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West und Ost verstehen sich immer weniger

Den Fernseher ausschalten und ins Gespräch kommen

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Leitender russischer Protestant besuchte Parlamentarische Versammlung in Straßburg

 

Kommentar

 

M o s k a u – Sergei Rjachowski (Moskau), Bischof der dezentral-strukturierten, 2.000 Gemeinden zählenden „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstler­ischen Glaubens“, hat sich in der Vergangenheit entschieden zugunsten der Regierungen von Putin und Medwedew ausgesprochen. Von dem Standpunkt ausgehend hat er immer wieder protestantische Interessen verteidigt gegen Nationalisten, die die Vernichtung der evangelischen Präsenz in Rußland im Auge haben. Eine Polemik Rjachowskis Ende August veranschaulichte diese Haltung. Dabei attackierte er den umstrittenen orthodoxen Geistlichen und Sektenkundler Alexander Dworkin (Moskau) als Agenten US-amerikanischer Außenpolitik. Dworkin, ein eingebürgerter Staatsbürger der USA, hatte bis 1990 zwei Jahrzehnte in den USA verbracht, dort orthodoxe Theologie studiert und zeitweilig für Radio Free Europe und Radio Liberty gearbeitet. Der Bischof versicherte: „Die US-Administration macht sich einer Doppelmoral schuldig. Unter dem Deckmantel ihres Bürgers, des orthodoxen Zeloten Dworkin, schlägt sie mit aller Gewalt auf den Protestantismus ein und schürt Haß gegen ihn. Im Gegenzug wird Rußland jahrein, jahraus Vergehen gegen die Menschenrechte und die Glaubensfreiheit beschuldigt. Doch in Georgien fällt derselben US-Administration die systematische Unterdrückung der (protestantischen) Gläubigen überhaupt nicht auf.“

 

Als Mitglied des „Rats für die Zusammenarbeit mit religiösen Organisationen am Sitz des russischen Präsidenten“ gehörte Bischof Rjachowski der russischen Delegation bei den Herbstsitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an. Sie fanden vom 29. September bis 3. Oktober in Straßburg statt. In einem Bericht, den er am 22. Oktober veröffentlichte, schrieb er: „Das allgemeine Klima unter den Parlamentariern war – gelinde gesagt – Rußland nicht sonderlich gewogen. Es war offenkundig, daß die europäischen Massenmedien die Absicht hatten, unsere Delegation zu ignorieren. Wenn unsere Delegierten aus innerster Überzeugung sprachen, neigten die Dolmetscher dazu, sich zu verschlucken. Es war sehr deutlich, daß wir Russen im Bereich der Informationspolitik noch viel aufzuholen haben. Ich war zum ersten Mal in Straßburg und hatte das Gefühl, daß wir Fremdlinge seien.“

 

“Die westliche Haltung in der Wahrheitsfrage ist mehr als einfach anti-russisch. Sie stellt Rußland als den Aggressor dar – oder noch schlimmer. Wir verstehen einander nicht. Die Emotionen liegen blank; alle lassen ihrem Schmerz freien Lauf.“

 

Rjachowski gab an, daß die georgische Delegation in Straßburg aus jungen, hochgebildeten Mitarbeitern bestand, die ein hervorragendes Englisch sprachen. „Diese Menschen wurden in der Phase nach dem Zerfall der Sowjetunion und seiner Tradition der internationalen Freund­schaft ausgebildet. Sie gehören einer neuen Generation an, die nur die antirussische Rhetorik kennt; sie können sich an unseren Staat nicht mehr erinnern. Darum ist es wichtig, daß wir verstehen, warum sie so sind, wie sie sind. Es ist bedauerlich, daß die Visabestimmungen uns davon abhalten, einander kennenzulernen.“

 

Rjachowski folgerte: Der Westen “hat eine andere Mentalität und verfügt über andere Institutionen, um die Demokratie zu realisieren. Aber aus den EU-Sitzungen habe ich den Schluß gezogen, daß wir uns nicht weiterhin nur auf unsere eigenen Wahrheiten verlassen dürfen – denn unsere Wahrheiten ziehen oftmals die Wahrnehmungen anderer nicht in Betracht. Wir Menschen verfügen über ein kolossales Vermögen, aufeinander zu hören und von anderen gehört zu werden. Wir leben alle in einem gemeinsamen Haus namens ‚Erde’,“

 

Pastor Witali Wlasenko (Moskau), Direktor für Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB), erwiderte in einem Gespräch: „Wir Baptisten Rußlands stellen uns der Tatsache, daß auch wir russische Staatsbürger seien. Wir sind für das Tun unseres Staates mitverantwortlich. Wir sind Patrioten – doch nicht auf Kosten anderer Völker, und nicht auf Kosten der historischen und gegenwärtigen Wahrheit. Wir möchten gemeinsam mit Sergei Rjachowski zum Gedeihen unseres Landes und seines Volkes beitragen. Bischof Rjachowski ist nicht befugt, für die RUECB zu sprechen. Manchmal haben wir auch den Eindruck, seine Aussagen bezüglich des Westens seien übermäßig aggressiv. Doch vieles, was er über Straßburg erzählte, können unsere Leute nachvollziehen – solche Gedanken sind den russischen Protestanten nicht fremd. Wenn die Massenmedien problematisch seien, müssen wir tatsächlich den Fernseher ausschalten, das Internet abschalten und ins Gespräch kommen.“

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 24. Oktober 2008

 

Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 08-48, 630 Wörter.