· 

Ernsthafte Spannungen unter den Lutheranern Kroatiens, 1998

Kroation: ein Kirchenstreit ohne Ende

 

Die Quellwolken, die den Himmel über der Evangelischen Kirche Kroatiens verdecken, sind im alten k.u.k.-Badeort Opatija offensichtlich. Dort ist durch gerichtlichen Beschluß die 25-köpfige Ortsgemeinde aus ihrer Kapelle ausgesperrt. Nicht einmal der langjährige Küster, Aldo Poscic, verfügt über einen Schlüssel. Die seltenen Gottesdienste werden per Telefon von Zagreb aus organisiert. Keine alteingesessenen Gemeindeglieder werden dazu eingeladen.

 

Seit der Formierung einer zweiten Synoden am 24. Februar 1996 ist die Evangelische Kirche Kroatiens gespalten. Mit diesem Schritt hatte sich neben Zagreb eine zweite Kirchenzentrale in Legrad an der ungarischen Grenze gebildet.

 

In Opatija laßt sich der Mißbrauch humanitärer Güter als Gegenleistung für Loyalität dokumentieren. Eine Quittung vom 1.6.1997 belegt, der Zagreber Pastor Andrija Luksa habe neben humanitären Gütern 1.500 Kuna (500 DM) unter den fünf Personen verteilt, die an jenem Tag den Gottesdienst besucht hatten. Dagegen bekommen die Alteingesessenen keine Zuwendungen aus Zagreb.

 

Am 5. Februar wurden 50 ungeöffnete Säcke eng verpackter und chemisch-gereinigter Altkleider auf einer Mülldeponie bei Zagreb geortet. Die Säcke trugen die Aufschrift der amerikanischen Organisation "Lutheran World Relief"; unverbrauchte Lebensmitteldosen befanden sich in nächster Nähe. Der gesamte Fund betrug rund 2.200 Kilo. Pfarrer Matija Deutsch, Sohn des Seniors bzw. "Bischofs" Vlado Deutsch, erklärte, diese Waren seien vor 40 Jahren gespendet worden als Edgar Popp, der vorige Senior, noch im Amt war. Dieser These wird von dem in der Pfalz lebenden Popp heftig widersprochen. Außerdem waren 1994 900 Kilo veraltetes Mehl in den Müll befördert worden. Offensichtlich hat sich das Zagreber Büro Zeit gelassen bei der Verteilung humanitärer Güter.

 

Eine rechtliche Willkür läßt sich ebenfalls in Opatija dokumentieren. Ehefrau Ana Poscic wurde im März 1996 für sechs Jahre in die neugeschaffene Zagreber Synode berufen. Doch bald trafen keine Einladungen mehr ein. Am 25.7.1997 stellte sie Senior Deutsch zur Rede. Er antwortete ihr: "Ich stelle die Mitglieder der Synode auf und entferne sie, wenn ich sie nicht mehr gebrauchen kann." Kritiker werden ungefragt aus Mitgliedskartei und Synode entfernt.

 

Vorwürfe hinsichtlich des Mißbrauchs von Finanzen bestehen. Juristische Maßnahmen haben die Zagreber daran gehindert, einige Immobilien zu veräußern. Immerhin konnte 1969 die massive lutherische Kirche zu Sarajevo verkauft werden. Der Gewinn dabei betrug etwa 2,1 Mio. DM. Die Verwendung dieser Gelder bleibt bis dato unklar. Nur ein Bruchteil der 40.000 DM, die für Sanierungsarbeiten in Opatija gespendet worden sind, wurden vor Ort ausgegeben. Senior Deutsch zieht es vor, finanzielle Transaktionen per Bargeld abzuwickeln. Die 120.000 DM, die für die Renovierung der Osijeker Kirche bestimmt waren, trafen per Hosentasche in der Frontstadt ein. Dennoch bleiben Vorwürfe, Deutsch habe sich durch das Abzweigen von Spenden zum DM-Millionär hochgemausert, unbewiesen.

 

Es fällt auf, daß die Fraktion Legrad Journalisten mit schriftlichen Belegen überschüttet, die Zagreber sich hingegen auf mündliche Beteuerungen beschränken. Der Enkenbacher Pfarrer Rudi Job, vielleicht der letzte Getreue Zagrebs auf deutschem Boden, bezeichnet das Herumstochern auf Müllhalden als "kleinkariert". "Ich habe keine Abrechnungen gesehen," fügt er hinzu. "Aber so wie ich Deutsch kenne, hat er keine Mittel veruntreut."

