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Ein mennonitischer Friedensaktivist aus Belgrad berichtet

Die Ernte später einfahren

 

Im gegenwärtigen Kriegszustand haben die Freikirchen Jugoslawiens keinen leichten Stand. Das machte der US-Amerikaner Harold Otto im Rahmen einer Friedensveranstaltung in der Kreuzberger "Kirche zum Heiligen Kreuz" am 27.4.1999 deutlich. Vor und nach Ausbruch der gegenwärtigen Feindseligkeiten ist die Baptistenkapelle in Nis (Südserbien) von Nationalisten angegriffen worden. Da bekanntlich ein "Glaubensbruder" im Weißen Haus regiert und serbischen Baptisten schon deshalb das Gerücht einer Fünften Kolonne anhaftet, kann nur das Distanzieren von der NATO-Politik ihnen das öffentliche Überleben sichern. Womöglich verschaffte ihnen der Pazifist und Pfingstpastor Alexander Mitrovic ein wenig Luft als er auf einer Brücke in seiner Stadt (Novi Sad) Stellung bezog. Jedenfalls wurde dies von der serbischen Presse mit Genugtuung registriert. Auch ein US-Amerikaner soll zeitweilig auf einer der inzwischen zerstörten Brücken von Novi Sad gestanden haben. Nun wird auch in USA am 16.5. eine symbolische Protestaktion auf Brücken erfolgen. Pazifistische Freikirchler in Serbien betonen jedoch mit Nachdruck, daß ihre Brückenaktionen nicht aus taktischen sondern aus prinzipiellen Gründen erfolgen. Mitrovic z.B. hatte bereits gegen die serbische Beteiligung am Krieg in Kroatien und in Bosnien protestiert.

 

Am 11. März, als noch keiner in Belgrad mit einem Waffeneinsatz der NATO rechnete, verließ Harold Otto Jugoslawien. Dort hatte er drei Jahre lang als Mitarbeiter des nordamerikanischen Hilfs- und Friedensdienstes "Mennonite Central Committee" gewirkt. Hätte er sich mit Zielscheibe auf Stirn oder Brust auf eine der gefährdeten Brücken begeben? "Die Aussage eines solchen Schritts ist nun von auswärts her sehr schwer zu durchschauen," antwortet er. "Wäre ich dort, würde ich mich mit meinen z.T. baptistischen Freunden, denen es auch wirklich um den Frieden und nicht um eine nationalistische Selbstverteidigung geht, beraten. Dann würde ich ihrem Rat folgen."

 

Auf den Einwand, daß die Stellungsbeziehung auf einer Brücke im Westen als Zustimmung zur Politik des Slobodan Milosevic gewertet werden könnte, reagiert Harold Otto mit Empörung: "Das ist doch echt traurig wenn der Westen meint, jeglicher Widerstand gegen den Krieg sei Zustimmung für Milosevic! Man könnte mit gleicher Berechtigung behaupten, die Leute auf den Brücken verträten die kriegspolitischen Auffassungen der 'Frauen in Schwarz', feministischer Gruppierungen, oder der Freikirchen - auch wenn sich nicht alle von ihnen auf eine Brücke begeben würden." Oppositionelle fühlen sich verraten, denn die Bomben geben der falschen Fraktion Aufwind. Da sich verständlicherweise niemand Bomben aufs eigene Haupt wünscht, stehen auch die ethnischen Minderheiten in der Vielvölker-Region Wojwodina (Nordserbien) - vor allem Ungarn und Slowaken - geschlossen gegen die NATO-Bombardements.

 

Der friedensbewegte Amerikaner betont die Meinungsvielfalt unter den Christen in Serbien. Er weist z.B. darauf hin, daß es rund 6.000 Nazarener in der Wojwodina gibt. Sie rühren von der schweizerischen Bewegung der "Neutäufer" des 19. Jahrhunderts her und dürfen deshalb mit anderen als "Nazarener" firmierenden Kirchen nicht verwechselt werden. Diese Neutäufer kleiden sich betont konservativ und sind entschiedend pazifistisch eingestellt. Wiederholt landen ihre Anhänger als Totalverweigerer hinter Gittern. Einer, der erst im Februar aus dem Gefängnis entlassen worden ist, meinte vor wenigen Tagen am Telefon: "Christen machen bei Kriegen nicht mit. Aber wir fliehen auch nicht vor dem Krieg."

