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Auf Kapellensuche in Königsberg/Kaliningrad

Eine Tour durch die baptistische Archäologie

 

Nun verstehe ich weshalb die erst 1928 fertiggestellte Baptistenkapelle in Königsberg, Salzastraße 7, wuchtig und repräsentativ ausgefallen ist. Sie stand gegenüber dem damaligen Schauspielhaus und war dessen Baustil angepasst. Heute fungierte das inzwischen mit Säulen versehene Schauspielhaus als Bezirkstheater. Dort wo einst die Kapelle stand, befindet sich ein kleiner Park.

 

Aufgegangen ist diese Erkenntnis bei einer schlammigen Kapellentour durch die inzwischen russische Stadt Kaliningrad an einem verregneten 16. Oktober 2002. Bewappnet war die Gruppe mit Photokopien aus dem Bundesarchiv in Elstal. Der Elstaler Archivar Hans-Volker Sadlack, der an diesem Tage selbst mit von der Partie war, wusste zu berichten, dass Standort und Ausführung der Kapelle Salzastr. nicht zuletzt den hervorragenden kommunalen Beziehungen der Gemeindeglieder zu verdanken waren. Zu ihnen zählte wohl an erster Stelle der Baustadtrat Paul Kuczewski.

 

Nobel war ebenfalls die mit den Häusern der Logen bestickte Umgebung der Kapelle Hintertragheim 12 am Schlossteich. Diese Kapelle ist dem Erdboden nicht gleich: In einem Park zwischen den Kaskaden und dem heutigen Gewerkschaftshaus und gegenüber dem Bernsteinmuseum am Oberteich bestehen Anhöhen, die aus Bauschutt bestehen. Eine davon ist zweifellos das Fundament unserer Kapelle. Hier könnten sich mit guten Aussichten auf Erträge echte Archäologen ans Werk machen.

 

Im Rahmen einer Städtepartnerschaft will der Stadtbezirk Berlin-Lichtenberg zur Sanierung der benachbarten, inzwischen stillgelegten Kaskaden beitragen – 2005 wird ja der 750. Geburtstag der Stadt begangen. Werden auch Jugendliche aus der EFG Berlin-Lichtenberg Hand mit anlegen? Das ist noch nicht ausgeschlossen.

 

Alle Bemühungen unserer beiden, rührigen russischen Begleiter und die kartographischen Kenntnisse des Berliner Pastors Reinhard Assmann konnten nicht verhindern, dass die Suche nach den sieben ehemaligen Hauptkapellen meistens auf leeren, von lädierten Plattenbauten umgebenen Rasenflächen endeten. So geschehen an den ehemaligen Standorten der Gemeinden Neuer Graben 8c, Sackheim 105 und Unterhaberberg 12.

 

Wir nahmen die alten Stadtpläne genau unter die Lupe. Doch ausnahmsweise war die Kapelle der Gemeinde Klapperwiese nirgends eingezeichnet. Dort wo nach Hans Luckey einst die Prediger mit Zylinder und weißen Handschuhen auf die Kanzel stiegen, liegt rechts ein Park und links ein Supermarkt. Doch um die Ecke befinden sich die Wohncontainer des Straßenkinderprojekts „Jablonka“ (Apfelbäumchen). Hätten wir auch deshalb eine besondere Verantwortung für dieses Projekt? Es wird gegenwärtig von Pfingstlern und Lutheranern geführt.

 

Die Klapperwiese liegt wie die Salzastr. und Hintertragheim im Stadtzentrum unweit der Dominsel. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass diese Bauten im anglo-amerikanischen Bombenhagel von Sommer 1944 viel abbekamen.

 

Richtig fündig wurden wir Hobbyarchäologen nur in Juditten, einst Friedrichswalder Allee 10. Anhand unserer Fotokopien war ein kastenartiges Restaurant sofort als die ehemalige Baptistenkapelle zu erkennen. Die Inneneinrichtung des auch als Diskothek genutzten Baus ist jedoch völlig verändert, eine Zwischendecke eingezogen. Ungefähr dort, wo die Kanzel einst stand, befindet sich heute eine Stripperbühne mit Spiegeln. Wahrscheinlich ist dieser Bau nicht als Gotteshaus entstanden – er ist es auch jetzt nicht.

