Woran der Spendenempfänger zu denken hat
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Eine Meinung
1. Problem
Zumindest die katholische und alle protestantischen Kirchen Rußlands sind auf internationaler Ebene nehmende Kirchen. Alle bekommen mehr Spenden aus dem Ausland, als sie Spenden ins Ausland geben. Deshalb sind die Beziehungen, die russische Gemeinden mit westlichen Gemeinden eingehen, in der Regel keine Partnerschaften, sondern Patenschaften. Und sie werden Patenschaften bleiben, solange der Geldfluß in eine Richtung verläuft.
In der westlichen Welt herrscht gegenüber Osteuropa Spendenmüdigkeit. Der westliche Spender ist ohnehin nicht auf Kontinuität angelegt. Er will dort spenden, wo plötzlich Trümmer entstanden sind: Beslan, der 9. September, Tsunami-Wellen. Oder wo gerade ein Eiserner Vorhang gefallen ist.
Lösungsansätze
„Gelinktes Spenden – matching funds“. Ein westlicher Kreis spendet $2 wenn die russische Seite ihrerseits $1 spendet. Normalerweise kommen dann $3 dem russischen Projekt zugute. Doch wenn der russische Anteil einem westlichen Projekt zugute kommt, beginnt sich eine tatsächliche Partnerschaft anzubahnen. Das würde westlichen Gemeinden helfen, ihre Zurückhaltung gegenüber „Partnerschaften“ abzubauen.
Westliche, christliche Förderung von Kleinbetrieben in Rußland. Es gibt den uralten, bestens bekannten Spruch in der Entwicklungspolitik: Lieber den Wenigerbemittelten das Fischen beibringen als ihnen Fische verschenken. Ein würdiges Unterfangen! Solche westlichen Projekte sind immer wieder an unehrlichen, osteuropäischen Geschäftemachern gescheitert. Aber sie dürfen nicht aufgeben. Nur durch wirtschaftliches Wachstum unter russischen Christen können ihre Gemeinden jemals finanziell selbständig werden.
2. Problem
Ausländische Spenden werden nicht gleichmäßig verteilt. Es gibt ein Wohnstandsgefälle in fast allen Denominationen. In der Moskauer Zentrale der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten gibt es eher wohlhabende und eher arme Abteilungen. Die Abteilungen für Jugendarbeit und für Mission sind attraktiver als juristische oder theologische Abteilungen. Es gibt auch wohlhabende und arme Ortsgemeinden. Moskauer Gemeinden haben mehr Beziehungen ins Ausland als Gemeinden in Tschita (Sibirien). Das ist alles verständlich und erklärlich – aber nicht gut: Wenn der Westspender nur die „Reichen“ zu sehen bekommt, wird das seine Spendenbereitschaft dämpfen. Und das werden die Ärmsten am meisten zu spüren bekommen.
Es gibt Kirchenvertreter in Rußland, die an Computern und Elektronik besser ausgestattet sind als ihre westlichen Partner. Wenn beim westlichen Spendengeber der Eindruck entsteht, es gehe dem Spendenempfänger besser als ihm selber, kommt Ärgernis auf.
Lösungsansätze
Ein bescheidener Lebensstil. Wer mehr Spenden empfängt als er gibt, muß sich bescheiden. Es geht nicht darum, meine schönen Computer und Fahrzeuge vor den Spendern zu verstecken – ich kaufe sie gar nicht erst. Die Bescheidenheit wird nicht zur Schau gestellt – man ist es wirklich. Bei Christen hat die bewußte Täuschung keinen Platz.
Ich bemühe mich um Kostendämpfung – dann bleibt mehr Geld für andere übrig. Auch wenn andere für die Kosten meines Fluges aufkommen, suche ich den billigsten Flug. Denn alle Spendengelder sind von Gott. Manche Kirchenvertreter kaufen ihre Tickets zwei Tage vor dem Abflug, gerade wenn sie am teuersten sind. Oft hätten sie die Tickets auch einen Monat eher erwerben können.
Wenn mich ein wohlhabenderer Mensch ins Restaurant einlädt, bestelle ich keines der teuersten Gerichte.
Klare Absprachen zwischen Spender und Empfänger. Ein Beispiel: Mir wird eine Fahrt zu einer Konferenz im Westen gespendet. Der Konferenzgast aus dem Westen muß hingegen selbst für seine Kosten aufkommen. Weil die Fahrt eben kostenlos war, bringe ich auf eigene Rechnung noch die Ehefrau mit. Doch die Ehefrau des westlichen Konferenzteilnehmers bleibt zuhause – aus finanziellen Gründen. Der (Ost)Empfänger wertet die kostenlose Fahrt als eine Preisermäßigung, die es ihm ermöglicht, die Ehefrau mitzubringen. Doch der (West)Geber hatte die Absicht, durch die kostenlose Fahrt dem Empfänger die Konferenzteilnahme überhaupt erst zu ermöglichen. Deshalb gehe es aus westlicher Sicht nicht an, daß der Empfänger die Ehefrau auf eigene Kosten mitbringt. Die häufigen Mißverständnisse in derartigen Fällen machen klare Absprachen zwischen Geber und Empfänger dringend erforderlich.
