Nicht deine, sondern unsere Kirche
M o s k a u -- Am 3. Mai fand der erste Gottesdienst einer Moskauer Baptistengemeinde statt, die Großes vorhat. Man sagt – auch scherzhaft – sie wolle eine Megagemeinde werden. Zum ersten Gottesdienst im Seminargebäude der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB) sind fast 60 erschienen. Anspielend auf den ungewöhnlichen Namen der Gemeinde - sie heißt „Deine Kirche“ - rief RUECB-Präsident Juri Sipko in der Eröffnungspredigt aus: „Das ist nicht deine Kirche - das ist unsere Kirche!“ Dabei betonte er, die Gemeinde sei in der RUECB und im Weltbaptismus überhaupt fest verankert.
Pastor dieser angehenden Gemeinde ist Leonid Kartawenko, sechs Jahre lang Abteilungsleiter für Mission in der Bundeszentrale der RUECB. Als Dank für ihre Geburtshilfe wurden im Gottesdienst Juri Sipko, Kartawenkos ehemaligem Chef, und Seminardirektor Dr. Peter Mitskewitsch, Blumen überreicht.
In einem Interview berichtete Kartawenko, der nun Pastor der kleinsten Megagemeinde Rußlands ist, über seine jüngsten Strategien: „Wir wollen keine Mitglieder, sondern nur Dienende. Jedem Mitglied wird eine Aufgabe übertragen – auch wenn sie noch so klein ist.“ Es wird auch erwartet, daß jedes Gemeindeglied einem Hauskreis angehört. Das Musikangebot soll von professionellem Niveau sein. Vor allem im Internet soll für „Deine Kirche“ geworben werden. Werbeplakate werden auf die Internet-Seite (www.yourchurch.ru) hinweisen. Dort werden alle aktuellen Informationen – auch Ort der Gottesdienste – zu finden sein. Pastor Kartawenko erklärt: „Im Internet werden Suchende ihre Fragen stellen können. Dadurch kann ein persönlicher Kontakt entstehen – und das ist schon angelaufen. Wir wissen, daß Leute am ehesten kommen, wenn sie schon Kontakt mit einem Gläubigen haben.“
Zum Hintergrund: Mitte Februar war es zum Bruch zwischen dem Geschäftsmann Alexander Semtschenko und dem Bundespräsidenten Sipko gekommen. Den Berichten zufolge hatte Semtschenko Entscheidungsbefugnisse verlangt, die ihm als nichtgewählten Mitarbeiter des Bundes nicht zustehen. Das war die Einschätzung des Bundespräsidenten – sie wurde später vom 54-köpfigen Rat der RUECB sekundiert. Sipko und Semtschenko waren sich auch uneinig in der Frage über das notwendige Maß an Kooperation mit staatlichen Stellen.
Sipko setzte Semtschenko als Sekretär der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen ab; Semtschenko zog daraufhin seine finanzielle Unterstützung für die Union zurück. Das Ergebnis war ein großes Loch im Unionsbudget. Viele Projekte wurden sofort auf Eis gelegt – nicht zuletzt die Missionsabteilung und ihre missionarischen Expeditionen.
Nach wenigen Monaten als Finanzdirektor trat Kartawenko, der mit manchen Anliegen Semtschenkos sympathisierte, im März von allen Bundesämtern zurück. Im April ist auch Simon Borodin, der Nachfolger von Kartawenko als Abteilungsleiter für Mission, zurückgetreten. Neuer Leiter der Missionsabteilung ist Ruwim Woloschin, ein Vizepräsident des Bundes.
Doch inzwischen kehrt der Alltag wieder ein; die Missionsabteilung ist mit der Vorbereitung der Bundeskonferenz Ende Juli beschäftigt. Bei seiner Sitzung Mitte März (wir berichteten) entschied der Bundesrat, finanzielle Kompetenzen verstärkt auf die Ortsgemeinden zu verlagern und den jährlichen Bundesbetrag um das Dreifache auf 150 Rubel (4,30 Euro) pro Gemeindeglied zu erhöhen. Das ist ein gewagter Schritt für viele Ortsgemeinden. Russische Spenden sowie eine anhaltende finanzielle Beteiligung des Auslands und die Vermietung von zwei der fünf Etagen der Bundeszentrale an säkulare Firmen sollen das finanzielle Loch stopfen.
Alexander Semtschenko, ein Jugendleiter des Bundes zu Sowjetzeiten, tat nach der Perestroika viel für die Öffnung des Baptismus zur Gesellschaft hin. Der Ausbau von interkonfessionellen Beziehungen – auch zur Orthodoxie und zum Katholizismus – ist nicht zuletzt auch ihm zu verdanken. Juri Sipko versicherte: „Ich habe hohe Achtung vor den Begabungen Alexander Semtschenkos und vor der Widmung seines Selbst und seiner Ressourcen für den Dienst der Kirche.“ Das Nationale Gebetsfrühstück und die hinreißenden Osterkonzerte der Freikirchen wurden ebenfalls von Semtschenko gefördert.
Leonid Kartawenko gesteht, er habe auch vor Februar von der Gründung einer neuen Moskauer Gemeinde geträumt. Gerade die unglücklichen Vorkommnisse des laufenden Jahres hatten nun die Entstehung einer neuen Gemeinde zur Folge. Er sagt: „Gott führt seine Arbeit durch alle Krisen hindurch.“
Die größten „Megagemeinden“ Rußlands haben rund 4.000 Mitglieder. Das sind vor allem zwei charismatische Gemeinden in Moskau und Perm/Ural. Moskaus historische, altehrwürdige „Erste Baptistengemeinde“ hatte im Jahr 2005 2.719 Mitglieder.
Dr. William Yoder
Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB
Moskau, den 6. Mai 2008
Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 08-20, 635 Wörter.
Alle genannten Personen haben ihren Wohnsitz in Moskau.
Anmerkung im Dezember 2020: Diese Gruppe ist (trotz ihrer lauten Musik) eine kleine Gemeinde geblieben. Geleitet wird sie weiterhin von Leonid Kartawenko; sie versammelt sich heute im Hauptbüro der Evangeliumschristen (WSECh) in der Nähe vom belorussischen Bahnhof. Ihre russischsprachige Webseite: "yourchurch.ru".