 

Auch die Orthodoxie ist bekanntlich kein einheitlicher Meinungsblock. Aus dem 800-jährigen Kloster Decani im Westen Kosovos betreibt der beherzte Mönch Sava Djandjic eine Webseite (www.decani.yunet.com), die aufhorchen läßt. Die Präsenz seines Vorgesetzten, der Kosovo-Bischof Artemije, in Rambouillet hatte die offizielle jugoslawische - und amerikanische - Vertretung mit Nichtbeachtung bestraft. Eine weitere Webseite, die von dem zur Orthodoxie konvertierten US-Amerikaner Jim Forest betrieben wird (www.incommunion.org), läßt pazifistische Stimmen zu Wort kommen. Dort wird auch Bruder Sava ausführlich zitiert. Im vergangenen November z.B. hat er sich mit Vehemenz gegen serbische Sicherheitskräfte gewandt, die ein muslimisches Dorf mit Kreuzen beschmiert hatten. Dazu schrieb er: "Das war Mißbrauch, denn man hat das Kreuz als Symbol des Hasses verwendet. Das Kreuz ist doch das Symbol für Liebe und Toleranz, und es ist unerträglich, es zur Demütigung anderer Menschen einzusetzen." Zum gegenwärtigen Krieg meint der Mönch: "Dies ist ein Krieg zwischen Extremisten. Man hat ein totalitäres Regime auf der einen Seite und Separatisten auf der anderen. Wir verurteilen die Gewalt aller Parteien, und wir sind auch gegen den militanten Separatismus." Vor Westlern ihres Vertrauens genieren sich Mitarbeiter des Patriarchen Pavle nicht, die nationalistischen Äußerungen mancher Geistlichen und Kollegen zu geißeln.

 

Nichtsdestotrotz lebt es sich gefährlich im gegenwärtigen Kriegszustand. Friedensaktivisten ohne internationales Renommee sind existentiell gefährdet und wechseln häufig die Schlafstätte. Nicht wenige Männer verstecken sich vor der Wehrpflicht, Telefonate und eMails werden überwacht. Da offiziell keine Männer zwischen 18 und 60 Jahren ins Ausland reisen dürfen, bestehen die anwachsenden Kreise serbischer Oppositioneller u.a. in Budapest überwiegend aus Frauen. Obwohl Otto ein gültiges Visum besitzt, rechnet er erst nach Einstellung der Feindseligkeiten mit einer Wiedereinreise.

 

Harold Otto tritt für die gerechte Behandlung aller Flüchtlinge ein, und dazu zählen auch die Tausenden von serbischen Flüchtlingen innerhalb und außerhalb der serbischen Grenzen. Nur so könne der Westen den Vorwurf entkräften, "die ganze Welt" sei gegen das serbische Volk. In der Kirche zum Heiligen Kreuz zeigten sich alle Redner entsetzt darüber, wie locker Dollar und DM sitzen, wenn es sich um Kriegshandlungen dreht. Der Mennonit wies darauf hin, daß man mit dem Tageseinsatz der NATO 60 serbischen Friedensgruppen mit je einer Million Dollar hätte ausstatten können. Wäre der Westen vor dem Krieg bereit gewesen, einen Bruchteil der heutigen Ausgaben für den Aufbau zu tätigen, hätte sich der Kosovo-Krieg wohl erübrigt. Der Amerikaner ist überzeugt, die Reihen der jugoslawischen und UCK-Armeen hätten sich stark gelichtet wenn die Westmächte rechtzeitig allen jungen Männern ein Jahresstipendium zum Auslandsstudium angeboten hätten. Jetzt will es ihn nicht in den Kopf, daß auch die USA jugoslawische Kriegsdienstverweigerer abschieben will; Kriegsunwilligen auf beiden Seiten werde der Ausstieg keineswegs erleichtert.

 

Am Ende seiner dreijährigen Friedensarbeit feiert der Krieg fröhliche Urständ. Hält Harold Otto seine Bemühungen deshalb für vergeblich? "Wer sich für den Frieden engagiert, muß langfristig denken," antwortet er. "Oft kommen wir zwei Schritte voran, dann fallen wir wieder einen zurück. Aber dennoch stehen wir hinterher weiter vor, als wenn wir nichts getan hätten. Friedensarbeit erbringt Früchte, aber die Ernte wird oft erst in späteren Jahren eingefahren."

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 2. Mai 1999

 

Zur Veröffentlichung freigegeben, 995 Wörter

 

Anmerkung von November 2021: Der US-Amerikaner Harold Otto lebt in Wien. Er ist u.a. als Friedensarbeiter und Geschichtserzähler tätig. Der Friedensaktivist und Autor Jim Forest (geb. 1941) wohnt mit seiner Gattin in Alkmaar/NL.