 

Behauptungen grassieren, Deutsch sei für das staatliche Maßregeln von Pastoren während und seit dem Kommunismus mitverantwortlich. Zweifellos läßt sich sein Ruf nur noch durch eingehende Recherchen in kirchlichen Archiven wiederherstellen. Es bestehen jedoch keine Anzeichen dafür, daß ein derartiges Unterfangen in Zagreb realisierbar sei.

 

Vlado Deutsch kämpft gegen seine zunehmende Isolation an. Die vom Legrader Senior Marijan Sporcic geleitete Synode hat gegenwärtig 1.920 Mitglieder in 13 Ortsgemeinden. Deutsch hingegen kann mit nur zwei Ortsgemeinden rechnen: Zagreb und Antunovac. Das sind kaum mehr als 150 Mitglieder. Senior Deutsch ist u.a. von der Reformierten Kirche Kroatiens und der slowakischen Lutherischen Kirche der Wojwodina entfremdet. Der kroatische Staat akzeptiert die Zagreber nicht mehr als alleinige Vertreter der lutherischen Kirche. Der 69-jährige Vlado Deutsch verfügt auch über keinen Nachfolger, der der anderen Synode genehm wäre.

 

Alle internationalen, in Kroatien aktiven lutherischen Organisationen sind sich nun einig, daß Senior Deutsch seinen Abschied nehmen muß. Dennoch bleiben die Modalitäten für einen ehrhaften Wechsel aufs Altenteil unklar. Dabei lassen sich heikle Fragen u.a. gegenüber dem "Lutherischen Weltbund" und "Gustav-Adolf-Werk" nicht aus der Welt schaffen. Im Vierteljahrhundert ihres Bestehens haben keine 10 Studenten die lutherische Fakultät in Zagreb absolviert. Nur zwei von ihnen sind heute kroatische Staatsbürger: Matija Deutsch und Marijan Sporcic. Warum diese äußerst restriktive Personalpolitik nicht eher Warnsignale auslöste, ist rätselhaft. Erst 1997 hörte die ausländische Unterstützung für die Zagreber Fakultät und Kirchenzentrale auf; der LWB stellte seine Zahlungen schon 1993 ein.

 

Verständlicherweise war die langjährige Großmut bezüglich der finanziellen Rechenschaftspflicht vom Wunsch beflügelt, die Autonomie der einheimischen Kirche nicht zu gefährden. Kann jedoch eine ökonomisch äußerst abhängige Kirche überhaupt autonom sein? Das Leiten aller Spendengelder über die Zagreber Zentrale sowie die jüngere Praxis, Zagreb zu umgehen und Gelder direkt an die Ortsgemeinden zu überweisen, haben die kircheninternen Machtverhältnisse nachhaltig beeinflußt.

 

Oberkirchenrat Reiner Rinne from Kirchenamt der EKD versichert: "Es ist unser Auftrag, für die Einheit der Kirche zu wirken. Wir haben große Schwierigkeiten damit, eine Schiedsrichterrolle zu übernehmen. Es geht darum, daß Menschen in Kroatien selber ihre Geschichte aufarbeiten." Es könnte jedoch sein, daß nur ausländische Gremien die Schlagkraft besäßen, um Reformen in der Zagreber Zentrale durchzudrücken. Das Gründen einer Alternativsynode war womöglich die einzige Chance für einheimische Kritiker, der Ein-Familien-Regentschaft in einer winzigen Kirche ohne verfassungsmäßige Bindungen Paroli zu bieten. Edgar Popp, Senior bis 1960, fordert die Aberkennung durch den Weltbund: "In dem Augenblick, in dem Deutsch nicht mehr vom LWB anerkannt wird, läßt der kroatische Staat ihn fallen." Im Oktober kommt der Papst nach Zagreb.

 

Dr. William Yoder
Berlin, 13. August 1998

 

Verfaßt für den „Evangelischen Pressedienst“ in Frankfurt/M., 890 Wörter

 

Anmerkung von November 2021: Dr. Vladimir (or Vlado) Deutsch aus Zagreb, geboren 1929, ist bereits 1999 verstorben. Der 1920 geborene Pfarrer Edgar Popp ist 2015 in Otterberg (Raum Kaiserslautern) verstorben. Superintendent i.R. Reiner Rinne lebt in Bückeberg bei Minden.