Manche kasachischen Evangelikalen suchen die Einheit
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Bericht
über ein Land mit christlichen Wurzeln
M o s k a u – Manchmal beschreiben die ethnisch-kasachischen Evangelikalen Kasachstans ihre Bekehrung als eine Rückkehr zu den Wurzeln. Dabei weisen sie darauf hin, daß zwischen dem zweiten und 14. Jahrhundert die Turkvölker im Gebiet des heutigen Kasachstans größtenteils assyrisch-koptischen Glaubens waren. Im 14. Jahrhundert hatte der Eroberer Tamerlan (oder Timur Lenk) mit Gewalt den Islam durchgedrückt. Kasachen heute verwerfen Jesus als einen russischen Gott – den Gott der Kolonisatoren. Doch die Turkvölker der Region waren mehrheitlich christlich für mehr als 1.000 Jahre – und das schon lange vor der Bekehrung Rußlands im 10. Jahrhundert. Überreste christlicher Kultur sind weiterhin in der kasachischen Kultur vorhanden: Der Tod eines Menschen wird für drei, sieben und schließlich 40 Tage betrauert. „Eine derartige Tradition gibt es im Islam nicht,“ erzählt ein kasachischer Evangelikaler.
Doch die Islamisierung schlug voll durch, und als Kasachstan 1991 die staatliche Unabhängigkeit erlangte, gab es nicht mehr als 40 protestantische Kasachen im ganzen Lande. Zu dem Zeitpunkt hatten Baptisten russischer Union bereits mehr als ein Jahrhundert in dem Lande verbracht – ethnisch-deutsche Lutheraner und Mennoniten noch länger. Warum hatten sich Christen nicht stärker bemüht, Kasachen für den christlichen Glauben zu gewinnen? „Russische Baptisten hatten keine Ahnung von den Kasachen – unsere Kulturen sind völlig verschieden,“ antwortet einer. Das Bekehren von Kasachen war auch während der kommunistischen Ära gefährlich.
Die Missionare, die ab 1991 in das Land strömten, schritten schnell zur Tat. Bis zu 100.000 Kasachen haben sich zum christlichen Glauben bekannt. Doch durch Emigration und die durchaus hohen Kosten der Nachfolge sind nur noch 15.000 von ihnen heute in Kasachstan aktiv. Im Lande gibt es insgesamt rund 70.000 Protestanten; sie sammeln sich in 1.000 registrierten sowie in einer noch höheren Zahl kleiner, nichtregistrierter Gemeinden. Die meisten ethnisch-kasachische Gemeinden sind unregistriert. Die registrierte Baptistische Union Kasachstans gehört zu den wenigen Denominationen mit sowohl russischen wie kasachischen Mitgliedern: Von den 12.000 Mitgliedern dieses Kirchenbundes sollen 1.500 kasachischer Nation sein. Rund 67% der 16,4 Millionen Bürger des Landes sind Kasachen, weitere 21% sind Russen. Nach Indien und Argentinien ist Kasachstan flächenmäßig das neuntgrößte Land der Erde.
Gegenwärtige Auseinandersetzungen mit dem Staat
Gemeinsam haben muslimische und russisch-orthodoxe Kreise drei Versuche gestartet, um die toleranten Religionsbestimmungen aus der Verfassung von 1995 zu entfernen. Der letzte Vorstoß kam im Dezember 2008 zum Erliegen als Staatspräsident Nursultan Nasarbajew durchaus couragiert die Unterschrift verweigerte. Das weiterhin geltende Gesetzeswerk von 1995 gewährt allen religiösen Gemeinschaften gleiche Rechte. Ein leitender Evangelikale Kasachstans erklärt kategorisch: „Wir vertreten die Auffassung, diese ursprüngliche Verfassung vertrete die Sicht der Bibel in allen Punkten.“ Die Satzung einer interkonfessionellen Vereinigung, die er angehört, spricht von der Erwartung, daß sich alle Mitglieder der Staatsverfassung unterwerfen.
Kasachstan bleibt bedeutend toleranter als seine unmittelbaren, zentralasiatischen Nachbarn. Die Registrierung einer kasachischen Ortsgemeinde setzt weiterhin nur 10 Mitglieder voraus – in Kirgistan liegt die Zahl inzwischen bei 200. In Usbekistan ist im Haushalt nur eine Bibel zugelassen; sonstige religiöse Literatur muß in kirchlichen Einrichtungen gelagert werden. Doch Turkmenistan wird als die restriktivste der zentralasiatischen Republiken eingestuft.
