Gesprächsforum in Berlin-Moabit
Bei einem Gesprächsforum in der Moabiter Stephanstr. 44 am 8. Oktober rief Pastor Hartmut Weyel zur Bildung eines "gemeinsamen Dachs" des "Bundes Freier evangelischer Gemeinden" und des "Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden" auf. Anlass hierzu bildeten die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Freien evangelischen Gemeinden im Raum Berlin. Weyel, der gastgebende Pastor, fuhr fort: "Der ganz winzige, kleine Unterschied zwischen uns ist der: Wir nehmen im Einzelfall auch Leute in die Gemeinde auf, die sich nicht auf den Glauben hin taufen lassen möchten, sondern sagen, wir erklären unsere als Kind empfangene Taufe für gültig und ausreichend. Wir akzeptieren damit nicht die Kindertaufe, sondern respektieren die freie Entscheidung und setzen die Menschen nicht unter Druck."
Dagegen wandte sich Dr. Uwe Swarat, Dozent für Systematische Theologie am Theologischen Seminar der EFG in Elstal: "Unser Verständnis für die Voraussetzung zur Gemeindemitgliedschaft ist nicht voll identisch, und darum gab es bisher getrennte Wege. Ich halte nichts von Dachverbänden, die unterschiedliche Gemeindebilder miteinander vereinigen." Unerwähnt blieb in diesem Gespräch die Tatsache, dass auch vereinzelte Baptistengemeinden Menschen ohne Erwachsenentaufe aufgenommen haben. In den Brüdergemeinden, die z.T. dem Bund der EFG angehören, ist dies eine zulässige Praxis.
An diesem Abend erwies sich die Tauffrage einmal wieder als Knackpunkt des ökumenischen Gesprächs, denn hinter ihr verbirgt sich zugleich das Kirchenverständnis. Peter Dippl, Pastor des "Christlichen Zentrums Berlin" am Südstern, berichtete über eine evangelische Mutter, die ihren Zorn freien Lauf lief, als sie von den Taufabsichten ihrer jüngstbekehrten Tochter erfuhr. "Es war okay solange diese junge Frau schön ungläubig 'herumgehurt' hat. Doch jetzt, wo die Gnade Gottes sie getroffen hat, ist buchstäblich der Teufel los. Das habe ich schon x-mal erlebt. Und ich frage mich: Wo ist da die Freiheit des Christenmenschen von Luther geblieben?"
Doch für Pfarrer Hans-Georg Filker, Direktor der Berliner Stadtmission, sind auch die Freikirchen nicht frei. "Die Leute, die an deren Binnenstruktur scheitern, zeichnen das Bild einer freundlichen aber manchmal sehr repressiven Gruppe. Die Freiwilligkeit ist in den Landeskirchen wahrscheinlich viel größer." Gleichzeitig räumte er die Kehrseite der landeskirchlichen Freiwilligkeit ein: Unverbindlichkeit.
Der Charismatiker Dippl entgegnete: "Wenn man jemanden nicht bereits vereinnahmt hat, sondern ihn gewinnen will, dann erst kommt man in die Versuchung, ihn zu stark zu bedrängen. Dieser Druck läßt sich nur vermeiden, wenn man den Leuten die Entscheidung abnimmt, ob sie überhaupt Kirchenglied sein wollen."
Geht Profil mit Konfessionalismus einher?
Der baptistische Gesprächsmoderator Dr. Dietmar Lütz, Geschäftsführer des "Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg" prangerte den Konfessionalismus der Theologen an. Seine Gesprächspartner meinten jedoch, eine Kirche dürfe im ökumenischen Dialog niemals auf das eigene Profil verzichten. Der Dominikaner und Pater Thomas Griesbach nannte Profillosigkeit und "diffusen Aktionismus" eine Hauptgefahr des ökumenischen Prozesses: "Wissen wir nicht, woher wir kommen, dann wissen wir auch nicht, wohin." Dementsprechend wandten sich die Gesprächsbeiträge gegen ein denominationelles "Einheitsbrei". Erstrebenswert sei vielmehr die gütige Zusammenarbeit und gegenseitige Anerkennung der Konfessionen.
Von der Zukunftsträchtigkeit freikirchlicher Strukturen zeigte sich Pfarrer Filker nicht einhellig überzeugt. Er meinte, der Theorie nach hätte beim von volkskirchlichen Traditionen unbeleckten Volk der DDR "das freikirchliche Modell voll durchschlagen müssen. Doch plötzlich hat man festgestellt: Das freikirchliche Kirchenmodell setzt eine landeskirchliche Bewässerung voraus." Auch Pastor Weyel machte sich der Feststellung zu eigen, dass die Neugänge im freikirchlichen Bereich nur zum geringen Teil dem atheistischen Milieu entstammten. Vielmehr seien die 150 Freien evangelischen Gemeinden, die seit 1970 entstanden sind, das Ergebnis der Suche von "Leuten, die irgendwo Christ geworden waren", nach einer ihnen gemäßen Plattform und Heimat. Darum seien - so Pfarrer Filker - lebendige Gemeinden quer durch alle Denominationen und Strukturen hindurch das Hoffnungszeichen für das kommende Jahrhundert.
Dietmar Lütz fragte wiederholt, ob es der Gemeinde der Zukunft nicht um sehr viel mehr gehen müsse als um den Ausbau des eigenen Gemäuers. In der Mission sieht er eine gemeinsame Aufgabe für alle Christen, von der obendrein starke ökumenische Impulse ausgehen würde. Dafür stehen freikirchlich-volkskirchliche Telefonaktionen wie das Potsdamer "Neu Anfangen" Pate.
Gegenwärtig hat der "Bund Freier evangelischer Gemeinden" rund 31.000 Mitglieder in 700 Orts- und Zweiggemeinden. Im Berliner Raum sind es 400 Glieder in neun Gemeinden.
William Yoder
Berlin, den 17.10.1999
Beitrag erschien im "Aufbruch" Nr. 118, dem Gemeindebrief der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Schöneberg, Hauptstr., 660 Wörter