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Bischof Lavrentije will eine weltoffene Orthodoxie

Interview mit dem serbischen Bischof Lavrentije

 

Bischof Zivko Lavrentije, einst der in Hildesheim ansässige Bischof für Mitteleuropa, ist heute geistliches Haupt der zen­tral-serbischen Diözese Sabac-Valjevo. Er gilt als Vertreter des modera­ten, welt­offenen Flügels der serbischen Orthodoxie.

 

FRAGE: Sie sind Vorsitzender der Jugoslawischen Bibelgesellschaft.  Diese Arbeit erfordert eine Zusammenarbeit mit Prote­stanten; deshalb sind Sie auch schon von Nationalisten in der Presse als "Judas" diffamiert worden.  Warum stehen Sie weiterhin zu dieser Arbeit?

 

Die Bibelgesellschaften sind die besten christlichen Organisationen der Erde.  Sie möchten jedem eine Bibel schenken, mischen sich jedoch in andere Belange nicht ein.  Mir ist es eine große Ehre und ein Vorrecht, in einem solchen Verein mitarbeiten zu dürfen.  In Jugoslawien hatte ich auch schon mit den Gideons zu tun gehabt.  Ich möchte mit allen zusammenarbeiten, die die Gute Nachricht unter die Menschen bringen wollen.

 

FRAGE: Eine Baptistin in Belgrad hat mir vor wenigen Monaten mit­geteilt, sie rechne mit einer neuen Phase der Glaubensverfolgung, dieses Mal jedoch auf Geheiß der Orthodoxie.  Können Sie das verstehen?

 

Unsere Leute sind über religiöse Fragen nicht informiert.  Sie wissen weder was Orthodoxie noch die soge­nannten "Sekten" wirk­lich bedeuten.  Das möchten wir ihnen noch richtig erklären.  Es gibt auch Priester, die eindeutig extremi­stisch sind.  Sie halten schon die Katholiken für Schismatiker.

 

Aber ich richte mich nach einem anderen Kriterium: Der Ökumeni­sche Rat in Genf unterscheidet zwischen Sekten und jenen Kirchen, die das Kreuz, die Heilige Dreieinigkeit und Jesus akzeptieren.  Dabei bleiben manche Gruppen wie die Satanisten und die Zeugen Jehovas draußen.  Wer jedoch die Grunddogmen des Christentums akzeptiert und dem Weltrat der Kirchen angehört, mit denen möchten wir zusammenarbeiten.  Auch wenn wir das Heilige Abendmahl nicht gemeinsam feiern können, möchten wir dennoch kooperie­ren, vor allem beim Verteilen der Schrift.

 

FRAGE: Atanasije, der ins serbische Gebiet nach Trebinje geflohene Bischof von Mostar, hat vor einem Jahr den Bürgermeister von Trebinje heftig attackiert weil er die Missionsarbeit der Adventi­sten duldet.  Wie stufen Sie die Adventisten ein - sie bilden ja die größte protestanti­sche Kirche in Bosnien.

 

Sie sind [indirekte] Mitglieder des Weltrates der Kirchen.  Sie erkennen doch das Kreuz, Jesus, und die Heilige Dreieinigkeit an.

 

FRAGE: Es gibt in Novi Sad (Nordserbien) eine Menge Probleme zwischen evangelikalen Gruppen, die missionieren wollen, und der Orthodoxie.  Wie können wir als Protestanten zur Minderung dieser Spannungen beitragen?

 

Sie müssen nur korrekt vorgehen und sich an ihrem religiösen Auftrag halten.  Ich habe von Leuten gehört, die humanitäre Pakete mit Traktaten angereichert haben: Man solle eben diese und jene Glaubensgrundsätze zusätzlich akzeptieren.  Damit haben sie größte Zurückhaltung erzeugt.  Unsere Leute behaupten, jenen Spendern sei es nicht um die humanitäre Fürsorge, sondern um das Ver­breiten von Propaganda gegangen.  Aber glauben Sie mir: Ich kenne die Reformierten in Novi Sad und mit denen arbeiten wir eng zusammen.  Ich kenne auch den lutherischen Bischof [Andrej] Beredi sehr gut.

 

Es gibt allerdings manche [orthodoxen] Extremisten, die sich in ihrem eigenen Glauben nicht auskennen.  Und wenn sie keine christliche Liebe haben, können sie andere auch gar nicht verstehen.  Sie können auch mich, einen serbischen Bischof, nicht verstehen und machen mir auch deshalb Vorwürfe.  Wir dürfen deshalb nicht erwarten, daß sie jemanden begreifen werden, der neu ist und aus Übersee kommt.

 

FRAGE: Es gibt doch eine Menge Orthodoxe, die nur auf dem Papier gläubig sind.  Sie sind ohne Glauben, oder haben jedenfalls einen sehr toten Glauben.

 

Jawohl, und mit denen haben wir mehr Probleme als mit den Atheisten.  Als diese Menschen noch Atheisten waren, kannten wir einander und wußten was wir voneinander zu erwarten hatten.  Nun haben sie die Konfession gewechselt: Anstelle des roten Sterns haben sie ein Kreuz gesetzt.  Sie haben sich äußerlich verändert, jedoch nicht innerlich.