In Kasachstan wird Protestanten unterstellt, unter den Bürgern Zwietracht zu säen. Ein Bürgerkrieg indonesischen Ausmaßes wird beschworen. Russische Orthodoxe und sunnitische Muslime geben zu Protokoll, daß sie die Anhänger der jeweils anderen Religion nicht missionieren werden. Es sind eben die Evangelikalen, die sich weigern, die vorhandenen Grenzen und Besitzstände zu respektieren. Voraussichtlich müssen bis Ende des Jahres die meisten der 20 protestantischen Seminare und Bibelschulen die Tore schließen. Der Staat weigert sich, die wissenschaftlichen Abschüsse der Dozenten anzuerkennen.
Doch einige Evangelikale bestehen darauf, daß die Unterdrückung subtil ausfalle und sich vor allem gegen Christen kasachischer Nation richte. Ethnisch-kasachische Pastoren werden vom Staat nicht anerkannt; die Bekehrten haben nahezu keine Chance, eine Anstellung in staatlichen Einrichtungen zu ergattern. Gemeinden werden polizeilich überwacht. Eine rigide Zensur ist in Kraft; alle importierten Bücher werden darauf untersucht, ob sie terroristische Passagen enthalten. Es ist u.a. auch schwierig geworden, Bekehrte auf öffentlichen Friedhöfen zu beerdigen.
Ein Pastor, der bemüht ist, den Staatsvertretern die Loyalität und Hilfsbereitschaft der Evangelikalen unter Beweis zu stellen, beschreibt die Protestanten als die vehementesten Verfechter der weiterhin geltenden kasachischen Verfassung. Sie verstehen sich als Wahrer der Verfassung gegenüber Kommunalbehörden, die außerhalb des Gesetzes agieren. „Manchmal attackieren staatseigene Zeitungen und Zeitschriften uns Evangelikale. Doch das dürfen sie sich nicht erlauben – so verstoßen sie gegen das Gesetz.“ Zeugen Jehovas, Scientologen und Mormonen gelten ebenfalls als „Protestanten“ in den öffentlichen Medien. Der Pastor berichtet: „Die Zeugen Jehovas sind uns eine schwere Last geworden.“
Derselbe Pastor fügt hinzu: “Unser größtes Problem ist jedoch nicht die Regierung – damit würden wir schon klar kommen. Unser Problem ist vor allem die Verfolgung, die die Gläubigen innerhalb der eigenen Familie erleben. In unserer Kultur sind die Familien sehr eng. Dreihundert Jahre lang befanden wir uns unter russischer Herrschaft und nur unter dem Schutz der Familie konnte unsere Kultur überleben.“ Üblicherweise werden zu Christus Bekehrte von ihrer Verwandtschaft geschaßt – eine höchst schmerzhafte Erfahrung für alle Kasachen.
Die versuchte Lösung
Unabhängig von der Landesverfassung hat Präsident Nasarbajew vier Glaubensgemeinschaften zu den traditionellen Religionen des Landes erkoren: sunnitsche Muslime, russische Orthodoxe, römische Katholiken und Protestanten. Als „Protestanten“ gelten offiziell nur Lutheraner und russische Baptisten.
Eine staatlich-anerkannte interkonfessionelle Vereinigung existiert. Sie besteht gegenwärtig aus jenen protestantischen Gruppierungen, die weder russisch-baptistisch noch lutherisch sind. Rund 100 Ortsgemeinden gehören ihr an. Es besteht die Hoffnung, daß innerhalb von drei Jahren mindestens 600 der 1.000 registrierten Ortsgemeinden der Vereinigung beitreten.
