Gemeindenahe Diakonie: Das machen, was andere sich weigern zu tun
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Die „Brüderschaft der Barmherzigkeit“ feierte ihr 20-jähriges Bestehen
M o s k a u -- Mit 100 Mitarbeiterinnen in weißen Kitteln und einer ähnlichen Zahl von Gästen feierte die «Brüderschaft der Barmherzigkeit“ am 14. Mai an ihrem Heimatort, der Zentralen Baptistengemeinde Moskaus, ihr 20-jähriges Bestehen. In einem Rückblick erinnerte Alexander Bytschkow (ab 1971 Generalsekretär des All-Unionrats der Baptisten) an die allgemeine Verwunderung, als der damalige Bürgermeister Anfang 1988 die religiösen Organisationen plötzlich zu sich bat. Der Bürgermeister gab händeringend bekannt, der Stadt würden 800 Linienbusse und 20.000 Krankenschwestern fehlen. Bytschkow erzählte: „Busse hatten wir nicht, doch dem Mangel an Krankenschwestern konnten wir schon Abhilfe leisten.“ Mikhail Zhidkow, einem Vizepräsidenten der Union, ging der Hilferuf besonders nahe. Nachdem er das Anliegen im Gottesdienst angesprochen hatte, meldeten sich 150 Freiwillige.
Doch nicht alles ist glatt verlaufen. Nach nur wenigen Tagen in einem großen städtischen Krankenhaus wurde den übereifrigen Helferinnen die Tür gewiesen. Auf der Webseite der „Brüderschaft“ heißt es: „Offensichtlich war die Krankenhausleitung durch unsere ´Untergrundevangelisation´ aufgeschreckt.“ In der Erwartung, den Baptisten losgeworden zu sein, wies ihnen die Stadtverwaltung ein Krankenhaus zu, wo die Gefahr von Mission am geringsten war: eine psychiatrische Anstalt. Dazu meinte aber Pastor Zhidkow, der 2004 verstorbene Kopf hinter dieser diakonischen Bewegung: „Dort werden wir keine Möglichkeit haben zu predigen. Aber die Chance, den Menschen Christus zu zeigen, wird immer gegeben sein.“ Zum Chefarzt entstand schnell ein inniges Verhältnis. Noch heute ist die Beziehung zum Kaschtschenko-Krankenhaus – und zu drei weiteren Krankenhäusern - hervorragend.
Es sind die gewachsenen, vertrauensvollen Beziehungen, die diese Arbeit in einem Klima gewachsenen Mißtrauens weiterhin am Leben halten. Galina Dzhusenowa, die Präsidentin der Mission, berichtet: „Die Beziehungen zu unseren Partnern bleiben gut. Zu schaffen machen uns eigentlich nur vereinzelt Patienten, die ausfällig werden, wenn sie merken, daß wir keine Orthodoxen sind.“ Sie fügt jedoch hinzu: „Wahrscheinlich hätten wir mit größerem Widerstand zu tun, wenn wir völlig neue Projekte starten würden.“
Ein weiteres Bespiel für natürlich gewachsene Beziehungen ist die Miliz. Im Ringen um die Versorgung von Obdachlosen waren gute Beziehungen zum Sozialdienst der Moskauer Miliz entstanden. Inzwischen sind die ursprünglichen Partner in die Jahre gekommen. Da sie als Milizangehörige nur eine sehr bescheidene Rente beziehen, sind sie nun selbst zu Empfängern dieser christlichen Barmherzigkeit geworden.
Auch für die Jüngsten tut die Mission vieles: Mehrere Waisenhäuser, junge Invalide, sowie Kinder, die mit dem HIV-Virus infiziert oder an Tuberkulose erkrankt sind, werden medizinisch und seelisch versorgt. Sommerlager für solche Kinder und für Kinder aus kinderreichen und armen Familien werden jedes Jahr im Moskauer Raum durchgeführt.