 

Diese neuen Mitglieder, Soldaten etwa, brauchen Zeit, um den Weg zu Christus zu finden.  Ich muß leider gestehen, daß kaum 10 Prozent der Soldaten oder Lehrer aus Überzeugung "Unser Vater" beten kann.  Die Menschen kennen nicht einmal das ABC des Evangeliums.  Wir müssen sie schulen, aber das wird einige Zeit beanspruchen.

 

FRAGE: Sie sehen wohl ein, daß sich der orthodoxe Klerus über andere Kirchen informieren muß?

 

Das ist vollkommen klar.  Wir haben zu wenig Verbindung zu den Kirchen der Welt.  Das ist u.a. darauf zurück zu führen, daß wir uns im Weltrat der Kirchen nicht sonderlich stark engagieren, erst recht nicht seit Beginn des Embargos.  Ich bin Redakteur unserer Missionszeitschrift "Misionar".  Ich komme sehr schwer an Informationen von anderen Kirchen heran, nicht einmal aus Zagreb oder Ljubljana.  Wir sind über das christliche Leben im Ausland sehr, sehr schlecht informiert.

 

FRAGE: Könnten Sie sich vorstellen, daß Protestanten mit Orthodoxen zusammenarbeiten, um die Mission in Jugo­slawien voranzutreiben?

 

Es gibt eine katholische charismatische Bewegung in Spanien, die vor 20 Jahren gegründet worden ist und heute rund 200.000 Gläubige umfaßt.  Ich war vor 20 Tagen bei einer Versammlung mit 20.000 von ihnen in Loreto/Italien dabei.  Nun wollen sie auch in Serbien etwas aufbauen, und ich bin damit einverstanden.

 

In meiner Diözese kann ich auch protestantischen Gruppen helfen.  Aber für andere Diözesen bin ich nicht zuständig.  Manche Bischöfe verhal­ten sich viel exklusiver.  Aber bei mir sind Sie willkommen.

 

FRAGE: Sie versicherten vor kurzem in Genf, daß die orthodoxe Kirche keinen Einfluß auf die serbischen Politiker in Bosnien habe.  Stimmt das wirklich?  Ihre Kirche bildet doch einen Grundpfeiler der serbischen Identität.

 

Wir haben in der Tat sehr wenig Einfluß.  Bisher hat die serbische Regierung uns immer ermahnt, die Finger von der Politik zu lassen: "Sie dürfen beten so viel Sie möchten und ihr Gemeindeleben so gestalten wie Sie wollen, doch mischen Sie sich bitte in die Politik nicht ein."

 

Nun sieht die Lage in Serbisch-Bosnien ein wenig günstiger aus.  Radovan Karadzic und seine Mitarbeiter fahren einen anderen Kurs und haben gesagt: "Wir wünschen uns eine Kirche, die dem Staat angehört."  Karadzic hat auch eine sehr hohe Achtung vor unserem Patriarchen [Pavle].  Auch Izetbegovic schätzt den Patriarchen sehr; der Patriarch erhält Briefe von Izetbegovic, in denen er die Über­parteilichkeit des Patriarchen rühmt.

 

Unser Patriarch ist von den Kriegsopfern zutiefst betroffen, egal ob sie Orthodoxe, Katholiken oder Muslime sind.  Wir sind ja alle Kinder Gottes.  Er hat auch Karadzic mehrmals besucht und die verantwortlichen Politiker [in Pale] dazu aufgefordert, eine Verhandlungslösung zu erzielen: "Vergießt kein weiteres Blut wenn es eine bessere Lösung gibt."  Darüber ist die Weltöffentlichkeit nicht informiert.  Sie behaup­tet vielmehr, die Kirche habe die Serben zum Krieg angestachelt.

 

FRAGE: Die EKD hat die serbische Kirche bereits mehrmals scharf gerügt.  Haben Sie dafür ein wenig Verständnis?

 

Ja, aber Konrad Raiser hat sich kürzlich bei mir für das entschuldigt, was über uns in der Zeitschrift "Oikumene" geschrieben wurde.  "Es tut mir sehr leid," sagte er.  "Dieser Beitrag geht über das hinaus, was ich in Wirklichkeit gesagt habe."

 

Ich meine, die westliche Welt ist über den Standpunkt der serbischen Kirche in diesem Konflikt verwirrt.  Die Menschen sind entweder zu wenig oder falsch informiert worden. Sie erhalten ihre Informationen nur aus zwei Quellen: von den Muslimen und von den Kroaten.  Wir von der serbischen Seite sind jedoch außer­stande, ihnen ausreichend zu informieren.  Die anderen geben Millionen für ihre Medienarbeit aus.  Wir haben aber nicht mal genug Geld, um Bücher für das Priesterseminar zu verlegen.  Deshalb bleiben die Menschen uninformiert.

 

William Yoder

Berlin, den 17. Oktober 1995

 

Verfaßt für den „Evangelischen Pressedienst“ in Frankfurt/M., 1170 Wörter

 

Anmerkung von Dezember 2020: Der 1936 geborene Bischof Lavrentije (Trifunovic) diente von 1973 bis 1989 als der erste serbisch-orthodoxe Bischof für Mitteleuropa. Danach wurde er Bischof von Sabac und Valjevo. Seit 2006 ist er nur noch Bischof von Sabac. Sabac befindet sich rund 80 km westlich von Belgrad.