Das augenblickliche Ziel der Vereinigung besteht darin, von einer der beiden protestantischen Denominationen in Schutz genommen zu werden. Diese Kirche soll beim Staat für die Vereinigung eintreten. Die Vereinigungsleitung hat vorläufig die Hoffnung aufgegeben, die russischen Baptisten für diese Aufgabe zu gewinnen. Franz Thießen (oder Tissen), seit 1993 Oberhaupt der Baptistenunion Kasachstans, wird als „gottesfürchtigen Mann“ beschrieben. Ein Vereinigungsvertreter sagt: „Seine Gemeinde in Saran bei Karaganda hat bereits 2.000 Mitglieder und wächst weiter. Das ist für mich ein Indiz dafür, daß er ein Mann Gottes sei.“ Doch die Union Thießens hat 2006 ihre Beziehungen zu den internationalen, baptistischen Organisationen abgebrochen und ist auch nicht verbündet mit der konservativen und eigenständigen „Southern Baptist Convention“ der USA. Verbindungen bestehen vor allem zu ein paar Aussiedlergemeinden im Raum Düsseldorf, die größtenteils aus ehemaligen Bewohnern Kasachstans bestehen. Berichte bestätigen, daß Thießen auch von der theologisch konservativen, 1846-gegründen Bewegung der Evangelischen Allianz Abstand nehme, da sie für ihn als „ökumenisch“ gelte. Die geschichtliche Sternstunde des kasachischen Protestantismus fand im September 2006 in Almaty statt, als die „Global Mission Fellowship“ gemeinsam mit anderen eine internationale Missionskonferenz durchführte. Zugegen waren Pastoren und Missionare aus 48 Staaten; ein Ergebnis war die erstmalige Begegnung überhaupt mit Staatsvertretern auf höchster Ebene. Die baptistische Union Kasachstans blieb dem Ereignis fern.
Selten unter den Unionen registrierter Baptisten ist die Tatsache, daß die von Thießen geleitete Union enge Beziehungen zur Bewegung der nichtregistrierten Baptisten unterhält. In ihren Auseinandersetzungen mit dem Staat hat Thießen sie unterstützt. Kürzlich erhielten mehrere ihrer Pastoren Geldstrafen für das Abhalten nichtregistrierter Gottesdienste. Diesen Knoten läßt sich nicht leicht durchschlagen, denn die „Internationale Union der Kirchen der Evangeliumschristen-Baptisten“ (IUCECB) würde die staatliche Registrierung verweigern, auch wenn man sie ihr gewähren würde. Im Prinzip lehnt die IUCECB das ab, wonach sich Hunderte von kasachischen Gemeinden sehnen: die staatliche Zulassung.
Folglich besteht die Hoffnung, Juri Nowgorodow (Astana), Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kasachstans seit 2005, möge sich der Sache der nichtregistrierten, evangelikalen Gemeinden annehmen. Aber inzwischen hat seine Kirche engen Kontakt mit der in St. Louis-beheimateten “Lutheran Church-Missouri Synod”, die sich ebenfalls allen Verbindungen zu den international-etablierten Organisationen des mehrheitlichen Luthertums entzieht. Kasachische Lutheraner agieren zurückhaltend den evangelikalen Gruppierungen gegenüber – erst recht gegenüber Charismatikern.
Eine von Maxim Maximow geleitete charismatische Gemeinde in Almaty hat über 2.000 Mitglieder und nimmt mit ihrem Fernsehsender „CNL“ eine führende Rolle bei den christlichen Sendern russischer Zunge ein. Diese Gemeinde gehört der von dem Schweden Ulf Ekman gegründeten Bewegung „Neues Leben“ an. Zumindest in Kasachstan fährt sie einen höchst eigenständigen Kurs völlig unabhängig von den anderen evangelikalen Kirchen.
Die interkonfessionelle Vereinigung meint, der Staat reagiere mit Wohlwollen auf ihre Bemühungen, denn er würde lieber mit einer oder zwei evangelische Körperschaften verhandeln als mit Hunderten. Sie meint, mit einem einzigen, vereinigten Seminar könnte man es vielleicht noch immer hinbekommen, die hohen Akkreditierungsauflagen des Staates zu erfüllen.
Die Hürden bleiben beachtlich – in Kasachstan gibt es weiterhin Hunderte kleiner, nichtregistrierter Denominationen mit Leitungen, die der interkonfessionellen Kooperation keine größere Bedeutung beimessen. Beispielsweise sind koreanische Evangelikale weiterhin in Kasachstan aktiv – und es soll allein in Südkorea über 100 selbständige, presbyterianische Denominationen geben.
Dr. William Yoder
Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB
Moskau, den 6. August 2009
Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 09-24, 1.390 Wörter oder 10.734 Anschläge mit Leerzeichen.