Ärmer aber nicht arm
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Peter Lunitschkin schafft eine neue Sozialabteilung für die russischen Baptisten
M o s k a u -- Peter Anatolowitsch Lunitschkin ist ein Beschenkter - gerade deshalb will er andere beschenken. Er berichtet, als Kind hätten er und seine sechs Geschwister manchmal nichts zu essen gehabt. Von daher kennt er aus erster Hand das Gefühl der Freude und Dankbarkeit, das aufkommt, wenn einem in der Not aus Liebe geholfen wird.
Sein Gebet, auch anderen sozial helfen zu können, wurde schon in der Gemeinde, die er in seiner Heimatstadt Wladikawkas gründete, erhört. Gerade die sozialen Erfolge in dieser Gemeinde, die heute 220 Mitglieder zählt, führten dazu, daß er vor einem Jahr von der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB) gebeten worden ist, einen Bundessozialdienst zu organisieren. Dieser Dienst wurde begünstigt durch seinen Umzug von der nordossetischen Hauptstadt nach St. Petersburg, wo er heute der Hauptgemeinde der Stadt vorsteht.
In Wladikawkas hatte seine Gemeinde die Betreuung und Versorgung von 500 vereinsamten Senioren organisiert. Christen vor Ort spendeten 400 Rubel (heute 11 Euro), um ihnen mehrmals monatlich Lebensmittel kaufen zu können. Auch Holländer waren mit 20 Euro im Monat dabei. In Schulen warnten Baptisten vor dem HIV-Virus; bei Subbotniks beteiligten sie sich daran, die Lebensumgebung der Mitmenschen zu verschönern. Bei einer Aktion in der umkämpften Republik Inguschetien schenkten seine Sonntagsschulkinder 35 Fahrräder an die Kinder eines Dorfes. Das war eine Aktion, der viele Vertreter von Staat und Kommune beiwohnten.
Er berichtet: „Es entwickelte sich eine tolle Zusammenarbeit mit staatlichen Organisationen. Bei Aktionen luden wir sogar die orthodoxen Geistlichen ein – und sie kamen auch. Aufgrund seiner Verdienste wurde der Pastor in die Menschenrechtskommission am Sitz des Präsidenten von Nordossetien – das Gebiet grenzt an Tschetschenien - geholt. Allen Unkenmeldungen zum Trotz glaubt Pastor Lunitschkin deshalb daran, daß orthodoxe Kreise nicht automatisch mit Widerstand auf humanitäre Vorstöße aus der protestantischen Ecke reagieren werden: „Ich meine, wenn wir weiterhin ähnliche Aktionen durchführen, werden wir keine Gegenwehr zu erwarten haben.“
Von St. Petersburg aus ist der emsige Pastor nun bemüht, eine Datenbank zu schaffen, die alle vorhandenen humanitären Maßnahmen und Ressourcen der Baptisten katalogisiert. „Wir haben Mediziner, Sozialtätige, eine hervorragende Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und viele gelungene Großfamilien. Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“ Ihm schweben ferner Aktionen gegen Tabakmißbrauch und Alkoholismus vor. Doch aller Anfang ist bescheiden. Seine Sozialabteilung hat keine bezahlten Mitarbeiter und er selbst bezieht sein Pastorengehalt von der deutschen Mission „Licht im Osten“.
Steine auf dem Wege
Der 46-jährige Großvater und Vater von sechs Kindern stellt fest: „Wir Russen sind selbstsüchtig. Es fällt uns zwar nicht schwer, Hilfe aus dem Westen weiterzugeben. Aber das eigene Hemd und das eigene Fahrzeug abgeben – das steht auf einem anderen Blatt. Deshalb besteht unsere Aufgabe darin, Menschen zu motivieren, von dem Ihrigen abzugeben.“
Er erzählt ferner von einer Stadt, in der es fünf Baptistengemeinden gibt. Doch unter ihnen besteht ein Konkurrenzdenken: „Ich meine, wir müssen den Menschen beibringen, sich am Erfolg des anderen mitzufreuen. Wir leben isoliert und jeder für sich – das ist unsere große Schwäche. Wir haben kein Vertrauen zueinander. Immer erscheint einer irgendwie verdächtig. Aber doch besteht das Problem nicht darin, daß wir Baptisten nicht lieben könnten. Wir lieben schon – doch wir fühlen uns nicht frei, unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen.“
In den Fragen von Reichtum und Armut tun sich in Rußland Widersprüche auf. „Natürlich sind wir ärmer als die Amerikaner,“ sagt der Pastor, „aber wir sind nicht arm. Es gibt immer Ärmere, denen wir zu opfern haben. Wenn jeder Baptist den Zehnten geben würde, würde unsere Kirche in Wohlstand schwelgen.“ Gleichzeitig sagt er aber auch: „Viele westliche Missionen haben Rußland verlassen und stellten dabei fest: ‚Rußland ist ein reiches Land.´ Das stimmt – doch das trifft nicht für die Gemeinden und Menschen im allgemeinen zu. Deshalb sind wir weiterhin auf die Hilfe westlicher Geschwister angewiesen. Ich sehe, daß die Kirchen im Westen gleichgültig geworden sind gegenüber Rußland, und das ist sehr bedauerlich.“
Bezüglich der Zukunft meint Pastor Lunitschkin: „Es ist für uns ein Problem, daß die Russisch-Orthodoxe Kirche sehr politisch geworden ist. Dahinter steckt das größte Problem Rußlands überhaupt: die fehlende Frömmigkeit. Deshalb auch besteht unsere Aufgabe darin, das Evangelium zu verkündigen und gegen niemanden persönlich aufzutreten - weder gegen die Staatsmacht, Charismatiker noch Pfingstler. Wir werden nur Erfolg haben wenn wir den allmächtigen Gott loben und aufhören, uns über die Unzulänglichkeiten anderer zu beklagen. Wenn wir das Evangelium in der Liebe leben, wird die Zeit kommen, in der die Gesellschaft erkennt, wie nötig sie uns hat.“
Dr. William Yoder
Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB
Moskau, den 24. April 2008
Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 08-18, 729 Wörter.