 1.153 Wörter oder 8.925 Anschläge mit Leerzeichen.