Transparenz ist notwendig, damit Vertrauen entstehen kann. Hier sind längst nicht alle Westmissionen vorbildlich. Wer Spenden empfängt, ist zur Transparenz verpflichtet – dem Geber, und auch den Geschwistern zuhause in Rußland gegenüber. Das führt letztlich dazu, daß eine schleichende Umverteilung zugunsten der Ärmeren stattfindet.
3. Problem
Ein fast unabgesprochenes, unkontrolliertes Investieren. Dieses Problem hängt eng mit dem Problemfeld 2 zusammen.
Man wollte Optimismus und einen großen Glauben unter Beweis stellen – oder man wollte den Orthodoxen imponieren. Darum entstanden – oder entstehen – Kirchenbauten, die zu groß geraten sind. Sie schreiben die finanzielle Abhängigkeit von westlichen Geldgebern auf Jahrzehnte fort. Ein paar dieser Bauten werden wohl nie fertiggestellt.
Hier steht eine Grundsatzentscheidung an: Imponierende Kirchenbauten oder wachsende finanzielle Selbständigkeit gegenüber dem Westen. Beides ist auf absehbare Zeit nicht gleichzeitig zu haben.
Ohne eindeutig nachweisbaren Bedarf entstand ein neues Seminar oder eine neue Bibelschule. Die örtliche Gemeindeleitung hat es gewollt und einen willigen Spender im Westen (oder Korea) gefunden. Oder es geschah genau umgekehrt: Ein williger Spender im Westen suchte eine örtliche Gemeindeleitung in Rußland.
Lösungsansätze
Mehr Entscheidungsmacht der Kirchenzentrale! Das klingt furchterregend in einer dezentralstrukturierten, von unten aufgebauten Kirchenunion. Doch die Ungerechtigkeiten müssen abgebaut werden, das kirchliche „Wohlstandsgefälle“ ein wenig geebnet. Der weise Umgang mit Spenden verlangt das. Die müden Spender im Westen erwarten Effizienz. Kirchenbauten müssen abgesprochen und abgesegnet werden. Es geht auch nicht mehr an, daß ein Seminar aufgemacht wird ohne Absprache mit der Zentrale.
In die Zentrale gehören bewährte Fachleute, die ihr Wissen und Können bereits unter Beweis gestellt haben. Die RUECB hat Expertenkommissionen gebildet – das ist ein sehr guter Ansatz. Die Zentrale muß sich wirklich an die Arbeit machen. Dann wissen die Spezialisten in der Zentrale mehr; sie haben dann einen besseren Überblick über die Gesamtlage als Gemeindevertreter in der Provinz und ihre ausländischen Partner. Die Zentrale muß den Gemeinden in der Provinz von ihrem guten Willen und ihren Fachkenntnissen überzeugen.
Eine dezente, allmähliche Machtverlagerung verlangt viel Fingerspitzengefühl. Kommunikation ist höchstes Gebot. Entscheidungen dürfen nur in Absprache mit der Provinz gefällt werden. Auch im kirchlichen Bereich sind Moskauer Zentralen anderweitig meistens unbeliebt. Ohne Fingerspitzengefühl kann eine Gemeinde aus dem Bund aussteigen und gemeinsam mit ihrem westlichen Spender einen eigenen, völlig selbständigen Weg einschlagen. Dem westlichen Spender ist sein Projekt wichtig – ob dabei die Beziehung zur Kirchenunion Schaden nehmen, ist ihm oftmals zweitrangig.
Es gibt sehr zentralistisch geführte Kirchen: Römisch-Katholiken, Methodisten, Adventisten. Das schadet Eigeninitiative und der Kreativität. Beide Strukturen – ob von oben oder unten - haben große Vor- und Nachteile. Baptisten brauchen einen mittleren Weg.
4. Problem
In Rußland ist es sehr teuer und ineffizient, Geld in den Kollektenkorb zu werfen. Die staatlichen Abgaben können 40% erreichen. Diese Lage ist schwer zu verändern. Meistens will eine Mehrheitskirche nicht, daß den Minderheitskirchen gleiche Rechte eingeräumt werden. Dann ist die Abhängigkeit der Kleinen von ausländischen Geldgebern gewollt.
Lösungsansätze
Gefragt ist ein langfristiger, breitangelegter Einsatz für politische Veränderungen bezüglich der Wohltätigkeit und des Vereinswesens. Orthodoxe Christen guten Willens könnten dabei helfen - auch Ungläubige, die für die Gewissens- und Religionsfreiheit eintreten. Spenden für wohltätige Zwecke müssen steuerlich absetzbar sein! Das ist in den entwickelten Demokratien seit Jahrzehnten gang und gebe.
Die finanzielle Not in Rußland bleibt unbestreitbar. Die Frage ist nur – wie trägt man am besten zur Linderung der Not bei?
Dr. William Yoder
Medienreferent
Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB
Moskau, den 16. November 2007
Keine offizielle Pressemeldung der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Der Text gibt vor allem die Ansichten seines Verfassers wieder. Nr. 07-46, 1.130 Wörter