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Propst Wolfram nimmt seinen Abschied aus Kaliningrad

Anderen ein gemachtes Bett hinterlassen

 

„Jeder diene mit der Gabe, die Gott ihm gegeben hat,“ heißt es im Neuen Testament. Das hat der scheidende Propst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Propstei Königsberg/Kaliningrad, Erhard Wolfram, beherzigt. Denn obwohl er der Landessprache nicht mächtig war, hielt ihn dies nicht davon ab, dem Leben der hiesigen Gemeinden seinen Stempel aufzudrücken. Dieser Propst wird als der bauende Propst in die Geschichte eingehen. In nur drei Jahren hat er sechs Gemeindehäuser aus dem Boden gestampft oder saniert: Lomonossowka/Mauern, Labiau/Polessk, Groß Legitten/Turgenjewo, Mühlhausen/Gwardejskoje, Friedland/Prawdinsk und Paterswalde/Bolschaja Poljana. Dazu gehört ferner das Museum am Kulturstandort Arnau/Marino. In Liska-Schaaken/Niekrassowo steht der Umbau einer Sauna in ein Gemeindehaus bevor. Der Probst hat diesen sechs Gemeinden ein „gemachtes Bett“ hinterlassen. Nun wird es das Gebot der Stunde sein, diese neuen, schönen Gemeindehäuser noch stärker mit Leben zu füllen.

 

Bedauerlich, dass Propst Wolfram nicht eher am Kirchenbau Kaliningrad Hand mit anlegen konnte. Seine Einführung am 27.2.99 fand erst 10 Wochen vor der Einweihung der Auferstehungskirche statt. Hinterher war er sich aber nicht zu schade, nach St. Petersburg zu jetten, um den verlangten Lehrgang zum Erhalt eines Heizer-Aufsicht-Scheines abzuschließen. Erst danach durfte die Auferstehungskirche ihre Heizungsanlage in Betrieb nehmen.

 

Die manuellen Fertigkeiten von Erhard Wolfram lassen sich aus seinem Lebenslauf erklären. Geboren 1938 in Schalcksmühle unweit von Lüdenscheid, musste seinem Vater neun Jahre später nach einem Unfall ein Unterschenkel amputiert werden. Darum hat er schon in jungen Jahren tüchtig beim Arbeiten am Elternhaus und im Garten mitgeholfen. Es folgte eine Ausbildung zum Maschinenschlosser. Hätte er nicht den Ruf Gottes verspürt. wäre er Ingenieur geworden. Stattdessen trat er 1959 ein dreijähriges Studium an der Evangelistenschule Johanneum in Wuppertal an.

 

Erst nach einigen Dienstjahren unter Alkoholikern (Blaues Kreuz) und später unter Jugendlichen begann er mit dem eigentlichen Theologiestudium eines Pfarrers. Im Jahr 1971 trat er in Hannover-Linden seinen ersten Dienst als Gemeindepfarrer an. Es folgten 18 prägende und glückliche Jahre (1981-99) in Sulingen südlich von Bremen. Da bleibt ein großes Spektrum in lebhafter Erinnerung: Gemeindefeste, Konfirmandenunterricht, Familienfreizeiten, Bibelwochen, Hausbesuche und das Zusammenleben mit den drei inzwischen erwachsenen Kindern.

 

Die Wolframs, die 1965 geheiratet haben, erlebt man eigentlich nur im Duo. Stets trug Luise Wolfram den Dienst ihres Mannes mit; ihn unterstützte sie wo sie nur konnte. Diese 1939 in Königsberg geborene Lehrerin ist außerdem eine hervorragende Kennerin der Landschaft und Städte des nördlichen Ostpreußens. Sachkompetenz, Kenntnisse der russischen Sprache und eine gewinnende Art haben sie zu einer Reiseführerin erster Klasse gemacht. Es gab nicht wenige Reisegruppen aus Deutschland, die ihre Dienste zu schätzen wussten. Im Aufbau des neuen Kirchenzentrums hat sie sich um die Organisation der Gemeindeküche, der Näh- und Handarbeitskurse und der monatlichen Konzerte gekümmert sowie für die Verstärkung der kirchenmusikalischen Arbeit gesorgt.

 

Eben längst nicht nur im Gemäuer hat sich der Dienst des Ehepaars Wolfram verewigt: Wie vielen Menschen ist, meistens im Stillen, geistlich und materiell unter die Arme gegriffen worden! Gerade im August 2002 fiel die Hauptscheune einer tüchtigen Bauernfamilie einer Brandstiftung zum Opfer. Noch schlugen die Flammen hoch, als der Propst fünf Stunden nach dem Anschlag vorfuhr um der Familie Trost und Zuspruch zu spenden. Die Wolframs haben ein großes Herz für die Menschen; davon zeugt nicht zuletzt die vielen in Kaliningrad geschlossenen Freundschaften.

 

Auch organisatorisch brachte Erhard Wolfram das Gemeindeleben voran: Monatliche Pfarrkonferenzen und das Schaffen von Gemeinde- und Propsteiräten bauten die Strukturen von Gemeinde und Propstei aus. Für die Verwaltung konnten neue, fähige Mitarbeiter gewonnen werden.

 

Seine große ökumenische Offenheit hat der Propst nicht erst in Kaliningrad offenbart. In Sulingen war jahrelang der Bürgermeister ein Baptist; mit ihm und der katholischen Kirchengemeinde kam Pfarrer Wolfram bestens aus.

 

Welchen Rat gibt er den Gemeinden mit auf dem Weg? „Unbeirrt auf dem Grund weiterzubauen, der Jesus Christ ist,“ sagt der Propst. „Wir dürfen uns nicht blenden lassen von allen möglichen Nebenthemen.“ Humanitäre Hilfe und Diakonie seien ehrenwert und wichtig, man müsse jedoch stets die Rangordnung im Auge behalten. Für die Kinder- und Jugendarbeit hat der Scheidende nach wie vor ein großes Herz.

 

Seinem Nachfolger, dem bisherigen Pastor von Gumbinnen/Gusew, Heye Osterwald, gibt er den Rat, im Falle von Schwierigkeiten und Kontroversen „die Dinge getrost beim Namen zu nennen“. Und ferner: „Wichtig ist, dass wir Leute haben, die nicht nur bei uns beschäftigt sind, sondern auch innerlich unsere Arbeit mittragen. Wir haben eine Reihe solcher Mitarbeiter und darüber bin ich froh und dankbar.“

 

Nach der Verabschiedung am 1. September und der Rückkehr nach Hannover wird das Rentnerehepaar noch lange nicht von der Bildfläche verschwinden. Luise Wolfram hat sich als hervorragende Spendenwerberin bewährt. Da möchte das Paar in Deutschland – aber auch in USA – zum Wohle der Gemeinden im Kaliningrader Gebiet weitersammeln. „Ganz zurückziehen können wir uns so plötzlich nicht, wenn man einen Teil seines Herzens hier verloren hat,“ meint der scheidende Propst. „Aber es soll klar sein, dass wir uns nicht aufdrängen wollen. Wenn der Eindruck entstehen sollte, wir mischten uns noch zu sehr ein, dann werden wir uns weiter zurücknehmen.“

 

Dr. William Yoder

Kaliningrad, den 30. August 2002

 

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