Der Dienst außerhalb Moskaus nahm schon 1988 seinen Lauf, als Unruhen in den südlichen Republiken der damaligen UdSSR ausbrachen und Moskau mit Flüchtlingen überschwemmten. Dann folgte ein Erdbeben in Armenien und 1995 brach der erste Tschetschenienkrieg aus. In Grosny und Beslan konnten die Moskauer Baptisten helfen. Durch den Dienst an Flüchtlingen wurden auch Strafentlassene auf die 2.700 -Mitglieder-zählende Gemeinde aufmerksam. Jedes Jahr wird bis zu 150 Strafentlassenen geholfen, lebensnotwendige Dokumente zu ergattern und ihren rechtlichen Anspruch auf Wohnraum durchzusetzen. Suppenküchen werden unterstützt und auch selbst betrieben: Überhaupt werden jährlich mehrere Tausend Menschen allein in den Räumlichkeiten dieser Gemeinde in der Mali Trekhswjatitelski Pereulok 3 versorgt.
Eigentlich war es ein DC-10 Flugzeug, das diese Mission einer internationalen Öffentlichkeit bekanntmachte. Anfang 1991 gelang es der Baptistischen Weltallianz, ein gechartertes, mit Lebensmitteln vollgeladenes Frachtflugzeug von Washington nach Moskau zu entsenden. Damals schritten die Diakone der Gemeinde zur Tat und entluden das Flugzeug selbst. Nun machte Paul Montacute (Falls Church bei Washington), Direktor der „Baptist World Aid“, die weite Reise nach Moskau, um dieser diakonischen Mission nicht nur dafür Danke zu sagen. Die querschnittsgelähmte Christin Joni Eareckson Tada (San Diego) brachte eine große Anzahl von Rollstühlen mit, als sie 1992 die Gemeinde besuchte.
Doch weil der Mensch nicht alleine von Brot lebt, wird das Ganze von Musik und Anspielen umrahmt. In Kinderheimen und Krankenhäusern durchgeführte Feierstunden mit Geschenken zu den großen Festtagen gehören zum Kernangebot. Geboten werden nicht selten professionelle Musiker. Zu einer Feierstunde 2007 fanden 350 Kinder und Eltern den Weg in diese bereits seit 1882 bestehende Kirche. Bei der jetzigen, von viel Musik umrahmten Feierstunde versicherte Juri Sipko, der Präsident der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten, die Oligarchen und Mächtigen mögen über ihre Milliarden schwärmen, es seien jedoch „ausschließlich Liebe und Zuneigung, von denen der Mensch lebt“. Galina Dzhusenowa fügte hinzu, erst das Wissen, gebraucht zu werden, verleihe einem das Gefühl, Mensch zu sein. „Und viele Kinder haben überhaupt nicht das Gefühl, das irgend jemanden sie braucht.“ Sie sowie andere versicherten, ohne den festen Glauben an Gott ließe sich dieser Dienst keineswegs durchhalten. Auf der Webseite heißt es schlicht: „Wir machen das, was andere sich weigern zu tun.“
Angesprochen auf die Frage nach dem Jahreshaushalt erwidert Frau Dzhusenowa, man gebe das aus, was auch eingenommen werde. Das sei natürlich weniger als zu den Hochzeiten der russischen Not Anfang der 90er Jahre. Der Dienst hat sieben vollamtliche Mitarbeiterinnen und rund 100 freiwillige Helferinnen; feste Strategien für die Zukunft habe man nicht.
Die britische Mission „Eurovangelism“ hat ernst gemacht mit der Tatsache, daß der Dienst in dieser „Brüderschaft“ fast ausschließlich von Frauen getragen wird. In ihren Veröffentlichungen hat sie die Mission auf “Sisters of Charity“ (Barmherzigkeit) umgetauft. Die „Eurovangelism“ bleibt ein Hauptsponsor dieser Arbeit; sie ist fast von Anfang an dabei. Zum Jubiläum war ihr Leiter, David Roderick, aus Bristol angereist.
Die „Brüderschaft der Barmherzigkeit“ hat die Anschrift „brotherhood@online.ru“. Interessenten finden ihre russischsprachige Webseite unter “compassion-ministry.narod.ru“.
Dr. William Yoder
Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB
Moskau, den 19. Mai 2008
Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 08-23, 884 Wörter.
Alle genannten Personen ohne Wohnsitzangabe wohnen in Moskau.