Gegen das Böse hat Gott etwas vorgenommen
"Nach vorne schauen" war einer der wichtigen Ratschläge, die der SPD-Politiker Hans Koschnik am 12. Mai 2000 den Zuhörern in der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Steglitz mitteilte. Nur mit dieser Blickrichtung lassen sich Wunden und Verletzungen überwinden. Als Negativbeispiel führte der Bremer Bürgermeister und Europäischer Administrator der Stadt Mostar die Haltung der Serbisch-Orthodoxen Kirche 1992 an. Als Bedingung für die Aufnahme von Gesprächen mit der Römisch-Katholischen Kirche verlangte sie eine Entschuldigung nicht nur für die Vergehen des Vatikans im II. Weltkrieg, sondern ebenfalls für die Kirchenspaltung von 1204.
Als Mensch, der schon in jungen Jahren in Israel Erfahrungen über das Zusammenleben der Völker gesammelt hatte, hebt dieser evangelische Christ aus kommunistischem Zuhause den geographischen Gesichtspunkt auf Kosten des nationalen hervor. Beispielsweise hatten sich über Jahrhunderte die muslimischen, katholischen, orthodoxen und jüdischen Bewohner von Mostar als "Mostari" bezeichnet. Dies würde - am Abend unausgesprochen - bedeuten, dass "Berliner" nicht zwangsläufig deutscher Nation sein müssen.
In Bosnien sah es Hans Koschnik als seine Aufgabe an, Brücken und Plattformen zwischen den verfeindeten Lagern zu schaffen. Scharfmacher bestehen in allen Lagern, versicherte er, und fügte hinzu: "Es gibt auch nicht DIE Kirche und nicht DEN Islam". Für die Kriege auf dem Balkan seien die Nationalisten schuld, dennoch möchte der Politiker nicht primär von Schuld, sondern von Opfern reden.
Dabei ist das Kosovo ein besonders harter Brocken. Während sonstwo im serbisch-slowenisch-kroatischen Bereich die Bürger sich verständigen können, auch wenn sie auf die eigene Mundart pochen, ist dies im Falle der nichtslawischen Sprache Albanisch nicht gegeben.
"Gebt den Leuten Zeit," meinte der 71-Jährige immer wieder. Erst in letzter Zeit beginnen die im spanischen Bürgerkrieg geschlagenen Wunden zu verheilen; uns dürfe es deshalb nicht wundern, wenn eine Aussöhnung zwischen den Völkern ex-Jugoslawiens auf sich warten lässt. "Wir können nur alles tun, damit kein neuer Brandherd entsteht."
Die Frage der Informationen kam ebenfalls häufiger auf. Dabei betonte der Redner das Gefälle zwischen Stadt und Land auf dem Balkan. Während die Bewohner größere Städte Zugang zu einer Vielfalt von Medien haben, sind die Dorfbewohner den Presseerzeugnissen und elektronischen Sendungen der Machthaber ausgeliefert.
Mit einem denkwürdigen Märchen schloss Peter Muskolus, Pastor der Steglitzer Gemeinde, den Offenen Abend ab: Auf die Frage, warum Gott das Böse zulasse, habe Gott erwidert: "Ich habe doch etwas dagegen getan - ich habe dich geschaffen."
Dr. William Yoder
Berlin, den 21. Mai 2000
Verfaßt für den „Aufbruch“ das Gemeindeblatt der EFG Berlin-Schöneberg, Hauptstr., 380 Wörter
Anmerkung von November 2021: Der Lutheraner und SPD-Politiker Hans Koschnick (1929-2016) war von 1967 bis 1985 Bürgermeister von Bremen. Danach war er von 1987 bis 1994 Mitglied des deutschen Bundestages. Von 1994 bis 1996 war er EU-Administrator von Mostar mit Sitz in Mostar. Peter Muskolus (geb. 1941) war von 1985 bis 2006 Pastor der EFG Berlin-Steglitz. Er lebt heute als Rentner in Wiehl bei Gummersbach in NRW.