· 

Der Lutherische Weltbund wird zur Brücke

Der Beschluß der UNO im vergangenen Jahr, die Grenzen Kroatiens rechtlich anzuerkennen, eröffnet dem Lutherischen Weltbund neue Perspektiven.  Nun können Fühler in die Krajina, den serbisch regierten Teil Kroatiens, ausgestreckt werden.  Die Versorgung einer Suppenküche und Schulen in der verwüsteten Stadt Vukovar mit täglich 5.900 Mahlzeiten wird vorbereitet.  Kopf dieser Aktion ist die Münchnerin und LWB-Direktorin Hermina Nikolaisen.  Sie wohnt jenseits der Front in Osijek, im kroatisch-regierten Teil Kroatiens.

 

Laut Professor John Wood, der ausscheidende Direktor der humanitären Programme des Weltbundes in Kroatien und Bosnien, wäre ein derartiger Vorstoß noch vor einem Jahr undenkbar gewesen: "Rein rechtlich gesehen, gehört die Krajina nicht länger zur anderen Seite.  Deshalb können wir uns überhaupt diese Geschichten erlauben ohne der kroatischen Regierung in die Quere zu kommen."  Durch die Anerkennung der Krajina als einen Teil Kroatiens fällt dieser Landstrich formell nicht mehr unter den von der UNO verhängten Sanktionen.

 

"Diesen Leuten geht es sehr schlecht," versicherte Wood.  "Nahezu die gesamte humanitäre Hilfe der EU geht nach Bosnien; es redet ja keiner über die UNPA's [die serbisch besetzten UNO-Schutzzonen in Kroatien]."  Trotz ähnlicher Flüchtlingszahlen haben die serbisch-regierten Teile Ex-Jugoslawiens bisher nicht mehr als 20% der nichtstaatlichen ausländischen Hilfe erhalten.

 

"Wir sind bereits an einem Wasserversorgungsprojekt in Drvis [unweit der dalmatischen Küste] beteiligt gewesen," fügte Wood hinzu.  "Das hielten wir für einen guten Einstieg, denn 20% der Stadt liegt in kroatischer Hand und das Wasser kommt sowohl Kroaten als auch Serben zugute."  Der LWB verhandelt über die Beteiligung an einem ähnlichen Wasserprojekt in Knin, Hochburg und Hauptstadt der aufständigen Serben Kroatiens.  "Durch die Annahme kleiner Projekte in der Krajina lernen wir Leute kennen," erklärte der isländische Mitarbeiter Audunn Bjarni Olafsson.  "Und erst wenn man Menschen kennt, kann man anfallende Probleme überhaupt angehen."

 

"Wir gehen mit großer Vorsicht vor," versicherte Dr. Wood.  "Wir agieren nur unter der Schirmherrschaft von UNO und EU."  Da der Zagreber Regierung ein Vetorecht eingeräumt wurde, kann sie jegliche der Krajina angebotene Hilfe zu Fall bringen.  Sehr typisch ist die Haltung von Marija, eine in Zagreb wohnhafte Kroatin aus Vukovar.  Unter Tränen versicherte sie: "Erst wenn sich die Serben für das Vorgefallene entschuldigen, darf eine humanitäre Hilfe in Frage kommen."

 

Seit Anfang 1994 ist der Weltbund auch in der umkämpften bosnischen Enklave Bihac tätig.  Nur wenige Kilometer von der heißen Kriegsfront, z.B. bei Velika Kladusa und Hrazin, werden Bauern mit Saatgut und künstliche Düngemittel für die kommende Saison beliefert.  Gefragt weshalb man mitten im Krieg die Felder bestelle, antwortete der fast achtzigjährige Wood: "Weil es so schwierig ist, Hilfstransporte hineinzubekommen.  Man weiß nie, wann die Grenzübergänge gesperrt werden.  Solche Maßnahmen steigern auch die Moral."

 

Die Unterstützung der bäuerlichen Arbeit wirkt ferner der Entvölkerung ländlicher Gegenden entgegen und setzt damit der "ethnischen Säuberung" eine Schranke.  "Stadtbewohner suchen am ehesten das Weite," folgerte Dr. Wood.  "Sie werden nervös sobald der Fernseher ausfällt."  Bauern hingegen verrichten eine Arbeit, die parteipolitisch unabhängig ist: Gleich wer als Nächster kommt, Lebensmittel wird er benötigen.

 

Die humanitäre Hilfe des LWB hat ohnehin den Zweck, Fluchtbewegungen einzudämmen.  "Mehr Flüchtlinge kann sich Europa wirklich nicht leisten," fügte Wood hinzu.  "Das Problem ist Europa leid und die muslimisch-kontrollierten Teile Bosniens sind überfüllt."

 

Audunn Olaffson ist für die Enklave Bihac zuständig.  Auf die Frage, ob humanitäre Projekte nicht die Herrschaft von Aggressoren stabilisiere, meinte der drahtige Isländer: "In allen Lagern stoße ich auf bedürftige Menschen.  Es geht ihnen ums Überleben.  Um dort helfen zu können, muß man die bestehenden Machtstrukturen akzeptieren.  Zugegeben: Wir sammeln nur Scherben auf; mehr können wir nicht tun."

 

Gefragt, welchen Gewinn er persönlich aus diesem humanitären Einsatz beziehe, antwortete Olafsson: "Die Chance, bei einem Besuch im Krankenhaus in Bihac den dankbaren Kindern ins Gesicht zu schauen, ist mir Lohn genug."

 

Als Kurier zwischen verfeindeten Armeen und Volksgruppen kommt dem Isländer eine Vermittlerrolle zu.  Dabei fällt ihm der Hang des Menschen zur Leichtgläubigkeit auf: "Menschen beteuern, vor wenigen Tagen beim Abfackeln eines Hauses zugesehen zu haben, auch wenn ich ihnen versichere, daß ich bereits an dem Vormittag das Haus in heilem Zustand gesehen habe."  Deshalb leuchtet ihm die Anfälligkeit von Menschen für die Beteuerungen von Politikern schnell ein.

 

Den Christen Serbiens reichen diese Vorstöße des LWB allerdings nicht. Anna Bu, die dynamische Mitarbeiterin des Ökumenischen Hilfswerkes in Novi Sad/Serbien, beklagte sich: "HEKS [das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz] ist ausgewogen, es bemüht sich gleichermaßen [in Kroatien und Serbien] zu helfen.  Warum tut der Lutherische Weltbund nicht das gleiche?"  Zweifellos würde eine derartige Vorgehensweise die staatlichen Einnahmen des LWB gefährden.  Wer in den Genuß staatlich-europäischer Gelder kommen will, kann sich schwerlich über die Präferenzen der westlichen Staaten hinwegsetzen.  Letztes Jahr setzte der LWB in Ex-Jugoslawien Fünf Millionen Dollar um; nur ein Bruchteil davon stammte aus kirchlichen Koffern.

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 12. März 1995

 

Verfaßt für „Die Kirche“ in Berlin, 780 Wörter