 

Der Niedergang des Hauses tat der Unbefangenheit der versammelten Köchinnen keinen Abbruch; wir wurden zur Wiederkehr eingeladen. Die Frauen erzählten, dass vor etwa fünf Jahren der Sohn eines ehemaligen Pastors zu Besuch gekommen war. Wessen Sohn ist das gewesen - und würde er sich mal bei uns melden?

 

In der Dämmerung an einem hohen Zaun vor einem Militärgelände mit einem bellenden Wachhund wurden wir ein zweites Mal fündig. An der Krümmung des gepflasterten Gehwegs hinter dem Zaun war zu erkennen, dass es sich weiter hinten jenseits der Bäume um die Kapelle Ponarth handelte. Dort war einst Hermann Lorenz, der Vater von Bethel-Vorsteher Dr. Wolfgang Lorenz, Pastor. Heute ist die Kapelle eine Lagerhalle der russischen Armee. Wäre der leitende Offizier da gewesen, so meinte die Pförtnerin, hätte er uns aufs Gelände gelassen. Vielleicht ein anderes Mal?

 

Ähnlich wie im entfernten Gumbinnen wurde in Königsberg-Ponarth die obere Hälfte der Kapelle abgetragen und viele Fenster zugemauert. In beiden Fällen ist der heutige Schuppen kaum als ehemaliges Gotteshaus zu erkennen. Allerdings ist in Gumbinnen die fromme Inschrift am Portal noch erhalten.

 

In Königsberg-Rosenau in der Uliza Kosmodjemjanskoj stießen die drei Ausländer auf eine imposante Kapelle freikirchlichen Zuschnitts. Heute fungiert der Bau als Wohnhaus und Lebensmittelladen. Wir hielten es jedoch nicht für die ehemalige Kapelle Jerusalemer Str. 18a. Doch um welche Konfession handelte es sich? Am allerwenigsten wussten es die Anwohner - sie stammen ja allesamt von anderen Sternen.

 

In der ehemaligen Baptistenhochburg Königsberg stand vor Ausbruch des II. Weltkriegs 14 Baptisten oder Elim-Kapellen bzw. Gemeinderäume. An diesem Tage konnten wir nur die Hälfte der Standorte aufsuchen. Nur von zwei Kapellen sind Überreste zu entdecken, wie es uns auch Anatolij Krikun, Pastor der heutigen, baptistischen Hauptgemeinde in der Uliza Gagarina 18 (einst Labiauer Str. hinter dem Königstor) bestätigte. Auch das Haus der Diakoniegemeinschaft Bethel steht nicht mehr.

 

Von den alten deutschen Kapellen wird nur noch die Kapelle Palmnicken teilweise von Baptisten genutzt. Das Dach der Kapelle Tilsit ist vor wenigen Jahren eingestürzt; in Pobethen/Samland ist die ehemalige Baptistenkapelle noch relativ heil. In der renovierten, ehemaligen Stationsgemeinde am Badeort Cranz befindet sich ein Museum.

 

Wäre es sinnvoll, ein Büchlein zum damaligen und heutigen Zustand der baptistischen Bauten Nordostpreußens zu verfassen? Der Wille ist vorhanden – es ist vor allem eine Frage von Zeit und Geld. Der russische Orthodoxe Anatolij Bachtin würde uns dabei helfen - die Baptisten vor Ort natürlich auch. Stadtarchivar Bachtin hat bereits ein preisgekröntes, in mehreren Auflagen erschienenes Buch verfasst, das den Zustand aller lutherischen Kirchen im Gebiet vor dem II. Weltkrieg und heute darstellt. Es trägt den Titel „Vergessene Kultur. Kirchen in Nord-Ostpreußen“.

 

Die drei „Archäologen“ sind für weitere Vorschläge und Informationen offen.

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 5. März 2003

 

Verfaßt für die Zeitschrift "Die Gemeinde"/Kassel, 900 Wörter