Auch das Orgelspiel kann zu Christus fuhren
Es gibt verschlungene Wege zu Christus. Im Falle des Moskauer Pastors Dmitrij Romanowitsch Lotov verlief er über die Orgelmusik. "Für mich ist die Orgel ein zutiefst kirchliches Instrument," versichert er, "ich kann zwischen Kirche und Orgel nicht unterscheiden. Ich kann ohne beide nicht leben. Eine Orgel gehört zu mir, sie ist Bestandteil meines Lebens. Wenn ich von der Orgel oder Liturgie ferngehalten werde, werde ich krank." Weder seine Liebe zur Orgel noch zum Glauben kann der gelernte Orgelpfleger rationell erklären. "Manches kann man nur fühlen. Es gab eben einen bestimmten Augenblick in meinem Leben, in dem ich die Gegenwart Gottes verspurte."
Dmitrij Lotov stammt aus einer atheistischen Moskauer Familie; seine wissenschaftlich aktiven Eltern verstehen sich bis heute als Materialisten. Doch schon mit acht oder neun Jahren begann er an Gott zu glauben. "Niemand erzahlte mir von Christus," fugt er hinzu. "Erst mit 13 oder 14 Jahren machte ich eine Bibel ausfindig. Erst nachdem ich in ihr gelesen hatte, wurde ich Christ." Getauft wurde er 1989 mit 24 Jahren.
Die enge Verbindung zur Orgel und zur Liturgie hangt damit zusammen, dass der Pastor erst in Lettland (in Riga und Ventspils) mit dem protestantischen Glauben in Berührung kam. Während seiner Schulzeit hatte seine Familie die Sommermonate in Riga verbracht; bis heute bleibt die dortige Alte-Sankt-Getrauden-Kirche die Verkörperung all dessen, was der lutherische Glaube für ihn bedeutet. "Das ist wirklich mein Ort," betont der Pastor. "Der dortige Pfarrer war zwar klein, hatte jedoch eine tiefe Stimme und gestaltete den Gottesdienst und die Liturgie in einer höchst feierlichen Weise. Das war ein ausgesprochen konservativer, lutherischer Gottesdienst, genau wie er vor 100 Jahren im russischen Zarenreich gefeiert worden ist. Ich habe alle meine liturgischen Besonderheiten von diesem Pfarrer übernommen."
Die Vorliebe fürs Lettische erstreckt sich auch auf die Person des gegenwärtigen lettischen Bischofs, Janis Vanags. "Noch bin ich ihm nicht begegnet," sagt Pastor Lotov, "aber ich würde gerne seine Bekanntschaft machen. Er tritt wie ich für die Wahrung der hochfeierlichen Kirchentradition ein. Er ist ferner - wie ich - gegen die Ordination von Frauen." Als Anhänger des lettischen Luthertums bekennt er mit Schmunzeln, dass er bei seinem Theologiestudium in Gettysburg/USA in den Jahren 1994-95 oftmals auf wenig Verständnis stieß. "Ich denke nicht, dass sie mit mir zufrieden waren. Ich war ihnen zu konservativ."
Für die Zukunft stellt er sich eine starke, in sich geschlossene Kirche vor. Stärke misst er nicht an der Zahl von Kirchengemeinden. "Wir haben eine sehr weiche Theologie," stellt der Pastor fest, "die Kirche spricht nicht mit einer Stimme. Ich wünsche mir jedoch, dass die Kirche eindeutig zur eigenen Konfession steht, und das ist die Konkordienformel. Es ist sehr bedauerlich, dass nicht einmal alle Pastoren die Konfessionsschriften der eigenen Kirche kennen."
Dem Christentum räumt er Vielfalt ein, doch beim Thema Ökumene betont Pastor Lotov, dass nur drei Konfessionen, die lutherische, reformierte und anglikanische, Kirchen der Reformation seien. Er ist nicht der Auffassung, dass weitere Konfessionen (Baptisten oder Methodisten z.B.) als reformatorisch einzustufen seien. Deshalb lehnt er ein gemeinsames Abendmahl mit den "Freikirchen" ab. Auch deren Weg führe zu Christus, versichert er, "aber unsere Vereinigung wird erst im Himmel stattfinden. Mir fallt die Aufgabe zu, der Konfession treu zu bleiben, in der ich getauft und konfirmiert wurde. Ich wurde als Lutheraner getauft und möchte als Lutheraner sterben."
Dmitrij Lotov hat vor drei Jahren das Theologiestudium am Seminar in Novosaratovka absolviert. Doch begonnen hatte er bereits 1992 am damaligen Seminarstandort Riga. In der St. Peter-und-Paul-Kirche ist er seit sechs Jahren tätig. Als Pastor ist er u.a. für den russischsprachigen Gottesdienst, Konfirmandenunterricht und Jugendkreis verantwortlich. Pastor Lotov ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von elf und neun Jahren.
Dr. William Yoder
Berlin, den 7. Mai 2003
Artikel in
Absprache mit der ELKER verfasst und zur Veröffentlichung freigegeben, 605 Wörter
Anmerkung von August 2021: Im Jahre 2010 mußte sich Dmitri Lotow (verschiedene Schreibweisen) von der St. Peter-und-Paul-Gemeinde verabschieden. Daraufhin gründete er in Moskau eine zweite Gemeinde gleichen Namens. Siehe hierzu unsere Meldung vom 11. April 2012. Heute gehört seine Gemeinde – sie ist weiterhin ohne eigenen Kirchenbau – zur „Evangelisch-Lutherischen Kirche Ingermanlands in Rußland“ (ELKIR).