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Die Baptistengemeinde Stettin/Szczecin

Ein Buch mit mehreren Kapiteln

 

B e r l i n -- PR ist noch nicht ihre Stärke, doch anfangen muß jeder irgendwann. Von daher nahm die Baptistengemeinde Stettin (Szczecin) ihren 150. Geburtstag zum willkommenen Anlaß, die Öffentlichkeit einzuladen. Erschienen zu den Feierlichkeiten vom 9. bis 11. Juni sind neben Dutzenden von Ehemaligen aus ganz Polen das Fernsehen und zwei große Stettiner Zeitungen. Im Fernsehen dieses sehr katholischen Landes war anschließend eine baptistische Taufe zu bestaunen. Gemeindeglied Wojciech Mikulski erklärt: "Oft werden wir für eine Sekte gehalten. Deshalb wollten wir den Menschen unserer Stadt zeigen, daß die Baptisten weder klein noch neu sind."

 

Wohl nur im Hinblick auf die westlichen Nachbarn ist dieser Vorstoß in die Öffentlichkeit mißlungen. Eine von nur zwei anwesenden Deutschen und die einzige Ehemalige aus den ersten 100 Jahren der Gemeinde war Waltraud Junge von der EFG Berlin-Schöneberg, Hauptstr. Sie wurde 1940 in dieser Kapelle aus dem Gemeindeunterricht verabschiedet. Ihr Lehrer war der heute in Velbert lebende Pastor i.R. Herbert Weinert.

 

Eigentlich zählt die Gemeinde bereits 154 Lenze. 1844 hatte der gelernte Maurer Johann Friedrich Klauder (1793-1880) mit Bibelstunden begonnen. Als er sich Anfang 1846 in Berlin taufen und ordinieren ließ, zählte der Kreis bereits 200 Besucher. Überhaupt hatte diese Gemeinde viel mit Berlin zu tun: Zur offiziellen Konstituierung als Baptistengemeinde am 2.8.1846 hielt der Berliner Julius Köbner die Predigt. Auch Johann Gerhard Oncken war aus Hamburg erschienen. Noch vor der Konstituierung war Pastor Klauder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Erst nachdem er mit seinem in den Befreiungskriegen erworbenen Eisernen Kreuz zum preußischen König Friedrich Wilhelm IV. im Berliner Schloß vorgelassen worden ist, zogen die Polizisten vor seinem Stettiner Domizil ab. Diese Großzügigkeit des Königs trug wesentlich dazu bei, daß Klauder 1846 133 Gläubige taufen konnte.

 

Allerdings war Johann Klauder bei der Gemeindegründung schon nicht mehr dabei. Letztlich war sie eine Art Spaltung, denn sie mußte mit 57 "Abtrünnigen" aus dem Klauderschen Kreis vorgenommen werden. Fünfzig Jahre später schrieb der langjährige Stettiner Pastor Hermann Liebig (1839-1914): "Klauder nahm allerlei irrthümliche Anschauungen an, hielt auf Erscheinungen und Gesichter, bestimmte selbständig und ließ sich von den nüchtern denkenden Brüdern nichts sagen. . . . Die von Berlin ertheilten Ermahnungen und Aufklärungen fanden kein Gehör." Erst 1887 schlossen sich die letzten Reste der Klauderschen Gemeinde der Baptistengemeinde an. Zum 50. Jubiläum 1896 verzeichnete die Gemeinde 456 Mitglieder.

 

Aus dieser Gemeinde und deren Stationen sind nicht wenige leitende Persönlichkeiten hervorgegangen: Der 1903 verstorbene Wilhelm Weist (Großvater des Präsidenten unseres DDR-Bundes Herbert Weist) führte in Ostpreußen Tausende zum Glauben. August Haese (1824-1912) war 44 Jahre lang Pastor der Gemeinde Varel. Die jetzigen Pastoren der Gemeinden Poznan/Posen (Piotr Zaremba) und Gorzow/Landsberg (Dariusz Chudzik) sind Stettiner. Pastor der 120 Mitglieder zählenden Stettiner Gemeinde ist seit 1970 Wladyslaw Wakula.

 

Baugeschichten

Gerade jetzt sind die polnischen Geschwister in Verhandlungen mit der Kommune bemüht, endlich als Eigentümer der Kapelle in der Stoislawa (einst Johannisstr.) 4 anerkannt zu werden. In diesem Falle sind die erforderlichen, dokumentarischen Belege vorhanden. Ohnehin lugt aus den Außenmauern der 1855 eingeweihten Kapelle der ursprüngliche, deutsche Name hervor. Erst nach der Eintragung ins Grundbuch kann die Sanierung anlaufen, doch dafür fehlt das nötige Kleingeld. Der Bau dieser Kapelle war in starkem Maße den von Oncken in USA und England gesammelten Geldern zu verdanken. Man wird wohl nicht umhinkönnen, mit Ressourcen aus der gleichen Himmelsrichtung dieses marode Denkmal und Gotteshaus vor dem endgültigen Verfall zu retten.

 

Am Anfang wie heute verfügt die Stettiner Gemeinde über Stationen. Gegenwärtig sind es die Gemeinden Swinoujscie/Swinemünde, Chociwel/Freienwalde, Choszczno/Arnswalde, Gryfino/Greifenhagen und Lobez/Labes. Im Stettiner Raum erheben die Baptisten jetzt Anspruch auf 11 staatseigene Immobilien; bei nur zwei von ihnen liegt die erforderliche Dokumentation vor. Eine Rückübertragung auf die Baptisten ist dennoch möglich, wenn zwei (auch deutsche) Zeugen aus Vorkriegszeiten Aussagen über die damaligen Besitzverhältnisse machen können.

 

Nahezu alle polnischen Gemeinden wünschen sich Partnerschaften und Jugendbegegnungen mit deutschen Gemeinden. Erfreulich ist, daß die Stettiner Geschwister nur von einer einzigen Gemeindegeschichte berichten. Der angehende, in Texas studierende Theologe Robert Merecz sagt z.B.: "Unsere polnische Geschichte ist nur ein weiteres Kapitel desselben Buches."

 

Mehr über die Gemeinde läßt sich auf Polnisch im Internet unter "www.dlajezusa.org.pl" erfahren.

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 26. Juli 2000

 

Verfaßt für „Die Gemeinde“, das Blatt der deutschen Baptistengemeinden, 673 Wörter